Wer vertraut der Polizei?
Mario Pfeiffer bei KOW

30. September 2022 • Text von

In „Cell 5 – A Reconstruction“ widmet sich Mario Pfeiffer dem Fall von Oury Jalloh, der verbrannt in seiner Gefängniszelle aufgefunden wurde. Die Todesursache ist nach wie vor unklar. Vieles weist auf Fremdeinwirken hin – beteiligt gewesen sein könnten nur Polizeibeamte. Die schleppende Aufklärung zieht sich bereits über Jahre und scheint seitens der Behörden sabotiert zu werden. Dieser und andere vermeintlich rassistisch motivierte Fälle, trüben das Vertrauen in die Staatsgewalt. Kann eine Filminstallation helfen?  

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Mario Pfeifer, Cell 5 – A Reconstruction, 2022, video still, courtesy the artist and KOW, Berlin, photo: Ladislav Zajac.

Immer wieder kommt es bei der Polizei zu Rassismus-Vorwürfen. Erst jüngst standen wieder Berliner Beamt*innen in der Kritik und im August diesen Jahres wurde der Fall eines 16-jährigen aus dem Senegal geflüchteten Jungen öffentlich diskutiert, der bei einem Polizeieinsatz erschossen wurde. Spätestens seit NSU und Georg Floyd stellt sich die Frage: Können Menschen mit Migrationshintergrund der Polizei vertrauen?

Bei einer im August 2020 veröffentlichten Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des TV-Magazins „Report München“ betonte fast ein Drittel der Befragten, “Rassismus bei der Polizei“ sei ein großes oder sehr großes Problem. Dieses Gefühl ergänzte auch eine Studie von Christian Czymara von der Frankfurter Goethe-Universität und Jeffrey Mitchell von der Universität Umeå in Schweden, in der Daten von knapp 20.000 Immigrant*innen aus 22 europäischen Ländern aus den Jahren 2006 bis 2019 analysiert wurden. Die Studie ergab, dass das Vertrauen der Menschen in die Polizei anfänglich sehr groß ist, jedoch tendenziell abnimmt, je länger die Menschen im Zielland leben. Erklärt wurde dies zum einen durch die abnehmende Erinnerung an das Herkunftsland und die dortigen Zustände, zum anderen durch vermehrt auftretende Diskriminierungserfahrungen.

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Mario Pfeifer, Cell 5 – A Reconstruction, 2022, 4K video installation, surround sound, color, 43 min, exhibition view KOW 2022, courtesy the artist and KOW, Berlin, photo: Ladislav Zajac.

Die Kampagne „Death in Custody“  verzeichnet, dass es in Deutschland seit 1990 zu 216 Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Personen in Gewahrsam und durch Polizeigewalt in Deutschland gekommen ist. Einer dieser Fälle ist der von Oury Jalloh, dessen unterstützender Aufklärung sich die Filminstallation „Cell 5 – A Reconstruction“ von Mario Pfeiffer bei KOW widmet. Das Herzstück der Ausstellung ist eine filmische Beweisaufnahme, die in dokumentarischen Stil an eine True Crime Doku mit forensischem Charakter erinnert. Hinter einem Vorhang verborgen, in düsterem Setting, seziert der Film den Fall Jallohs und erlaubt einen Blick auf die aktuelle Bestandsaufnahme. Die Szenerie im oberen Stockwerk des KOW wirkt düster wie die Geschichte selbst.

Jalloh war im Januar 2005 in Untersuchungshaft genommen und wenig später tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Der Leichnam war stark verbrannt und die Todesursache unklar. Vieles wies auf Fremdeinwirkung hin, jedoch bezeugten die zuständigen Polizeibeamten, Jalloh habe sich selbst im gefesselten Zustand mit einem Feuerzeug angezündet. Laut Untersuchungsbericht brannte das Feuer in der kleinen Gewahrsamszelle Nr. 5 der Polizeistation Dessau Roßlau 30 Minuten lang und wurde vermutlich bis zu 800 Grad heiß, bevor die Feuerwehr eintraf.

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Mario Pfeifer, Proof of the Unthinkable, exhibition view of archival material, KOW 2022, courtesy the artist and KOW, Berlin photo: Ladislav Zajac.

Der Fall wurde über mehrere Jahre hinweg immer wieder aufgerollt und untersucht – nach wie vor ist jedoch nicht klar, wie es zu dem Tod kommen konnte. Besonders die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hatte immerzu neue Gutachten und Prozesse angestrebt, wodurch mittlerweile belegt werden konnte, dass Jalloh bereits vor dem Brand starke Verletzungen erlitten hatte. Es deutet vieles darauf hin, dass Polizeibeamte in den Tathergang involviert waren und dass dies von verschiedenen Institutionen vertuscht werden sollte.

Der an einer Studie zu rechtswidrigem Polizeiverhalten beteiligte Kriminologe Tobias Singelnstein bestätigt das häufige Auftreten dieses Verhaltens in einem Interview mit dem Magazin Der Spiegel. Darin betont er, wie schwierig die Erhebung von Daten zu rechtwidrigem Verhalten der Exekutive sei, da die Staatsanwaltschaft in vielen Fällen keine Anklage erhebe, um „Fehler“ von Polizeibeamten lieber intern und leise zu klären.

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Mario Pfeifer, Cell 5 – A Reconstruction, 2022, video still, courtesy the artist and KOW, Berlin, photo: Ladislav Zajac.

Die lückenhafte Aufarbeitung seitens der Behörden ist problematisch, denn besonders jetzt wäre es wichtig, dass die Polizei sich sowie ihre Arbeit reflektiert und erklärt. Leider ist es nicht die Institution, die sich ehrgeizig zeigt, einen Wandel einzuläuten, sondern externe Initiativen und Projekte wie die Filminstallation Pfeiffers. Dort erfahren Zuschauende eine chronologische Aufarbeitung der Ereignisse, der Sachlage und Geschehnisse.

Die Hartnäckigkeit einzelner an Fällen festzuhalten, sie immer wieder aufzurütteln, neu auf den Tisch zu legen und zu untersuchen, ermöglicht zumindest in einzelnen Fällen eine Aufklärung. Eine Aufklärung, die neues Vertrauen schaffen könnte – wenn die Exekutive sie unterstützen würde. Auch wenn der Anspruch der Forensik mehr Objektivität benötigt, als es in einer künstlerischen Aufarbeitung häufig gegeben ist, so hilft sie doch auf jeden Fall, die Menschen immer wieder zu erinnern.

WANN: Die Ausstellung von Mario Pfeiffer läuft bis Samstag, den 12. November.
WO: KOW, Lindenstraße 35, 10969 Berlin.

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