Für die Tonne? #3
Swaantje Güntzel

9. Juli 2020 • Text von

Spielzeug aus Vogelmägen und ein Stoffmuster von Fischgewebe inspiriert – Swaantje Güntzel denkt um die Ecke und wird in ihrer Kunst doch herrlich konkret. Ihre Arbeiten thematisieren das Verhältnis von Mensch und Natur. Mit gallerytalk.net spricht sie über Weichmacher im Wasser und nachhaltige Verpackungskonzepte für Kunstwerke.

Foto von Swaantje Güntzel. Zu sehen sind Kakteen auf denen eine Plastiktüte liegt.

Swaantje Güntzel: PLASTIFIED / Cactus, 2016, Diasec, 50 x 80 cm, Foto: Swaantje Güntzel © VG Bild-Kunst Bonn, 2020.

gallerytalk.net: Was hast du als Letztes weggeworfen und warum?
Swaantje Güntzel: Eine alte Jeans. Ich hatte sie schon zwei Mal reparieren lassen und dann als Arbeitshose benutzt. Jetzt ist sie komplett auseinandergefallen und war sogar als Putzlappen nicht mehr zu gebrauchen.

Wie sehr lebst du „zero waste“ – auf einer Skala von „fünf Jahre Müll in einem Einmachglas“ bis „Wohnzimmer voll leerer Amazon-Kartons“?
Mein Müllaufkommen hängt immer stark davon ab, wo ich mich gerade befinde. In Hamburg, wo ich lebe, habe ich in den letzten Jahren eine Einkaufslogistik einrichten können, bei der ich Müll zu großen Teilen vermeiden kann. In meinem Viertel gibt es zum Beispiel nicht nur einen Unverpacktladen, sondern auch einen Wochenmarkt und eine Refill-Station für Drogerie-Artikel wie Shampoo. Außerdem gibt es viele Geschäfte, die offen dafür sind, bestimmte Dinge auch ohne Verpackung herauszugeben. Und vieles kann man ja auch selbst mischen, wie Waschmittel oder Badreiniger.

Und wenn du mal nicht in Hamburg bist?
Wenn ich unterwegs bin, muss ich mich an dem neuen Ort erstmal zurechtfinden und oft Kompromisse machen. Aktuell ist es durch die Corona-bedingten Hygieneauflagen natürlich gerade an vielen Stellen auch nicht mehr ganz so einfach, diese Logistik aufrecht zu erhalten, ich hoffe aber, dass sich das wieder einpendelt.

Wann ist die Ausbeutung des Planeten sowie von Teilen seiner Bevölkerung in den Fokus deines künstlerischen Schaffens gerückt?
Ich habe mich von Anfang an ausschließlich mit der Frage befasst, in welchem Verhältnis der Mensch zur Natur steht. Es ist das Thema, das mich am stärksten umtreibt.

Swaantje Güntzel: Mikroplastik II, 2016, Diasec, 120 x 80 cm. Foto: Henriette Pogoda © VG Bild-Kunst Bonn, 2020. // Swaantje Güntzel: Stomach Contents XXL, 2014, Metall, diverse Kunststoffe, Höhe: 145 cm. Foto: Ralf Gellert © VG Bild-Kunst Bonn, 2020.

Du zeigst eine Arbeit, die auf den ersten Blick maximal anziehend wirkt, einige aber abstoßen dürfte, sobald sie erfahren, was dahintersteckt. Was ist die Geschichte hinter deinem etwas anderen Spielzeugautomaten?
Der Automat ist in seinem Inneren mit Spielzeugen befüllt, die in den Mägen verendeter Laysanalbatrosse auf Kure Atoll (Nordwestliche Hawaii-Inseln) gefunden wurden. Die Spielzeuge sind wahrscheinlich Monate oder sogar Jahre im Pazifischen Ozean getrieben, bevor sie von den Vögeln verschluckt wurden. Der Mageninhalt dieser Vögel ist wie ein Spiegelbild unseres Konsumverhaltens. Dort finden sich Einwegfeuerzeuge, Flaschendeckel, Spielzeuge, Zahnbürsten, Schraubverschlüsse, kleine Shampoo-Fläschchen und andere Dinge aus Plastik, die das Leben vermeintlich schöner und leichter machen. Die Objekte werden für wenig Geld hergestellt, legen weite Strecken innerhalb des globalen Warenverkehrs zurück und werden nach kurzer Nutzung schließlich wieder entsorgt.

