Den Wahnsinn auf Erden verstehen
Heidrun Sandbichler in der Villa Stuck

14. August 2023 • Text von

In den eleganten Räume der Villa Stuck verpackt sie die großen Sujets unserer Zeit. In ihrer Einzelausstellung “Nachtgesang” bearbeitet die österreichische Künstlerin Heidrun Sandbichler unseren Umgang mit Folgen von Migration, Krieg und diktatorischen Herrschaftssystemen. Ein gewaltiges Themenspektrum, das in äußerster Ästhetik erscheint und gleichzeitig viele Fragen aufwirft.

Heidrun Sandbichler Vestibuel Eingang
Ausstellungsansicht “Nachtgesang.Heidrun Sandbichler”, Museum Villa Stuck, 2023, Foto: Miro Kuzmanovic // Ausstellungsansicht “Nachtgesang.Heidrun Sandbichler”, Museum Villa Stuck, 2023, Foto: Miro Kuzmanovic.

Durchaus ästhetisch, tiefgründig und mit eleganter Zurückhaltung verarbeitet Heidrun Sandbichler zweifellos ernste Sujets in ihren Kunstwerken. Beinahe unscheinbar gliedert sie sich mit ihrem Oeuvre in die teilweise vor Dekoration nur so strotzenden Räumlichkeiten der Künstlervilla von Franz von Stuck. So präsentiert Sandbichler im Vestibül der Villa, das sich durch eine Rezeption großer Werke der Kunstgeschichte wie der Medici Venus auszeichnet, zwei ineinander stehende kreisförmige Eisenkonstruktion aus einzelnen Stäben. 

Die Werke und Symbole des Vestibüls, die von Stuck dort platzierte, stehen für Gastfreundschaft – im übertragenen Sinne Offenheit und Akzeptanz. Das käfigartige Konstrukt Sandbichlers spricht Gegenteiliges. Ein geschlossener Kreis, ein Gefängnis aus dem kein Entkommen möglich ist. Die Arbeit mit dem Titel “Eine Arbeit zur allgemeinen Theorie der Dressur” (2008/2014) bezieht sich auf den Entwurf eines perfekt konstruierten Gefängnisses des englischen Juristen und Sozialreformers Jeremy Bentham (1748–1832). Als Rundbau konstruiert und in der Mitte ein Wachturm ist für die Gefangenen ein Entkommen ausweglos. 

Heidrun Sandbichler Krieg
Heidrun Sandbichler, Der Krieg, 2014, Foto: Claudio Abate.

In einer zugehörigen Beschreibung hat Sandbichler ähnliches notiert: “(…) Sie betreten eine Architektur, die ein Verlassen der Zellen nicht vorsieht. Ein Ort der radikalen Isolation und Überwachung (…) ein Querschnitt unserer Denksysteme und Taktik.” Die Zeilen sind eine gute Einführung in die Sujets ihrer nachfolgend ausgestellten Werke wie “Krieg”, eine stählerne Rasierklinge oder eine verrostete Kinderschaukel, die im ersten Stock der Villa steht. Auf der Schaukel hat schon lange kein Kind mehr gesessen – das Bild der verlassenen Schaukel wirkt verstörend, hinterlässt ein mulmiges Gefühl im Bauch. 

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Ausstellungsansicht “Nachtgesang.Heidrun Sandbichler”, Museum Villa Stuck, 2023, Foto: Miro Kuzmanovic.

Das menschliche Wesen als Spielball des Schicksals und willkürlich den gewaltsamen wie perfiden Gedanken der Mitmenschen ausgesetzt, ist zentral im Oeuvre der österreichischen Künstlerin, die in der Villa Stuck ihre erste Einzelausstellung in Deutschland präsentiert. Ihre Aussagen in den Zeichnungen, Installationen und Objekten unterstützt Sandbichler mit Texten und Gedichten vergangener Jahrhunderte. So liegt die Geschichte des “Wahnsinns” dieser Welt als Buch “De La Folie”, das 1845 in Paris erschien, in spiegelverkehrter Form in einer Vitrine. Dass sogenannter Wahnsinn fortwährend ist – oder beinahe zu uns gehört, verdeutlichen die Turbulenzen unserer Gegenwart.

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Ausstellungsansicht “Nachtgesang.Heidrun Sandbichler”, Museum Villa Stuck, 2023, Foto: Miro Kuzmanovic.

So kann man sich beim Verlassen der Ausstellung nur auf den kleinen Funken Hoffnung stützen, den das Sonett der amerikanischen Dichterin Emma Lazarus vermittelt. Den Eingang der Villa verhängend hat Sandbichler den Text, der anlässlich der Aufstellung der Freiheitsstatue entstand, auf ein Plakat drucken lassen: “(…) Give me your tired, your poor; Your huddled masses yearning to breathe free; The wretched refuse of your teeming shore. Send these, the homeless, tempest-tossed to me (…).” Die Hoffnung stirbt zuletzt.
[„Gebt mir eure Müden, eure Armen, Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten; Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen (…)”; dt. Übersetzung].

WANN: Die Ausstellung läuft bis einschließlich 1. Oktober.
WO: Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, 81675 München.

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