Außerordentlich entspannt
Durch die rosarote Brille mit Tang Han

28. Mai 2021 • Text von

Mit einer Brotback-Session in der Pandemie zur nächsten Starkonditorin und dann ein Youtube-Workout für die ultimative Pandemie-Optimierung: Nach über einem Jahr Corona ist die Blase der produktiven Entspannung endgültig geplatzt. In ihrem neuen Werk “Exceptional Relaxation” beschäftigt sich die Künstlerin Tang Han mit unserem trügerischen Entspannungsbegriff. Im Interview spricht sie über den Wert ihrer frühen Werke, den rosafarbenen 100-Yuan-Schein und eine außerordentliche Erholung – wenn es sie denn gibt. (Text: Clara Tang)

Tang Han, Video Still from “Exceptional Relaxation”, 2020, 4 Min, courtesy of the artist.

gallerytalk.net: Es ist mittlerweile fast eine Klischee-Frage, aber ich möchte dich zum Einstieg trotzdem gerne fragen: Wie hat deine Kunst sich durch das letzte Jahr hier in Berlin entwickelt?
Tang Han: Meine vorherigen Arbeiten beschäftigen sich mit der Verbindung zwischen Deutschland und China, sie suchen im alltäglichen Leben nach einem Zwischenraum der zwei Lebensrealitäten. Da ich nun seit letztem Jahr nur in Berlin war, habe ich mich in gewisser Weise auf meine direkte Umgebung besonnen. Ich arbeite zum Beispiel an einem neuen Projekt zu Werbebildern der Berliner Immobilienlandschaft und den allgegenwärtigen Baustellen hier in der Stadt, die man auch als Sinnbild für den schwierigen Wohnungsmarkt sehen kann. Da gibt es wiederum Parallelen zu meiner Heimatstadt Guangzhou: Dort hat die Generation meiner Eltern noch Wohnungen in der Stadt kaufen können, was für uns Jüngere heute aufgrund der Wohnungspreise unmöglich ist.

Die Pandemie ist im übertragenen Sinne auch ein Thema in deinem neuen Werk “Exceptional Relaxation”. Das Video besteht aus digitalen Collagen mit einer Erzählstimme und beschäftigt sich mit dem Begriff der “Freizeit” oder “Erholung” und was das unter dem Leistungsdruck unserer Gesellschaft eigentlich noch bedeutet.
“Exceptional Relaxation” ist in unserer sehr speziellen Zeit produziert worden und reflektiert, wie ich meine Umgebung hier wahrgenommen habe. Schon vor der Pandemie habe ich über diese Thematik nachgedacht: Was bedeuten heute “Arbeitszeit” und “Freizeit”? Mich hat interessiert, was wirkliche Entspannung sein kann in Zeiten von Social Media, Home Office und einem omnipräsenten Druck, dauerhaft produktiv zu sein. Unter anderem habe ich hierfür verschiedene Bilder bestimmter Entspannungstrends, zum Beispiel Fotos gebackener Brote oder Fitness-Videos von Youtube, in meinem Werk vermengt.

Porträt von Tang Han, courtesy of the artist. // Studio von Tang Han.

Was bedeutet außerordentliche Ruhe und Erholung für dich? Bananenbrot backen?
Nein, Bananenbrot habe ich nicht gebacken. Ich kann tatsächlich keine richtige Antwort darauf geben. Genau deshalb habe ich das Thema auch in dieser Arbeit untersucht. Zeit ist heute eben Kapital. Ich weiß nicht, welche Lücke für mich im Alltag als “Freizeit” oder “Entspannung” gilt. Als Künstlerin ist es sowieso schwer, meine Arbeit von Freizeit abzugrenzen, denn Inspiration gibt es schließlich überall. Ich fahre aber oft in die Natur, um meine Gedanken zu ordnen. In den letzten Jahren habe ich außerdem das deutsche Pilze-Sammeln entdeckt! Das hat mir Natur auf eine andere Weise nähergebracht.

Wie hat sich deine künstlerische Praxis über die Jahre entwickelt?
Heute arbeite ich in verschiedensten Medien, zum Beispiel mit Video, aber auch mit Pflanzen oder Collagen. Ursprünglich bin ich allerdings an der Kunstakademie in Guangzhou für Malerei ausgebildet worden. Dort haben mir das Curriculum und die Lehrmethoden nicht gefallen, weshalb ich mich dann in Deutschland in anderen Medien ausprobiert habe. Zuerst habe ich hier an der Kunstakademie in Nürnberg im Studiengang Künstlerische Konzeptionen studiert, später an der Berliner Universität der Künste bin ich dann bei Kunst Im Kontext geblieben.

Tang Han, Video Still from “Exceptional Relaxation”, 2020, 4 Min, courtesy of the artist.

Gehört Malerei dann heute noch zu deiner Arbeit oder hast du dich davon abgewandt?
Gemalt habe ich schon seit langem nicht mehr. Es fällt mir schwer, wieder damit anzufangen. Oft kann ich meine Projekte nicht auf Leinwand darstellen. Meine letzten Malereien habe ich 2015 in Nürnberg mit der Werkserie “Money becomes Money” ausgestellt. Damals habe ich Geldscheine in Öl auf Leinwand gemalt, meine Arbeit auf Zeitkarten dokumentiert und sie anschließend in einer Auktion versteigert. Ich wollte untersuchen, wie sich meine physische Arbeit in Wert darstellen lässt, nachdem mich meine Mutter gefragt hatte, warum ich trotz meines Studiums keine Bilder verkaufen würde. Es wurden zwar alle Bilder verkauft, aber der Umsatz hielt sich dann leider doch in Grenzen.

