Im Einklang mit der Natur Wolfgang Laib im Kunstmuseum Stuttgart
8. August 2023 • Text von Julia Anna Wittmann
Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt eine umfassende Einzelausstellung mit Arbeiten des baden-württembergischen Künstlers Wolfgang Laib. Für seine minimalistischen Werkgruppen arbeitet Laib seit den 1970er Jahren mit wiederkehrenden Naturmaterialien, wie Bienenwachs, Milch, Blütenstaub, Reis oder Marmor. Seine entschleunigten Werke stehen im Einklang mit der Natur und sind dabei so aktuell wie nie zuvor.
Die Besucher*innen der Ausstellung “Wolfgang Laib. The Beginning of Something Else” im Kunstmuseum Stuttgart erwarten kein Spektakel, keine Bilderflut, keine neuen Medien. Wolfgang Laibs Installationen, Objekte, Zeichnungen und Fotografien sind still, reduziert und meditativ. Für seine Werkgruppen greift der Künstler immer wieder auf Naturmaterialien und eine archaische Formensprache zurück. Und auch bei der Entstehung seiner Arbeiten orientiert sich der Künstler an den Zyklen der Natur.
In der Mitte des hohen offenen Raumes leuchtet ein großes gelbes Rechteck am Boden. Die pudrige Materialität und die sanften Umrisse der ungewöhnlichen Substanz erzeugen eine flirrende Skulpturalität – als Pigment dient Blütenstaub. In müßiger Kleinarbeit sammelte Laib das Naturprodukt für seine Arbeit “Blütenstaub von Kiefer”, das er anschließend mit einem Sieb auf den Boden des Museums streute. Für die Produktion dieser Werkserie, an der er seit den späten 1970er Jahren arbeitet, orientiert sich der Künstler an einem geringen Zeitfenster im Frühjahr.
Diese repetitive und meditative Arbeitsweise zieht sich durch Laibs Oeuvre. Die eigens für das Museum entstandene Installation “Reisfeld” wurde vom Künstler an die offene, hallenartige Architektur des obersten Stockwerkes angepasst. Unzählige kleine Reisberge bedecken den Boden des Raumes in gleichmäßigen Abständen. Zwischen den zehntausenden Reiskörner türmen sich drei Objekte auf, zwei “Treppen” und eine “Zikkurat”. Wie Stufen in den Himmel ragen die glänzenden Skulpturen neben den flachen Reisbergen in die Höhe.
Wolfgang Laibs “Zikkurat” ist formal an die gleichnamigen, gestuften Tempeltürme in Mesopotamien angelehnt. Immer wieder greift der Künstler in seinen Arbeiten unterschiedliche kulturelle Einflüsse auf. Seit Beginn seiner Karriere beschäftigt er sich mit einer ganzheitlichen Lebens- und Weltauffassung im Einklang mit der Natur sowie asiatischen Philosophien und Kulturen. In seinen 12 Zeichnungen “Glückseligkeiten des Yoga” visualisiert der Künstler beispielsweise mit wenigen Symbolen und Strichen den Gesang des tibetischen Yogameisters und Dichters Jetsün Milarepa, der um 1000 nach Christus lebte.
Eine immersive Installation im Untergeschoss des Museums lässt die Besucher*innen abschließend selbst Teil einer meditativen Erfahrung werden. Dort befindet sich Laibs “Wachsraum”, der seit 1989 Teil der Sammlung ist. Hinter einem gedrungenen Eingang öffnet sich ein langer schmaler Raum, gepflastert mit dicken, breiten Wachsplatten, die einen süßlichen Duft verströmen. Hier können die Besucher*innen einatmen, kurz verweilen und die Umgebung aus Bienenwachs auf sich wirken lassen.
Wolfgang Laibs reduzierte Installationen, Objekte, Zeichnungen und Fotografien sind zeitlos, minimalistisch und strahlen eine tiefe Ruhe aus. Seine Arbeiten machen deutlich, dass wir uns als Menschen in fragilen Lebensräumen aufhalten, die durch die kleinste Bewegung in ein Ungleichgewicht gebracht werden können. Ein falscher Luftzug und der Blütenstaub ist verwirbelt, ein falscher Schritt und der Reisberg ist zerstört.
WANN: Die Ausstellung “Wolfgang Laib. The Beginning of Something Else” ist noch bis zum 5. November zu sehen.
WO: Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, 70173 Stuttgart.