Die Kuratorinnen von „ZERO WASTE“, Hannah Beck-Mannagetta und Lena Fließbach, haben verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Ausstellung nachhaltiger zu gestalten, als es ansonsten üblich ist. Inwiefern hat sich das auf deine Arbeit im Vorlauf oder die Präsentation deiner Werke ausgewirkt?
Meine Arbeit „Hermaphrodit“, eine Installation bestehend aus einem Tisch mit Tischdecke, Stuhl und Gedeck für eine Person, ist so konzipiert, dass ich die großen sperrigen Teile jeweils erst vor Ort zusammentrage und nur Dinge benutze, die am Ausstellungsort vorhanden sind. Im Museum gab es einen Tisch samt Stuhl und das Café vor Ort hat mir das Gedeck für die Ausstellungsdauer zur Verfügung gestellt. So konnten wir den Transport dieser Objekte einsparen und mussten nur die Tischdecke transportieren.

Es ist nicht irgendeine Tischdecke, stimmt’s?
Die Tischdecke wurde unter Verwendung eines Fotos gestaltet, das einen histologischen Schnitt durch Hodengewebe einer männlichen Regenbogenforelle mit weiblicher Keimzelle zeigt. Die Forelle war in einem Laborversuch dem chemischen Weichmacher Nonylphenol ausgesetzt worden und hatte daraufhin parallel ein zweites Geschlecht entwickelt.

Installationsansicht "Hermaphrodit" im Syker Vorwerk. Ein Tisch mit gemusterter Tischdecke, Teller und Besteck.

Swaantje Güntzel: Hermaphrodit, 2018, Tischdecke (140 x 200 cm), Stuhl, Teller, Besteck, Glas, Kunstfaser, Holz, Keramik, Metall, Glas, Ausstellungsansicht Syker Vorwerk – Zentrum für Zeitgenössische Kunst, 2018. Foto: Tobias Hübel © VG Bild-Kunst Bonn, 2020.

Was hast du sonst schon unternommen, um ein nachhaltigeres Leben zu führen?
Ich esse seit 30 Jahren kein Fleisch, gehe innerhalb der Stadt viel zu Fuß oder nutze den ÖPV. Für weite Strecken nehme ich immer die Bahn, auch Nachtzüge, wenn es mit einer Tagesreise nicht getan ist. Flugreisen habe ich über Jahre ganz vermieden, jetzt fliege ich nur noch, wenn es wirklich keine andere praktikable Alternative gibt. Zusammen mit meinem Freund und Kollegen, dem Lichtkünstler Jan Philip Scheibe, arbeite ich in einer Künstlergruppe, in der wir uns viel mit Pflanzen beschäftigen. In diesen Projekten haben wir oft die Möglichkeit, Gemüse anzubauen, was in Hinblick auf Transportwege und Verpackung ja mit das Nachhaltigste ist, was man machen kann.

Was hast du in dieser Hinsicht als Nächstes vor?
Langfristig möchte ich auf ein Verpackungs- und Lagerkonzept für meine Arbeiten umstellen, bei dem ich ganz auf Noppenfolie und Kunststoffe verzichten kann und ausschließlich wiederverwendbare Kartons und Kisten einsetze. Aktuell benutze ich die Folie immer wieder, zum Teil dasselbe Stück schon seit über 10 Jahren. Wenn die Folie dann aber ganz hinüber ist, wird sie jetzt sukzessiv gegen die alternativen Kisten ausgetauscht. Grundsätzlich habe ich mich von einigen Ideen verabschiedet, die nur mit großem Aufwand in puncto Transport und Ressourcen zu realisieren wären.

Wieso?
Die Aussage, die ein Kunstwerk macht, wird ja nicht automatisch besser oder klarer, nur weil die Arbeit größer ist. Die Größe von Kunstwerken beziehungsweise die Inszenierung dieser Werke hat ja oft eher etwas mit dem Wunsch der Ausstellungsmacher zu tun, das Ausstellungserlebnis einem Event gleichkommen zu lassen. Ob das langfristig im Kunstbetrieb zu halten ist, muss man sich in den nächsten Jahren wohl vermehrt fragen.

In unserer Interviewreihe “Für die Tonne?” sprechen wir mit Künstler*innen, deren Arbeiten im Rahmen der Ausstellung “ZERO WASTE” im Museum der bildenden Künste Leipzig zu sehen sein werden. Wir wollen wissen, wie sie Nachhaltigkeit leben, denken und in ihre Praxis integrieren.

Für die Tonne? #1: Irwan Ahmett & Tita Salina
Für die Tonne? #2: Mika Rottenberg

WANN: Die Ausstellung „ZERO WASTE“ läuft bis zum 8. November.
WO: Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, 04109 Leipzig.

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