Gewächs-House
Rachel Youn bei Soy Capitán

18. Mai 2022 • Text von

Diskolicht, Bass und Bewegung – ein einfaches, aber wirksames Glücksrezept, dem lange nicht nachgegangen werden durfte. Wie sehr es an Tanz, an kommunikativer Freude mangelt, wird Besucher*innen von Rachel Youns “Revival” bei Soy Capitán schlagartig bewusst. Ihr auf Massagegeräten zappelndes Blumenmeer lässt das Herz mithüpfen und regt existenzielle Gedanken an.

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Rachel Youn, Revival, 2022, Installationview, Soy Capitán, Berlin. Foto: Roman März.

Nähern sich Tanzfreudige der massiven Club-Tür, steigt die Aufregung. Öffnet sie sich, wummert der Bass heraus und flutet den Körper mit vibrierender Freude. Genauso fühlt es sich an, wenn Besucher*innen den Ausstellungsraum von Soy Capitán betreten. Ein irrsinniges, nahezu vergessenes Gefühl. Die schwere Tür geht auf und der ganze Raum vibriert, zittert, groovt, wackelt, raschelt – Vorsicht, Endorphin-Welle!

Im gesamten Raum stecken verschiedenste Plastikpflanzen und -blumen in aussortierten Massagegeräten. Jedes Gerät hat einen anderen Rhythmus und verleiht somit jeder Pflanze einen eigenen Hüftschwung. Manche stehen auf Musikboxen wie auf kleinen Bühnen, von denen sie bei zu großem Schwung herabzustürzen drohen.

Die ununterbrochene Bewegung steckt an und der Raum, die Dschungeldisco wird ganz beschwingt erkundet. Mit jedem Schritt tun sich neue Details, Verhaltensweise und Interaktionen auf. Hier wird gebalzt, dort ganz unkontrolliert und völlig besoffen hin und her geschunkelt. Eine Ranke räkelt sich lasziv über den Boden. Eine weitere Pflanze fordert eine andere, etwas unmotivierte Gattung, penetrant und unermüdlich auf mitzutanzen. Ab auf den Dancefloor! Isolation abschütteln! 

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Rachel Youn, Revival, 2022, Installationview, Soy Capitán, Berlin. Foto: Roman März.

Rachel Youn haucht dem so leblosen Plastikgewächs Leben ein, wie es derzeit auch die gesamten Clubkultur und unsere eingerosteten Gelenke erfahren. Das Leblose scheint zu atmen, zu kommunizieren, sie bilden in ihren eigensinnigen Bewegungen einen Charakter heraus. Sie leben auf! Ein Revival eben. Zudem gibt die Künstlerin dem Leben der aussortierten Massagegeräten einen neuen Sinn, womöglich ihre wahre Existenz.

Früher haben sie Berührung vorgetäuscht, waren Platzhalter für Hände, haben elektrisch produzierte Kräfte auf Körper ausgeübt, um eine Entspannung zu erzeugen. Sie haben ein bescheidenes Leben geführt, ihre eigenen Bedürfnisse gegenüber den der anderen zurückgestellt. Sie konnten sich dank Youns Hände von ihrer Vergangenheit freistrampeln und dem Schrottplatz entgehen. Jetzt sind sie erlöst, wenn man so will. 

Erlösung ist ein zentraler Aspekt von Youns Arbeit, Erlösung im religiösen Sinne, die Freisetzung göttlicher Kräfte, der Befreiung des Körpers und der Seele in kirchlichen Kontexten. Das Überirdische ist auch hier spürbar, fast außerirdisch und unheimlich kann die Bewegung des Leblosen erscheinen, je länger darüber nachgedacht wird. Dann sehen die Pflanzen-Maschinen plötzlich wie kleine Zombis aus, die hier völlig außer Rand und Band sind. Und es stimmt ja auch, sie sind Untote, Auferstandene, Widergeborene und tanzen irgendwo auf einem seidenen Faden zwischen Leben und Tod.

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Rachel Youn, Revival (details), 2022, Soy Capitán, Berlin. Foto: Roman März

Irgendwann wird ihr maschinelles Herz den Geist aufgeben, sie könnten zu heiß laufen, ausbrennen wie ein Workaholic, und mit einem letzten großen Knall verdampfen – Schall und Rauch. Von einem drohenden Ende, einem Fall von der Box-Bühne lassen sie sich nicht beirren. Sie schütteln ihre elektrischen Körper zu der elektronischen Musik, die Youn auf den Ort Berlin zugeschnitten gemixt hat. Sie werfen ihre Sorgen ab und die Besucher*innen mit ihnen. Schmerzlich und feierlich zu gleich ist “Revival” eine Bewusstwerdung dessen, was es aufzuholen gilt, was verpasst wurde und dass jedes Vergnügen, auch das auf der Welt zu sein, endlich ist.

Diese Show ist trotz des sich unter Plastikblättern versteckendem tiefsinnigem doppeltem Boden ein maximales Vergnügen, ein rauschendes Fest! Jede*r wird lächelnd aus diesem Gewächshaus zurück in die Realität stolpern, ganz high vor Glück, wie nach einer gelungenen Partynacht mit Freunden. Der Zeitpunkt richtig Dampf abzulassen ist jetzt. Es ist höchste Zeit für eine Youn-Seelen-Massage. Carpe Diem, Leute! Shake it off! 

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Samstag, den 25. Juni.
WO: Soy Capitán, Prinzessinenstraße 29, 10969 Berlin.

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