Disruption und Konsumption
Jonas Roßmeißl in der Galerie Klemm's

9. Oktober 2021 • Text von

Mal eben schnell ein Foto von den Kunstwerken gemacht und schon auf diversen Social-Media-Plattformen hochgeladen? Nicht hier, nicht bei der Ausstellung des Künstlers Jonas Roßmeißl in der Galerie Klemm’s. Wer ein Foto mit dem Smartphone aufnimmt, wird darauf störende schwarze Streifen erkennen. Das ist nicht zufällig so, sondern Teil des Konzeptes. (Text: Stella Baßenhoff)

Jonas Roßmeißl: Die neue Statik | a new static, 2021, installation view, at Klemm’s, Berlin.

In einem Nebenraum hat Jonas Roßmeißl einen sogenannten Jammer installiert, der die Funksignale von Computern und Smartphones stört. Auch die Lichtinstallation im Galerieraum ist vom Künstler als Teil der Ausstellung „Die Neue Statik“ mitgedacht worden. Sie verursacht die dunklen Streifen in der Bildaufnahme. Es handelt sich dabei um eine bestimmte Lichttechnologie, das sogenannte Lishield, die von dem Informatiker Chi Zhang und dem Algorithmus-Designer Shilin Zhu entwickelt wurde. Sie unterbricht den Prozess der Bildproduktion und parametriert das Licht in dunkle und helle rhythmische Überlagerungen.

Es wird deutlich, wer hier angesprochen wird: diese, unsere Mediengesellschaft. Eine Gesellschaft, die abhängig ist von digitalen Medien und Social Media, die sich selbstverständlich in einer Welt voller Technologien bewegt und das alles in einem rasanten Tempo.

Innerhalb der Ausstellung hat der Roßmeißl Skulpturen und komplexe mehrteilige Settings geschaffen. An der Wand bewegen sich Schredder um ihre eigene Achse, eingebaut in unterschiedliche Bildträger. Einmal in einer Leinwand („Shredder M“, 2021), das andere Mal in einem Flachbildfernseher („Shredder L“, 2021). Ein geteilter hölzerner „Nachtwächter“hält ein Smartphone in der Hand und der Kopf der „Freiheitsstatue“präsentiert uns ein Röhrchen, welches wir von Blutentnahmen kennen. Alles wirkt ein bisschen wie in einer Dystopie. Maschinen, Technik, Digitalität, Technologie.

In eine Leinwand frisst sich ein Metallgewinde.
Jonas Roßmeißl: Shredder M, 2021. Die Neue Statik, Klemm’s, 2021.

Bis zur Fertigstellung seiner Arbeiten durchläuft Roßmeißl einen langen Prozess. Dieser beginnt mit der Recherche, geht in die Aneignung von Mechanismen und technologischem Wissen über und gipfelt schließlich in der endgültigen Werkproduktion. Aber dieser Prozess hört bei manchen Werken von Roßmeißl nicht auf. Der „Shredder M“ frisst sich durch die Leinwand, verändert die Oberfläche und somit das Bild. Der „Nachtwächter“ wurde in zwei Teile gesägt. In einen davon wurden Holzwürmer gegeben, was zu einer langsamen, aber stetigen Zersetzung des Materials führen wird.

Roßmeißl verknüpft historische Motive, Informations- und Materialzuschreibungen mit modernen Elementen aus Technik, Technologie und Digitalität. Mit den Schreddern bezieht sich Roßmeißl auf das Konzept eines zeitgenössischen Ikonoklasmus, in den Formen einer Art „Luddismus“, was sich auf die Bewegung englischer Textilarbeiter im 19. Jahrhundert bezieht. Der Künstler „rettet“ so historische Motive durch eine zeitgenössische Provokation.

Links eine Close-Up eines Metallobjekts, rechts die Skulptur "Nachtwächter", ein Holzmann hält ein Smartphone in den Händen.
Jonas Roßmeißl, Die Neue Statik, Klemm’s, 2021. Detailansichten.

In dem Röhrchen, das uns die „Freiheitsstatue“ präsentiert, befindet sich ein Genom-String der mtDNA, der mitochondrialen Eva. Aus dieser mitochondrialen DNA ist die mitochondriale DNA aller heute lebenden Menschen hervorgegangen. Der Künstler hatte hierfür Zugang zu einem industriellen DNA-Synthese-Labor, wo er DNA-Strings aus Datendateien erstellen konnte. Es ruft in Erinnerung, dass wir alle etwa 99,9 % unseres Genoms gemeinsam haben. Dies wird in der Ausstellung durch die Freiheitsstatue aufgegriffen, Symbol für Freiheit, Unabhängigkeit und Gleichheit. Das diese Werte aber nicht für jeden gleichermaßen zutreffen, wird durch die Gegenüberstellung noch deutlicher. Eigentlich sind wir alle gleich, aber wir sind es dennoch nicht.

Der Künstler ist ein Beobachter unserer Gesellschaft und ihrer Gegebenheiten. Wie betrachten wir Bilder? Wie verhält sich die Gesellschaft unter repressiven Systemen und dem Einfluss von Technologie und wie das Verhältnis zwischen Disruption und Konsumption? Roßmeißl versucht, auf unsere Wahrnehmung anzuspielen. Dabei tauchen immer wieder Details auf, die in Interaktion mit den Betrachtenden gehen. Bei dem „Shredder M“ hat der Künstler einen Sensor am oberen Leinwandrand angebracht. Man beobachtet sich dabei, herauszufinden, ob dieser Sensor auf eine Reaktion wartet. Es passiert: nichts. Das macht einem bewusst, wie sehr unsere Gesellschaft auf digitale Instrumente ausgelegt ist. Nehmen wir noch wahr oder lassen wir uns diese Wahrnehmung abnehmen?

WANN: Die Ausstellung „Die Neue Statik“ von Jonas Roßmeißl läuft bis Samstag, den 23. Oktober.
WO: Galerie Klemm’s, Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin