Alte Tasten, neue Codes
"43% happy" von Viktoria Binschtok bei Klemm‘s

15. Dezember 2023 • Text von

Viktoria Binschtok beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit der Informationsflut, der wir täglich online und offline ausgesetzt sind. Ihre “Typewriter Photographs”, die derzeit in der Ausstellung “43% happy” bei Klemm’s zu sehen sind, zeigen auf alten Schreibmaschinen abgetippte Ergebnisse von KI-Bilderkennungsprogrammen. Was bleibt am Ende von den Menschen, ihren Gesichtern und Geschichten?

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Viktoria Binschtok, Mona L., 28, 2023, digital c-print, 80 x 60 cm. // Viktoria Binschtok, Three Adults, 2022, digital c-print, Alu-Dibond lamination, museum glass, 80 x 60 cm.

Vergangenheit trifft Gegenwart. Die Ausstellung “43% happy” von Viktoria Binschtok in der Galerie Klemm’s präsentiert Fotografien einer alten Schreibmaschine, einer Typenhebelmaschine, in die ein weißes Blatt Papier eingespannt ist. Diese vielen Schreibmaschinen im Ausstellungsraum zu sehen, lässt sofort ein lautes Tastenklappern im Kopf ertönen. Auf den ersten Blick erscheinen die Fotos recht ähnlich, sie unterscheiden sich jedoch in den Worten und Zahlen, die sich in unterschiedlicher Anordnung jeweils auf dem Blatt Papier befinden. Die Arbeiten zeigen in Textform und englischer Sprache oberhalb der Schreibmaschine unter anderem menschliche Eigenschaften beziehungsweise allgemeine Erkennungsmerkmale, wie “adult, male, brown hair” (erwachsen, männlich, braune Haare) oder einzelne Schlagworte, wie “person” oder “building” (Gebäude), die sich auf dem Papier immer wieder überlagern und anhäufen. Wofür stehen diese Worte und Zahlen? Welche Codes tragen sie in sich, die wir nicht verstehen?

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Viktoria Binschtok, installation view, “43% happy”, KLEMM’S 2023.

Der Ausstellungstitel “43% happy” ist hinweisengebend, denn die prozentuale Quantifizierung von Emotionen ist ein typisches Merkmal von KI-basierten Gesichtserkennungsprogrammen. Und damit befinden wir uns wieder im Hier und Jetzt, mitten drin im technischen Entwicklungsprozess unserer Gegenwart. Sogenannte “Action Units” erfassen einzelne Mimikzustände und verknüpfen sie zu einem bestimmten Prozentsatz der Emotion X. Was im menschlichen Miteinander schwer zu fassen scheint, nämlich einen Gemütszustand genau zu quantifizieren, übernimmt hier eine künstliche Intelligenz und reduziert es auf ein kühnes Minimum.

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Viktoria Binschtok, NYC Skyview, 2022, digital c-print, Alu-Dibond lamination, museum glass, 80 x 60 cm. // Viktoria Binschtok, Suspect found!!!, 2023, digital c-print, 80 x 60 cm.

Auch Aussagen über das Alter, das Geschlecht und eine beliebige Anzahl weiterer Parameter können mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ermittelt und ausgewertet werden. Wer verbirgt sich also hinter der Quantifizierung von “43% happy”? Ein genauer Blick gibt Aufschluss: Neben dieser Information finden wir in der Arbeit von Viktoria Binschtok noch weitere – “28 year old women” (28-jährige Frau) und “brown hair” (braunes Haar), der Titel der Fotografie lautet “Mona L.”. Aha, hier wird also nicht die Künstlerin selbst oder eine andere uns unbekannte Frau beschrieben, sondern es handelt sich um eine recht vage und nüchterne Beschreibung einer der wohl bekanntesten Frauen der Kunstgeschichte – der Mona Lisa, die Leonardi da Vinci einst für die Nachwelt porträtiert hat. Das ist das, was von der Mona Lisa übrig bleibt, wenn sie ein KI-Programm zur Gesichtserkennung beschreibt. Auch die anderen Fotografien der “Typewriter Photographs” zeigen in Textform transformierte Versionen von Bildern – Ausgangspunkt sind private Fotos der Künstlerin, Pressefotos oder Werbeanzeigen.

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Viktoria Binschtok, installation view, “43% happy”, KLEMM’S 2023.

Auch wenn die Fotos bei Klemm’s nackte Zahlen und Fakten zu Papier bringen, transportieren sie eine Nachdenklichkeit und Reflexion, die weit über das Visuelle hinausgeht. Die teilweise unruhige Anordnung und Wiederholung der Wörter erinnert an kurze Gedichte, manche Buchstaben sind hier und da leicht verschmiert. Die Arbeiten von Viktoria Binschtok werfen Fragen und Gedanken auf – darüber, was die Daten- und Informationsflut unserer Zeit, in der sich Individualität hinter einer nüchternen Bezifferung aufzulösen scheint, mit uns macht, oder welche Folgen digitale Programme für unsere Gesellschaft haben könnten. Im Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen der Zeit vor und während der zunehmenden Popularität künstlicher Intelligenzen, öffnet die Ausstellung “43% happy” einen Raum für Poesie, Medienreflexion und die Freiheit der Kunst.

WANN: Die Ausstellung “43% happy” läuft bis zum 13. Januar 2024.
WO:
Galerie Klemm’s, Prinzessinnenstr. 29, 10969 Berlin.

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