Majerus Mania 2022
Michel Majerus in Berlin und Hamburg

20. Dezember 2022 • Text von

Michel Majerus war ein Ausnahmekünstler. Selten hat jemand derart akribisch Kunst produziert. Trotz seines kurzen und dramatisch geendeten Lebens schuf Majerus ein gewaltiges Oeuvre. Er setzte sich zeitlebens mit aufkommenden popkulturellen Strömungen, Massenmedien, dem Bürgertum und der Digitalisierung auseinander. Die zunehmende Geschwindigkeit von Abläufen jeglicher Art, die allgemeine Reizüberflutung waren Themen seiner Werke. Anlässlich seines 20. Todesjahres widmen sich 18 deutsche Institutionen seinem Schaffen. Wir haben die fünf Einzelausstellungen in Berlin und Hamburg besucht. 

MajerusEstate kosuthmajerussonderborg2022
Installationsansicht: kosuth majerus sonderborg – an installation by Joseph Kosuth, Michel Majerus Estate, Berlin, 2022 © Joseph Kosuth / VG Bild-Kunst, Bonn 2022; © Michel Majerus, 2022. Courtesy neugerriemscheider, Berlin and Matthew Marks Gallery; © K.R.H. Sonderborg, Galerie Maulberger, München 2022. Courtesy Samlung Grässlin, St. Georgen. Foto: Marjorie Brunet Plaza.

“kosuth majerus sonderborg”, Michel Majerus Estate

Reibung erzeugt Wärme, das belegt auch die Auseinandersetzung mit Majerus und seinen Professoren Joseph Kosuth und K.R.H. Sonderborg. In seinen Lehrjahren an der Kunstakademie Stuttgart, die Majerus Ende der 1980er Jahre besuchte, unterrichten ihn beide in der Malerei. Die drei Namen verbindet eine spannungsvolle Linie, die sich in jede Richtung, aber besonders in Majerus’ Werk abgezeichnet hat. Immer wieder lassen sich Einflüsse seiner Professoren erkennen.

Erstmals werden alle drei Positionen bei Michel Majerus Estate gemeinsam gezeigt und ihre Verbindung leuchtend sichtbar gemacht. In Neonlicht-Schriften zitiert Kosuth für diese Ausstellung aus Majerus’ Notizbüchern, fängt seine Handschrift und seinen Tonfall ein. Lehrer würdigt Schüler und andersherum. Eine Show, über die zarte Einblicke in Majerus’ erste künstlerische Prägungen gewonnen werden können. Hier lichtet es sich um das Woher und Warum.

WANN: “kosuth majerus sonderborg” läuft noch bis Samstag, den 18. März.
WO: Michel Majerus Estate, Knaackstraße 12, 10405 Berlin

neugerriemschneider gemälde Majerus2022
Michel Majerus: gemälde, neugerriemschneider, Berlin, 8.11.2022– 14.01. 2023 (Installationsansicht) © Michel Majerus Estate. Courtesy neugerriemschneider, Berlin. Foto: Jens Ziehe.

“gemälde”, Neugerriemschneider

Mit “gemälde” katapultiert Neugerriemschneider zurück in Majerus’ erste Ausstellung, die 1994 am früheren Standort der Galerie in der Goethestraße 73 gezeigt wurde. In der Raum-in-Raum Installation kann eine Zeitreise gemacht werden. Genau wie es damals Majerus‘ Idee war, wurde auch hier Asphalt gegossen, genau wie damals wurden die großformatigen Werke raumeinnehmend und überlagernd gehängt.

Majerus’ Wandmalerei und die alten Fleischerei-Fliesen, die den alten Standort in Charlottenburg kennzeichneten, wurden am heutigen Standort nachgebildet. Es ist eine berührende Hommage an Majerus‘ konzeptuelles, unangepasstes kuratorisches Denken. Er wollte, dass seine Kunst wortwörtlich auf der Straße gezeigt wird, dass sie Niedrigschwellig- und Zugänglichkeit suggeriert und wie eine Plakatwand funktioniert, nur eben konsumkritisch, immer ein bisschen antibürgerlich, poppig und nicht werbend. Es ist, als stünden Besucher*innen inmitten eines Comics, einer riesen “sauerei”, ein Backflash sondergleichen, this was – still is? – the real shit, “Dead suckers”.

WANN: “gemälde” läuft noch bis Samstag, den 14. Januar.
WO: neugerriemschneider, Linienstraße 155, 10115 Berlin.

EarlyWorks Motten KW Michel Majerus 0106 HQ Installationsansicht der Ausstellung Michel Majerus – Early Works in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2022; Foto: Frank Sperling
Installationsansicht der Ausstellung Michel Majerus – Early Works in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2022; Foto: Frank Sperling

“Early Works”, KW Institute for Contemporary Art

Ein grimmiges Mainzelmänchen mit Pickelgesicht findet sein Leben scheiße und sagt es auch. Lucretia teilt sich eine Leinwand mit Mick Jagger und Meister Proper zeigt seine Muskeln. Im KW Institute for Contemporary Art lernen Besucher*innen die Anfänge eines suchenden Michel Majerus kennen. In dem an einen Rohbau erinnernden Ausstellungsraum hängt die Frage nach, was für ein Künstler Majerus sein wollte. Gleichzeitig ist sein Entschluss spürbar klar, einfach er selbst sein zu wollen, sein Ding zu machen. Er nahm bereits existierendes wahr, reagierte darauf, aber brüllte letztlich auf visuellem Wege “Fuck Koons Fuck Baselitz Fuck Kosuth”.