Das Thema Geld und Währung spielt auch in deiner neuesten Arbeit “Pink Mao” eine zentrale Rolle. Kannst du mir erzählen, wie es zu diesem Werk kam?
Die Arbeit basiert auf einem Gespräch, das ich vor einiger Zeit mit meinen Freund*innen führte. Wir haben diskutiert, mit welcher Farbe der größte chinesische Geldschein, der 100-Yuan-Schein, bedruckt ist. Die meisten sagten, er sei rot, aber meiner Meinung nach hat er ganz klar rosa Farbtöne. Danach habe ich angefangen, die Entwicklung der chinesischen Währung historisch einzuordnen und über Rottöne in China und die Symbolkraft dieser physischen Geldscheine nachzudenken, die alle das Porträt von Mao Zedong zeigen. Das Video “Pink Mao” ist eine Dokumentation dieses Denkprozesses zu den Zusammenhängen von Farbwahl, Gender und den einhergehenden historischen Bildern der chinesischen Währung. Am meisten fasziniert mich daran, wie das maskuline Bild von Mao mit diesem Farb-Code zusammenhängt.

Tang Han, Video Still from “Pink Mao”, 2020, 22:30 Min, courtesy of the artist.

Das Video beschreibt auch, wie sich Mao Zedongs öffentliches Porträt verändert hat – von einer Seitenansicht zu einer frontalen Ansicht, sodass man nun beide Ohren, anstatt eines Ohrs erkennen kann – und welche Wirkung damit bezweckt wurde. Aber was passiert nun, wenn man gar keine Geldscheine mehr hat, sondern wie auch hierzulande vieles mit digitalen Alternativen wie Alipay via QR-Code bezahlt wird?
Das ist tatsächlich eine große Frage, die ich mir auch stelle. Ich glaube, dass die Bildkraft der physischen Geldscheine für die älteren Generationen noch von enormer Bedeutung war, während es für meine Generation eher als Mittel zum Konsum gesehen und deshalb nicht mehr direkt hinterfragt wird. Es gab allerdings vor ein paar Jahren eine Nachricht, dass eine große chinesische Bank ein neues digitales Zahlungssystem einführen möchte, das Maos Gesicht auch in digitaler Form beibehält. Ich bin sehr gespannt, ob und wie das umgesetzt wird.

Viele deiner Werke speisen sich aus Bildern und Videos aus dem Netz. Haben dich die Entwicklung des Internets und der Konsum von Online-Content beeinflusst?
Ich bin in Guangzhou in der südchinesischen Provinz Guangdong aufgewachsen, die schon sehr früh von der visuellen Kultur Hongkongs beeinflusst wurde. Es gab viele Hongkonger Fernsehsendungen, mit denen ich groß geworden bin, und die mich nachhaltig geprägt haben. In meiner Kindheit hat mich besonders die Werbung von dort fasziniert, die voller aufgeladener Bilder steckte, auch wenn die Botschaften dahinter meist relativ simpel waren. Daher kommt wohl ein großer Teil meines Interesses für Konsumkultur und die Reproduktion von Bildern in der Populärkultur. Auch wenn wir heute andauernd passiv mit Werbung konfrontiert sind, versuche ich, mich bewusst mit den Bildinformationen zu beschäftigen. In China geht das zum Beispiel sehr gut in der U-Bahn – dort werden manchmal ganze Züge für Werbekampagnen tapeziert. Man kann aus der gegenwärtigen Bilderflut etwas lernen, wenn man genau hinschaut.

Tang Han, Video Still from “Pink Mao”, 2020, 22:30 Min, courtesy of the artist.

Fühlst du dich hier mittlerweile zu Hause und in der Kunstwelt hier angekommen?
Das ist eine schwere Frage, auf die ich persönlich keine eindeutige Antwort habe. Ich wohne natürlich in Berlin und habe mein Studio seit ein paar Jahren hier. Für mich ist dieser “Platz” in der Kunstwelt, wie du ihn nennst, ein Prozess, an dem ich konstant arbeite. Es ist aber immer eine Art Zustand des “Dazwischens”.

Was treibt dich dieser Tage in Berlin um?
Ich habe eine neue Faszination für Gingkobäume und werde vielleicht eine neue Arbeit daraus machen. Wusstest du, dass man die Gingkofrüchte essen kann? Sie stinken zwar sehr, aber in China werden die Samen im Inneren zum Beispiel für Suppen verwendet. Hier schauen mich Passanten nur schräg an, wenn ich die Früchte sammle. Seit 2021 bin ich außerdem Teil des BPA, dem Berlin Program for Artists, in dem sich jüngere Künstler*innen mit erfahrenen Kulturschaffenden zusammenschließen. Alle zwei Wochen bekomme ich Besuch von einer der Mentor*innen, mit denen ich über verschiedene Aspekte meiner künstlerischen Praxis sprechen kann. Für mich als asiatische Künstlerin, die in der deutschen Kunstszene ankommen möchte, war das bisher eine sehr spannende Bereicherung.

Mehr zu Tang Han gibt es auf ihrer Website oder auf ihrem Instagram-Account.

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