Neun Leben Rob Kulisek im Kunstraum Plymouth Rock
7. Dezember 2023 • Text von Anja Grossmann
Mit der Ausstellung „Nine Lives of Hermann Nitsch“ zeigt der Zürcher Kunstraum Plymouth Rock aktuelle Arbeiten von Rob Kulisek. Bekannt geworden ist der Pariser Fotograf mit Aufnahmen, die sich im Spannungsfeld von Mode, Kommerz und Kunst verorten lassen. Vielfach zeigte er Körper im Ausnahmezustand. Bei Plymouth Rock präsentiert Kulisek keine menschlichen Körper, sondern den einer Katze. Ausgestellt sind neun Fotografien, die für die sagenhaften neun Leben des Tiers stehen.
Da sitzt ein kleines Wesen und schaut die Ausstellungsbesucher*innen mit dunklen runden Augen an. Warmes Licht fällt auf seine weich anmutende Oberfläche. Aus seinem Gesicht ragt ein länglicher Gegenstand wie eine Pfeife. Es hockt auf einem Podest, das aus einem Baumstamm ragt. Dahinter ist ein Fensterrahmen zu erkennen, der den Blick in einen begrünten Außenraum freigibt. Ist das Wesen daher gekommen? Ist es wie ein Vogel durch ein offenes Fenster hereingeflogen?
Rob Kuliseks Arbeit „Zukunft Leben I“ weckt Assoziationen zu einer Geisterfotografie. Der Print im Hochformat zeigt ein fabelhaftes Wesen, das sich einer genaueren Zuordnung entzieht. Es lässt an einen Nachtalb denken, an ein kleines Wesen, das Schlafende befällt und Albträume weckt.
Tatsächlich handelt es sich um ein KI-generiertes Bild. Ausgangspunkt der Arbeit sind Kuliseks Fotografien einer Katze. Es handelt sich um das Haustier des Künstlers, mit dem er sein Pariser Apartment teilt. Die Katze hat gelbe Augen, eine rosa Nase und langes weißes Fell. Für Kulisek weckt ihr Anblick Assoziationen zu Hermann Nitsch, dem österreichischen Maler und Performancekünstler. Auch dieser trägt einen wildwüchsigen Bart, den langen weißen Schnurrhaaren vergleichbar. Aufgrund dieser Ähnlichkeit nennt Kulisek seine Katze Hermann Nitsch.
In der Bildserie „Zukunft Leben I-IV“ arbeitet Kulisek mit einem eigens generierten Algorithmus der Fotoüberlagerung. Dieser erzeugt ein Bild aus mehreren Aufnahmen. Die Katze Nitsch wird in dem computergenerierten Bild durch Verzerrungen, Überlagerungen und Deformationen zu einer wundersamen Figur. Ihr Fell nimmt neue Formen an. Teilweise verliert sich die Form des Tierkörpers in abstrakten Farbschlieren. Seine Augen leuchten, seine Zähne blecken.
Bei Plymouth Rock präsentiert Kulisek vier auf diese Weise erzeugte Arbeiten. Daneben stellt er fünf Fotografien aus, die Ausgangspunkt der computergenerierten Bilder gewesen sein könnten.
„Leben Heute IV“ zeigt die weiße Katze fokussiert auf ein Spielzeug. Sie blickt auf einen rosaverpackten Lollipop. Kuliseks Kamera erfasst sie dabei aus Untersicht. Nitsch befindet sich in einer Art Pappkonstruktion – es handelt sich um ein Spielhaus, das Kulisek angefertigt hat, um das Haustier in den eigenen vier Wänden zu beschäftigen. In seiner Aufnahme blickt die Katze durch einen Papprahmen wie durch ein Fenster. Kulisek schafft eine Bildkomposition, in der glatte Pappe und Langhaarfell, anorganische und organische Oberflächen aufeinandertreffen.
Auch mit „Leben Heute V“ porträtiert Kulisek das Tier in einer spannungsreichen Komposition aus hellen und dunklen Flächen. Die Katze sitzt auf einer gestreiften Decke. Ihr Kopf lugt zwischen fallenden Papieren hervor. Der weiße Kopf mit gelben Augen wird zwischen schwarzen flachen Rechtecken gerahmt. Nitschs Ausdruck scheint ernst. Die Physiognomie des Tiers erhält in der porträtgleichen Aufnahme fast anthropomorphe Züge.
Alle ausgestellten Arbeiten weißen hohe Kontrastwerte auf. Das weiße Katzenfell hebt sich deutlich vor schwarzen Bildhintergründen ab. Die fotografisch erfassten Lichtsituationen sind künstlich und entsprechen eher denen einer Studiosituation als einer in seiner Privatwohnung angefertigten Aufnahme. Teilweise kommt kühles oder farbiges Neonlicht zum Einsatz. Das domestizierte Tier wird auch in seinem künstlerischen Erfassen einer bewusst gesetzten Ästhetik unterworfen.
Zudem steigern die von Kulisek gewählten fotografischen Setzungen wie Lichtgebung, Farbigkeit, Bildausschnitt und Kameraperspektive den Eindruck einer gewissen Entrücktheit seines Modells. Nitsch scheint kein gewöhnliches Haustier zu sein, sondern einer dunklen, fabelhaften Welt zu entspringen. „Nine Lives of Hermann Nitsch“ porträtiert das Leben eines vermeintlich mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestatteten Tiers. Zu sehen sind neun Bilder, die für die Katzen zugeschriebenen, sagenhaften neun Leben einstehen. Diese schlagen sich in einer fotografischen Ästhetik von einer dunkel-magischen Atmosphäre nieder.
WANN: Die Ausstellung „Nine Lives of Hermann Nitsch“ läuft bis Samstag, den 13. Januar 2024
WO: Plymouth Rock, Manessestrasse 66, 8003 Zürich.
