Früchte tragen
Emil Urbanek in der Weserhalle

4. April 2023 • Text von

Birnen soll man nicht mit Äpfeln vergleichen, aber in diesem Fall kommt man nicht drum herum. Die Früchte sind Leitmotiv von Emil Urbaneks Einzelausstellung in der Weserhalle. „In Pears“ setzt sich mit Identität, Vergänglichkeit und dem Moment des Dazwischen auseinander.

Ein rechteckiges Gemälde zeigt eine Person mit Brille und Perlenkette, die mit dem Messer eine Birne in zwei Hälften schneidet. Die Birne liegt auf dem Teller vor der Person. Im Hintergrund wachsen Pflanzen.
Emil Urbanek, in pears, 2023. Weserhalle, Credits: @dotgain.info.

Hurra, ein Wortspiel: Der Ausstellungstitel „In Pears“ wird zwar ausgesprochen wie die Bezeichnung „in pairs“ (dt: paarweise), schreibt sich aber wie das englische Wort für „Birnen“. In Emil Urbaneks Einzelausstellung in der Weserhalle scheint es also um dieses Obst zu gehen, was sich bereits im vorderen Teil der Galerie bestätigt. Auf mehreren der dort hängenden Gemälde ist die unverwechselbar geformte Kernfrucht in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien abgebildet. Einige hängen noch am Baum, andere sind gepflückt, wieder andere bereits zum Verzehr aufgeschnitten.

Sofort fällt auf, wie sonderbar diffus die Werke sind. Das Farbspektrum ist blass-pastellig und die Arbeiten wirken verschwommen, wie ausgeblichene Analogfotografien. Auf einige von ihnen hat Urbanek Graphit-Pigmente aufgetragen und dann verwischt. Dadurch entsteht ein Gefühl der Bewegung, als fließe das Gesehene einfach vorbei oder werde vom Wind davongetragen. Es scheint, als kämen die Werke aus einer lang vergangenen Zeit. Unscharf weisen sie auf verblasste Erinnerungen hin und wecken in den Betrachtenden eine gewisse Nostalgie.

Eine Malerei auf Leinwand zeigt einen Tisch, auf dem einige Birnen liegen. Im Hintergrund wachsen schemenhafte Pflanzen.
Emil Urbanek, interlude, 2023. Weserhalle, Credits: @dotgain.info.

Zu diesem Gefühl der Vergänglichkeit passt auch die Birne, schließlich ist Obst ein typisches Vanitas-Symbol. Schon auf Stillleben aus dem 17. Jahrhundert wiesen Früchte auf die mangelnde Beständigkeit des irdischen Lebens hin. Wieso nun aber ausgerechnet die Birne, die vor allem im Vergleich mit dem Dauerbrenner Apfel unterschätzt und dünnhäutig daherkommt?

Für Urbanek symbolisieren die Ernte und das Untersuchen der sonderbaren Frucht einen Akt von körperlicher Autonomie und Selbstfürsorge. Metaphorisch steht das Malen für die Hege und Pflege eines Birnbaums, der irgendwann Früchte trägt. Tatsächlich sind im Bildhintergrund häufig Pflanzen zu sehen, mal deutlich erkennbar, mal fast versteckt. Existent sind die Gewächse also im Grunde genommen immer. Die Frage ist nur, wie viel Beachtung man ihnen schenkt.

Das Foto zeigt den Galerieraum Weserhalle. An der Wand hängen vier orange leuchtende Bilder, auf denen Menschen mit Brillen und Kopfhörern zu sehen sind.
Emil Urbanek, Ausstellungsansicht, Weserhalle, Credits: @dotgain.info.

Im hinteren Teil der Galerie zeigt Urbanek eine weitere Werkgruppe, die nicht auf Leinwand sondern auf Holz gemalt ist. Bei einigen Bildern schimmert leicht die Maserung des Trägers durch, hier und da wechseln sich glänzende und matte Lasur ab. Durch ihren bernsteinfarbenen Glow scheinen die Arbeiten von innen zu leuchten. Auch diese Gemälde wirken wie fotografisch festgehaltene Momentaufnahmen: schöne Erinnerungen, die im Laufe der Zeit einen natürlichen Sepiafilter verpasst bekommen haben. Sie zeigen alltägliche Objekte – Weingläser, Kerzenständer, eine Birne – und verweisen dadurch erneut auf die Stillleben-Thematik.

Bei näherer Betrachtung fallen die schemenhaften Gestalten ins Auge, die sich in einigen Bildhintergründen tummeln. Schattenartige Umrisse von Katzen und Hunden deuten auf die Krafttiere Urbaneks hin. Sie verhalten sich größtenteils unauffällig, eine Katze legt die Pfote ermutigend auf die Schulter einer Person – ganz, wie es sich für einen vierbeinigen Schutzpatron gehört. Viele der Darstellungen sind Selbstporträts und zeigen Urbanek mit auffälliger Brille und Kopfhörern. Während manche Protagonist*innen geschäftig an Knöpfen vermeintlicher Mischpulte drehen, bedienen andere sonderbare Maschinen.

Auf dem Bild ist eine Person zu sehen, die an einer unbekannten Apparatur herumwerkelt. Im Hintergrund ist schemenhaft ein Tier abgebildet, vielleicht handelt es sich um einen Hund.
Emil Urbanek, not sure what for, 2023. Weserhalle, Credits: @dotgain.info.

Das Spannende an den Darstellungen ist ihre beruhigende Unklarheit. Viele der Szenerien oder Objekte sind nicht eindeutig definierbar. Stattdessen vermitteln sie eher eine Idee, eine Erfahrung oder ein Gefühl. Passenderweise hat Urbanek eine Arbeit sogar „not sure what for“ genannt. All die Gemälde zeigen Momente des Dazwischen. Hier existieren Wirkliches, Unwirkliches und Eventuell-irgendwann-Wirkliches nebeneinander: das Lieblingstier als Schutzpatron, die Erinnerung an die letzte Party und das Erkunden der eigenen Identität. „In Pears“ präsentiert ein intimes malerisches Werk, das gleichzeitig ein stolzes Zurschaustellen von Selbstfürsorge und ein elegantes Egalsein ausstrahlt.

WANN: Emil Urbaneks Einzelausstellung „In Pears“ läuft noch bis zum 15. April.
WO: Weserhalle, Weserstraße 46, 12045 Berlin.

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