Alles wird gut
Paul Wallington bei Siddiq Projects

19. Februar 2024 • Text von

Das Phänomen “Mean World Syndrome” beschreibt ein verändertes Weltbild, das sich aus dem Konsum von negativen Nachrichten ergibt. In seiner gleichnamigen Ausstellung bei Siddiq Projects in Hamburg präsentiert Paul Wallington eine Auswahl von Malereien, deren Motive aus seinem persönlichen Bildarchiv stammen. Sie beziehen sich auf Bilder aus Popkultur, Nachrichten und historischen Aufnahmen.

Paul Wallington, Mean World Syndrome, Ausstellungsansicht, Siddiq Projects, 2024.

In Jonathan Glazers neuem Spielfilm “The Zone of Interest” erzählt er die fiktive Geschichte eines KZ-Kommandanten, der mit seiner Familie in unmittelbarer Nähe des Lagers lebt. Obwohl die Ereignisse im Lager nur durch vereinzelte Szenen im Film indirekt angedeutet werden, ist die Präsenz der Gewalt allgegenwärtig.

Diese Unmittelbarkeit und wie Gewalt in den Alltag eindringt, ist auch das zentrale Thema von Paul Wallingtons Ausstellung “Mean World Syndrome” im Hamburger Galerieraum Siddiq Projects. Wallington nutzt ein privates Fotoarchiv aus Nachrichten, Reels und persönlichen Aufnahmen, um verschiedene Momentaufnahmen der Gewalt in Malereien zu transformieren.

Paul Wallington, Mean World Syndrome, Ausstellungsansicht, Siddiq Projects, 2024.

Ein brennender Wald, das Bild eines Kindes, das getauft wird, Aufnahmen eines Konzerts: die Bildmotive zeigen Momentaufnahmen ganz unterschiedlicher Situationen. Nicht alle zeigen Grausames. Trotzdem schleicht sich als zunächst unbekannter Nenner ein Gefühl des Untergangs ein, das sich direkt auf alle gezeigten Motive ausbreitet.

Unter dem Begriff “Mean World Syndrome”, zu deutsch “Gemeine-Welt-Syndrom”, befasste sich der Medienpsychologe George Gerbner in den 1970er-Jahren mit dem Konsum von realen und fiktiven Gewaltdarstellungen auf die menschliche Psyche. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Einschätzung einer real ausgehenden Gefahr der Welt stark durch den Konsum dieser Bilder beeinflusst wird. Etwa 50 Jahre später besteht mit “Doomscrolling” eine weitere Möglichkeit, dieser kognitiven Verzerrung zu erliegen.

Paul Wallington, Mean World Syndrome, Ausstellungsansicht, Siddiq Projects, 2024.

Allgemein bekannt als “Reels” und zugeschnitten auf persönliche Präferenzen bieten mittlerweile fast alle Social Media Plattformen ihren Nutzenden kurze Videoformate an. Anknüpfend an die Sehgewohnheiten im Internet sind Wallingtons Arbeiten an das typische 16:9-Hochformat eines Smartphone-Bildschirms angelehnt. Ähnlich materialisierter Momentaufnahmen präsentieren sich seine Malereien wie Screenshots in den Galerieräumen und verwandeln diesen in eine physische Manifestation des digitalen Raums.

Im Gegensatz zum digitalen Konsum besteht der Unterschied darin, dass die Besuchenden der Ausstellung gleichzeitig eine Ansammlung von Momenten erfahren. Um diesem negativen Nachrichtensog entgegenzuwirken, balanciert der Künstler seine Bildmotive allerdings so aus, dass sie zwischen dem Ikonischen, Sensationellem, Relevantem und teilweise Banalem liegen – ähnlich einem ausgleichenden Akt.

Paul Wallington, Mean World Syndrome, Ausstellungsansicht, Siddiq Projects, 2024.

Dieser ermutigende, sanfte Blick auf die Realität wird zudem bestärkt, indem Wallington persönliche Erinnerungen, Selbstbildnisse und Portraits von ihm nahestehenden Menschen in seine Formate überträgt. Häufig sind Motive zu sehen, in denen Personen scheinbar Beobachtungen machen, die jedoch den Betrachtenden verborgen bleiben.

Trotz der visuellen Referenzen hinterlässt Wallington in seiner Ausstellung Lücken, die durch das kollektive Bildgedächtnis vervollständigt werden können. Das Motiv der Person, deren Motorradbekleidung vollständig von Flammen umhüllt ist, erinnert an die Geschichte des tibetischen Mönchs Thích Quảng Đứcs, der sich in einem Akt des Protestes gegen die Unterdrückung buddhistischer Bevölkerung in Vietnam selbst in Brand steckte – eine Fotografie, die 1963 unzählige Titelbilder säumte.

Paul Wallington, Mean World Syndrome, Ausstellungsansicht, Siddiq Projects, 2024.

Mit „Mean World Syndrome” demonstriert Wallington, dass Medienkonsum einer bestimmten Art Gestaltungsräume einschränken kann. Seine Arbeiten appellieren an die Eigenverantwortung derer, die sich dieser Wirkweisen bewusst sind und sich im besten Fall vor einer selbsterfüllenden Prophezeiung retten können.

WANN: Die Ausstellung “MEAN WORLD SYNDROME” läuft noch bis Samstag, den 16. März.
WO: Siddiq Projects, Bahrenfelder Straße 57, 22765 Hamburg.

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