Schlechte Laune #1
Christian Kölbl

25. Mai 2022 • Text von

Christian Kölbl kollaboriert, kuratiert und kapert. Er genießt konfrontative Inszenierung. Stört sich wer dran? Fair enough. Im Gespräch mit gallerytalk.net erzählt der Künstler, wie er es aufs Titelbild der Facebook-Seite seiner Kunsthochschule geschafft hat und wieso es in der Kunst gar nicht genug Ärger geben kann.

Christian Kölbl: Wer wird Millionär?, Raum für drastische Maßnahmen, 2022. Foto: Regina Kelaita.

gallerytalk.net: Was hat dir zuletzt die Stimmung vermiest?
Christian Kölbl: Scheinheiligkeit in der Kunstszene – das ist ein Dauerbrenner. Ich bin da eher der Meinung, Schuld muss salonfähig werden.

Mit welcher deiner Arbeiten hattest du richtig zu kämpfen?
2021 habe ich für den Rundgang in Leipzig eine Arbeit mit dem Titel „Leitsystem“ gemacht. Dafür habe ich das Leitsystem, das ansonsten immer mikroskopisch klein als Faltblatt am Eingang der Kunsthochschule to-take-away auslag auf eine Dimension von 320 x 200 Zentimeter aufgeblasen und es zentral im Eingangsbereich der Kunsthochschule tapeziert. Die Arbeit, die ich da reingesteckt hatte, zur Sichtbarkeit der Anderen, sollte natürlich durch Credits sichtbar werden. So habe ich hinter jeden Namen beziehungsweise Raum meinen Namen platziert, also schlicht eine Inkorporierung vorgenommen.

Christian Kölbl: Leitsystem, HGB Rundgang, 2020. Foto: Christian Kölbl. // Christian Kölbl: Leitsystem, HGB Rundgang, 2020. Foto: Christian Kölbl.

Wie bist du darauf gekommen?
Diese Form der Inkorporierung ist damals in Reaktion auf editoriale Strukturen entstanden, bei denen sich unter Gesichtspunkten des besonders kollaborativen und demokratischen Handelns die Herausgeber als die eigentlichen Mittelpunkte herauskristallisieren.

Porträt von Christian Kölbl. Foto: Claudia Holzinger. // Christian Kölbl: Maximum Protection (Multiple, limitierte Auflage von 5 Exemplaren), Raum für drastische Maßnahmen, 2022. Foto: Regina Kelaita.

Und wie kam die Aktion bei den anderen Studierenden an?
Die Arbeit wurde direkt mit größtmöglicher Kreativität zerstört, was ich als Reaktion auch fair enough fand. Mit dem Dokumentationsmaterial, dass meine Mitstudierenden während der mühevollen Zerstörung des Werkes aufgenommen haben, sind völlig neue Arbeiten entstanden. Gar auf das Titelbild der offiziellen HGB-Facebook-Seite hatte es damals ein Detail der zerstörten Arbeit „Leitsystem“ geschafft. Ich sehe mich dabei als Initiator und erfreue mich an der entfachten Kreativität.

Christian Kölbl: Selbstreflexion. Marian Arndt, 1. Auflage, 250 Exemplare, 2022. Foto: Johannes Listewnik.

Wie viel Ärger braucht die Kunst?
Es gibt da ja so ein ungeschriebenes Gesetz, das eine konsensfähige Kritik als die Ingredienz einer jeden guten Kunst festschreibt. Das sehe ich anders. Meines Erachtens sollte Ärger maximiert werden. Kunst braucht Reaktion und die sollte im besten Fall nicht als Selbstbeweihräucherung enden. Jede*r applaudiert in die gleiche Richtung. Jemand mit Rechts Links Schwäche wird wegen ambivalenter Unentschlossenheit ausgebuht. Was ich damit eigentlich sagen will, ohne mit malerischen Metaphern um mich zu schmeißen: Die Rolle von Kritik muss grundsätzlich überdacht werden.

Christian Kölbl: EXHIBITION OPENING, Fountain, G2 Kunsthalle, Leipzig, 2021. Foto: Anna Sophie Knobloch. // Christian Kölbl: EXHIBITION OPENING, Installationsansicht mit Obstrutschen, G2 Kunsthalle, Leipzig, 2021, Foto: Anna Sophie Knobloch.

Wie steht es denn gegenwärtig um die Kritik?
Es scheint so, als sei das größte Ziel, mit Kritik alles radikal richtig zu machen. Als ginge es darum, zu zeigen: Ich bin gut und ich grenze mich von den Bösewichten ab. Das führt zum reinen Effekt und damit zu einer Wohlfühlkunst, die auf Konsens basiert. Ambivalenzen sind darin nicht vorgesehen, Kunst geht ein in einer Wellnessoase. Also braucht diese Wohlfühlkunst allein schon deshalb Ärger, um sich selbst das Gefühl zu geben, alles gut zu machen, gute Kritik zu äußern. Diesen Dienst leiste ich gern und klopfe da noch mit auf die Schultern.

Christian Kölbl: AGGREGATE SATISFACTION (boxing), geboxte Arbeiten: Jonas Roßmeißl, Patrick Liebisch, Mara Jenny, Malte Urban, Tobias Klett, 2020 – ongoing. Foto: Adrian Lück.

Worüber wird zu viel geklagt?
Puh, da gibt’s einiges … aber viel interessanter finde ich, worüber zu wenig geklagt wird: über sich selbst.

Was ist die eigentliche Unverschämtheit?
Christian Kölbl.

WANN: Die Duo-Show „I’m not here to make friends“ von Christian Kölbl mit Nicolás Astorga läuft bis Freitag, den 3. Juni.
WO: Raum für drastische Maßnahmen, Oderstraße 34, 10247 Berlin.

Anlässlich der Ausstellung ist die Publikation „Selbstreflexion“ im Verlag Marian Arndt erschienen.

Am Samstag, den 4. Juni, eröffnet die Ausstellung „gereinigt und gesichert“ Ortloff mit Mitgliedern des Tannhäuserkreises (Jody Korbach, Christian Kölbl, Konstitutiv der Möglichkeiten, Nicholas Warburg), kuratiert von Kölbl. Am Freitag, den 24. Juni eröffnet die Ausstellung „Hoch-Zeit“ des von Kölbl gegründeten Kunstkollektiv Capitalist Surrealist im Projektraum 145. Außerdem betreibt Kölbl den Online-Ausstellungsraum CK Offspace.

In unserer Interview-Reihe “Schlechte Laune mit” ist Murren, Stänkern, Klagen ausdrücklich erlaubt. Wir sprechen mit Künstler*innen, die sich gern aufregen oder für Aufregung sorgen – die aber auch eine konkrete Vorstellung davon haben, wie die allgemeinen Umstände bessere sein könnten.

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