Felt cute, might delete later?
Viktoria Binschtok macht fotografische Netzwerke sichtbar

25. November 2020 • Text von

Viktoria Binschtok zeigt bei Klemm‘s fotografische Schnittstellen auf. Die Ausstellung „Not until Tomorrow“ verdeutlicht die (Un-)Endlichkeit von Bildern im digitalen Raum und unseren inneren Drang, Zusammenhänge herzustellen.

Foto-Installation von Viktoria Binschtok in der Galerie Klemms.
Viktoria Binschtok: “Not until Tomorrow”, Installationsansicht. Klemms, 2020.

Klassischer Digital-Natives-Move: Mitten in der Nacht sehr hübsch gefühlt und ein Selfie gepostet, versehen mit dem Hashtag #FeltCuteMightDeleteLater oder #UntilTomorrow. Unter Letzterem finden sich auf Instagram knapp 1,5 Millionen Beiträge, alle mit der Intention geteilt, nur kurz im Internet herumzuschwirren und am nächsten Tag wieder gelöscht zu werden. Aber wie realistisch ist ein Nimmerwiedersehen im digitalen Raum?

Titel und Inhalt der Ausstellung „Not until Tomorrow“ greifen diese Frage auf. Viktoria Binschtok setzt mit ihren „Networked Images“ Fotografien in Beziehung zueinander, die ihr die umgekehrte Bildersuche vorgeschlagen hat. Durch visuelle Analogien überschneiden sich eigene und angeeignete Fotografien der Künstlerin, sei es in Farbe, Form oder Materialität. Oder allem gleichzeitig.

Und das sieht dann so aus: Wolke trifft auf Kokain, Eistüte auf Eiffelturm. Es entspinnt sich ein Netzwerk von Zufälligkeiten im Galerieraum. Auf den ersten Blick nehmen wir nur die optischen Zusammenhänge wahr, doch an den Schnittstellen suchen und finden unsere Gehirne automatisch weitere Verlinkungen. Wir wollen Zusammenhänge sehen. Und so entsteht ein interessantes Assoziationskino: Was könnten der Flugzeugflügel und die Karotte abgesehen von ihrer farblichen Übereinstimmung noch gemeinsam haben?

Präsentiert sind die Fotos neben- oder untereinander, teilweise überlappen sich Ausschnitte und Rahmen. In der Ausstellung gibt es keinen vorgegebenen Weg, die Rauminstallation lässt sich durch- und umschreiten. Nahezu freischwebend montierte Bilder ermöglichen es, Binschtoks Werke auch von hinten zu betrachten. Fast scheint es, als würden die Bilder an beliebigen Stellen im Galerieraum aufploppen, so willkürlich sind sie platziert. Alle gleichzeitig prasseln sie auf die Besucher*innen ein und stehen somit sinnbildlich für die Bilderflut, der wir im Internet ausgeliefert sind.

 „Not until Tomorrow“ gleicht einer Momentaufnahme von Suchergebnissen, die durch das ständige Einspeisen von Daten jetzt schon nicht mehr zurückzuverfolgen ist. Die Ausstellung macht deutlich, dass einmal geteilte Bilder irgendwo im Netz erhalten bleiben und dort neue Verknüpfungen eingehen. Viktoria Binschtok schwingt jedoch keineswegs die Moralkeule, sondern visualisiert die Vernetzung ihrer Fotografien mit kompositorischer Raffinesse.

WANN: Die Ausstellung „Not until Tomorrow“ ist noch bis  Samstag, den 19. Dezember, zu sehen.
WO: Klemm’s, Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin. Wer lieber zuhause bleiben aber nichts verpassen möchte, findet hier die Online-3D-Tour durch die Ausstellung.

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