Was du nicht siehst
Ellen Akimoto in der Galerie Judin

23. Februar 2023 • Text von

Wer in die Bildwelten von Ellen Akimoto eintaucht, erlebt die Gefühlszustände, die ihrer Malerei innewohnen, am eigenen Leib. In ihrer Ausstellung „My Eyes See Only What’s Not in Front of Me” in der Galerie Judin zeigt die Künstlerin ferne Landschaften und dekonstruierte Körper. Die dazugehörigen Geschichten müssen sich die Besucher*innen allerdings selbst ausmalen.

Ellen Akimoto: Shielding, 2022. © The Artist Courtesy Galerie Judin, Berlin

Wer seinen Mitmenschen im 15. Jahrhundert einen gehörigen Streich spielen wollte und dazu auch noch malen konnte, der griff auf’s Trompe-l’œil zurück: eine illusionistisch ausgeführte Malerei, die einer optischen Täuschung nahekam und den Betrachter*innen etwas vorgaukelte, was gar nicht oder nur in Teilen vorhanden war. Um die Frage „Ist etwas da, nur weil man es sieht?” dreht sich auch Ellen Akimotos Einzelausstellung „My Eyes See Only What’s Not in Front of Me” in der Galerie Judin – und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Die Besucher*innen werden gleich zu Beginn mit einem modernen Trompe-l’œil konfrontiert: Eine meterhohe Wandmalerei zeigt einen Vorhang, hinter dem – so scheint es – merkwürdige Dinge vor sich gehen. Neben einem Gewusel aus Händen sind zwei Silhouetten zu sehen, deren Verhältnis jedoch unklar ist: Streiten oder spielen die beiden Schatten? Oder sind dort womöglich sexuelle Handlungen zu sehen? Die Arbeit steht symptomatisch für Akimotos Vorgehen: Ihre Malerei deutet gewisse Gegebenheiten an, vermeidet aber eine eindeutige Auflösung der Szenarien.

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Ellen Akimoto: Installationsansicht. Photo: Katrin Hammer / © The Artist Courtesy Galerie Judin, Berlin

Und so zieht sich die Vagheit durch die folgenden Ausstellungsräume. Jedes der Gemälde scheint eine Erzählung zu beinhalten, vielleicht sogar ein Geheimnis. Da wären zum Beispiel ihre Porträts, meist einsame Frauenfiguren, die der Künstlerin auffällig ähnlich sehen. Tatsächlich beruhen die Darstellungen auf Fotografien von ihr. Den Gefühlszustand, den sie vermitteln, würde man wohl als Langeweile, Einsamkeit oder Lethargie deuten. Auffällig ist außerdem, dass die dargestellten Körper in Einzelteile zerlegt daherkommen.

Mal fehlen Gliedmaßen einfach oder schweben zusammenhanglos in der Luft. In anderen Fällen scheinen sich unterschiedliche Bildebenen zu überlappen oder ineinander zu schieben. Manchmal sind einzelne Körperteile lediglich unterschiedlich gefärbt: Ein blauer Finger ist an eine gelbe Hand montiert, die wiederum an einem weißen Arm hängt. All das trägt zur Rätselhaftigkeit der Konstellationen bei und führt dazu, dass die Körper wie menschliche Puzzle wirken.

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Ellen Akimoto: Installationsansicht. Photo: Katrin Hammer / © The Artist Courtesy Galerie Judin, Berlin

Die Collagenartigkeit der Arbeiten ist selbstverständlich kein Zufall: Die Künstlerin konzipiert ihre Werke digital und setzt sie anschließend malerisch um. Das Verschieben und Verbinden unterschiedlicher Bildebenen ist also Teil des Prozesses. Trotz dieser Vorgehensweise wirken die Gemälde nicht statisch oder unflexibel. Stattdessen scheinen all die Einzelteile ihrem eigenen Willen zu folgen: Allzu oft meint man, ein amputierter Arm habe sich gerade bewegt, der dazugehörige Rumpf sei nur vorübergehend aus dem Bild verschwunden oder die Vase habe kurz ihren Standort gewechselt. Es sind die Details, die Akimotos Gemälden ihre Lebendigkeit verleihen.

Das ist auch der Grund dafür, dass die Interieurs wie zufällige Momentaufnahmen wirken: Ein spontanes Festhalten des Ist-Zustands, einem von flüchtigen Schatten durchzogenen Innenraum oder die detailreiche Maserung von Bodendielen. Besonders spannend ist der Blick durch Glasobjekte, der das Auge abermals verwirrt und die Sicht verschwimmen lässt. Ähnlich geschieht das auch bei den Sprechblasen, die Akimoto vor die Gesichter einiger Protagonistinnen gesetzt hat: Sie suggerieren einen Gefühlszustand der Dargestellten – oder sind es doch unsere eigenen Emotionen, die dort zu sehen sind?

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Ellen Akimoto: Installationsansicht. Photo: Katrin Hammer / © The Artist Courtesy Galerie Judin, Berlin

An dieser Stelle gewinnt der Ausstellungstitel „My Eyes See Only What’s Not in Front of Me” erneut an Bedeutung. Abermals meint man, noch viel mehr wahrnehmen zu müssen, als auf der Leinwand vor einem zu sehen ist. Akimoto transferiert die zahlreichen Glitches, die ein digitales Bild verzerren, in den analogen Raum und lässt einen an der eigenen Wahrnehmung zweifeln. Wie gut, dass ihre Landschaftsdarstellungen dem Auge ein bisschen Erholung versprechen.

Der Blick in die Weite stellt einen Gegenentwurf zu den oftmals beengt wirkenden Innenräumen der Künstlerin dar. Ferne Bergwipfel versprechen Freiheit und Klarheit, wecken aber auch eine gewisse Melancholie – schließlich sind es entlegene Orte, die man sich im eigenen Zuhause ausmalt. Vielleicht ist es auch diese Thematik, auf die der Ausstellungstitel verweist: die Sehnsucht nach dem, was nicht in greifbarer Nähe weilt. Aufgelöst wird auch dieses Rätsel nicht. So oder so: In der Galerie Judin lohnt sich aktuell das mehrfache Hinsehen.

WANN: Die Ausstellung „My Eyes See Only What’s Not in Front of Me” ist noch bis 8. April zu sehen.
WO: Galerie Judin, Potsdamer Straße 83, 10785 Berlin.

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