Ein Großteil der im KW zu sehenden Arbeiten wurden noch nie öffentlich gezeigt. Auf Baugerüsten halten sich die überdimensionalen Arbeiten und füllen den Raum mit Erinnerungen an die eigene Pubertät und lassen nostalgisch an die 90er denken. Majerus schuf die Masse an Early Works im Alter von 23 bis 26 Jahren. Wild und frei tobte sich der junge Majerus aus, arbeitete sich humorvoll und schmerzfrei direkt an der Gesellschaft und ihren pingeligen Eigenarten ab, an der deutschen Politik und an der Kunstgeschichte. Digital wird Gemälde, Mottenmittel wird Sujet. Alles ist erlaubt.

WANN: “Early Works” läuft noch bis Sonntag, den 15. Januar.
WO: KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin.

Majerus DataStreaming KVHH Install
Michel Majerus, DATA STREAMING, Installationsansicht, Kunstverein in Hamburg, 2022, Foto: Fred Dott.

“Data Streaming”, Kunstverein in Hamburg

Im Kunstverein in Hamburg steht Majerus‘ Spätwerk im Fokus. Wort- und Bildfetzen ergeben zusammen den Eindruck einer überreizten, auszubrennen drohende Gesellschaft. Comichaft onomatopoetisch brüllen Super Mario, Hulk und Co. von den Wänden. “Grr”, “Splash”, “Blast”, “Pop is Terror”, “Motivation” und letztlich “burned out”. Die Leinwände funktionieren wie Puzzleteile, die sich in Neonfarben, Magazincover, Dollar-Pillen, Camouflage und Pixeltierchen zu einer großen popkulturellen Collage zusammenzufügen scheinen.

Wie in einem Serverraum auf gewölbten Wänden, die eng zusammenstehend nur kleine begehbare Schluchten freigeben, hüpfen die Teletubbies und ihre Freunde unter der Überschrift “verbrauchte Ikonografie”. Mega-, Giga-, Hyperrealismus mal anders. Besucher*innen sind ein Teil von Majerus’ Realitätscollage, spiegeln sich wieder, sehen sich in einer sprintenden Welt, die Majerus bereits hat kommen sehen.

WANN: “Data Streaming” läuft noch bis Sonntag, den 12. Februar.
WO: Kunstverein in Hamburg, Klosterwall 23, 20095 Hamburg.

Michel Majerus, michel majerus, 2000 Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), 2022
Michel Majerus, michel majerus, 2000 Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.), 2022. © Michel Majerus Estate, 2022. Courtesy neugerriemschneider, Berlin; Matthew Marks Gallery. Foto: n.b.k. / Jens Ziehe.

“Michel Majerus”, Neuer Berliner Kunstverein

25 CRT-Monitore flimmern Besucher*innen entgegen. Der Schriftzug “michel majerus” blinkt, flackert oder zieht vorüber. Jüngst eröffnete “Michel Majerus” im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) und zeigt, anders als in den anderen Shows, nicht eine auf Holz gespannte klassische Leinwand. Der Fokus auf Majerus‘ installative Praxis, seine Offenheit gegenüber den Materialien, der Dimensionen und Texturen wird schnell deutlich. “What looks good today may not look good tomorrow”, in großen Lettern ziehen sich Schriftbahnen über die Wände des Raumes und verweisen, wie bei Majerus immer wieder zentral, auf die Schnelllebigkeit der späten 1990er Jahre.

Die im n.b.k. zu sehenden Digitaldrucke schnitt Majerus auf die Form des dargestellten Objektes selbst zu, Stichwort “shaped canvases”. Ein T-Shirt, mindestens Größe 3XL, eine deformierte Kassette von Sonic Youth hängen umgeben von raumgreifenden Installationen, die immer wieder Gitterstrukturen aufgreifen. In Filzbahnen oder durch fliesenspiegelähnlich gehängte Wandplatten entsteht ein Raster, das die Frage danach, ob man in es passen oder aus ihm herausfallen möchte, omnipräsent werden lässt.

Scharfkantig zeichnet sich im n.b.k. Majerus’ konzeptuelles Denken, sein Wunsch nach maximaler Zugänglichkeit und Öffentlichkeit der Kunst ab – und seine Klarheit darüber, als Künstler schnell sichtbar und erfolgreich sein zu wollen. 2002 verstarb Michel Majerus bei einem Flugzeugabsturz. Er schuf in seinen 35 Lebensjahren circa 1500 Werke.

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis Sonntag, den 5. Februar.
WO: Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin.