Klickt das! #2
Mehr wirklich gute Online-Ausstellungen

8. Oktober 2020 • Text von

Seit Ausbruch der Pandemie steigt das Interesse an Online-Ausstellungen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut. Wir zeigen euch Konzepte, für die es sich lohnt, noch ein bisschen länger hinterm Bildschirm zu verweilen.

Ausstellungsansicht in Minecraft. Ein Raum ist von Pflanzen bewachsen, es stapeln sich Blöcke TNT.
Installationsansicht: “Art … Is My Burning Passion” (c) Mythical Institution

Mythical Institution

Gamer*in müsste man sein – oder wenigstens rudimentäres Wissen besitzen, das den Besuch einer Minecraft-Ausstellung möglich macht. Wer sich das Spiel nicht zulegen mag, muss sich einfach darauf verlassen, dass die Welten von Kurator Jan Berger irgendwo existieren. Gerade läuft „Art … is My Burning Passion“, eine post-partizipatorische Ausstellung ohne Beteiligung von Künstler*innen mit einer Menge TNT-Blöcken in lichtdurchfluteten Räumen. In der Dokumentation, die online abrufbar ist, ist auch Berger selbst beziehungsweise sein Avatar zu sehen, wie es von einer Lampion-beleuchteten Terrasse aus den Blick in grüne Weiten schweifen lässt. Auf eine Art bleiben die Schauen der Mysthical Institution so obskur wie die Institution selbst. Ob es sie wirklich gibt?

WANN: Die Ausstellung „Art … is My Burning Passion“ läuft bis Samstag, den 31. Oktober.
WO:
Mythical Institution.

Screenshot der Online-Arbeit von Fannie Desosa.

GalerieGalerie

Das Internet galt vor Fake-News, Facebook und Filter-Blasen als der ultimativ demokratische Raum, in dem jede*r die eigene Stimme entfalten konnte. Dieser Idee hat sich die GalerieGalerie aus Montreal verpflichtet. Sie sieht sich als Plattform für die Produktion und Verbreitung digitaler und Kunst im Internet. Seit 2016 nutzt die GalerieGalerie das Internet als Raum für Forschung, Kreation und Verbreitung und unterstützt Künstler*innen, die neue Technologien in ihrer Praxis nutzen. Ziel ist es auch, den Wert von Werken, die in neuen Technologien verwurzelt sind, zu entmystifizieren. In der Webthèque präsentiert das Projekt eine Sammlung von Webarbeiten, die von der GalerieGalerie gehostet, reaktiviert oder produziert wurden. Die GalerieGalerie sieht die Technologien des Internets dabei als Werkzeuge der Selbstdefinition und des Selbstausdrucks und will diese Techniken auch vermitteln. Mit dem „A White Institution’s Guide For Welcoming People of Color* And Their Audiences” von Fannie Sosa haben sie ein handliches Empfehlungswerk für die Inklusion von Artist of Color und gegen unbezahlte Arbeit unter dem Deckmantel der Vielfalt im Programm.

WANN: Die Webthèque wächst stetig weiter.
WO: GalerieGalerie.

Der Tipp kommt von Quirin Brunnmeier.

Ein Tesla wird bei "Incubation Highway" zum Ausstellungsraum.
“Incubation Highway”, 2020, exhibition view. Andreas Ervik, Monika Grabuschnigg, Marius Presterud. Photo: Siv Dolmen.

Cosmos Carl

Nein, man hätte auf FINN wohl nicht notwendigerweise eine Ausstellung erwartet. Die norwegische Anzeigen-Plattform zeigt diese Tage ein Kunstprojekt auf den zweiten Blick. Neben diversen Luxus-Karren wird ein Tesla feilgeboten, der für „Incubation Highway“ den White Cube ersetzt. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der Wagen als clever genutzter Ausstellungsort. So hat etwa Monika Grabuschnigg ihre fließenden Figuren auf beschlagene Scheiben gezeichnet. Die Kunstwerke gehen eine symbiotische Beziehung mit dem Tesla ein. Ein Skorpion im Kofferraum, ein Gedicht auf dem Rückspiegel. Käufer*innen können auf der Rückbank platznehmen, der Wagen fährt sich schließlich selbst – oder ist es doch der Arm, der körperlos das Lenkrad hält? „Incubation Highway“, kuratiert von Marius Presterud, ist am unkompliziertesten über Cosmos Carl zu erreichen. Das Team sammelt Links zu Kunstinterventionen auf Fremdplattformen von Bandcamp bis Airbnb.

WANN: Solange inseriert und der Wagen nicht verkauft ist.
WO: via Cosmos Carl.

Eine Ansicht aus dem Game von Thomas Webb für die König Galerie.
Thomas Webb: “”Exercise in Hopeless Nostalgia – World Wide Web”. Courtesy of the artist and König Galerie.

König Galerie

Knarzende Sounds aus dem Synthesizer und pixelige Figuren in einer pixeligen Welt. Manchmal wird man durch neue Erfahrungen zielgenau in die eigene Kindheit katapultiert. Wisst ihr noch damals, als man am Commodore 64 oder später am Game Boy kaum zu erkennende Avatare durch fremde Welten steuerte? Auf genau diese Knöpfe drückt der britische Hacker, Programmierer und Medienkünstler Thomas Webb mit seinem Projekt “World Wide Webb”. In einer Zeit, in der nicht nur die Zukunft unklar scheint, sondern auch die Gegenwart kaum zu fassen ist, lädt Webb zu einer digitalen „exercise in hopeless nostalgia“. Für die Reihe König Digital hat Webb ein offenes Multiplayer 8-Bit-Game konzipiert, das an die Nintendo- und Sega-Spiele der 1980er Jahre erinnert. Dort kann man seine Ausstellung besuchen, Quests erledigen oder einfach nur mit anderen abhängen. Der Zugang ist gratis und mit dem Smartphone oder dem Browser möglich.

WANN: “Exercise in Hopeless Nostalgia – World Wide Web” ist bis zum 14. August 2021 abrufbar.
WO: via König Galerie.

Der Tipp kommt von Quirin Brunnmeier.

Ausstellungsansicht von Kara Chin. Man sieht einen Schreibtisch, technische Geräte, Hände und allerlei anderes.
Kara Chin: “Blue Screen of Death”. Courtesy of the artist and Off Site Project.

Off Site Project

Dreifache Herausforderung in Sachen Sehgewohnheit liefert die Plattform für kuratorische Praxis Off Site Project. Neben Homepage-Ausstellungen gibt es dort nämlich außerdem ZIP-Ausstellungen zum Download sowie Google-Maps-basierte Residency. Klingt viel? Ist es auch. Aber es lohnt sich etwas Zeit in die Arbeit der Gründer*innen Pita Arreola-Burns und Elliott Burns zu investieren. Auf der Startseite des Off Site Project rotiert ein kleines, blaues Häuschen. Dessen Flügeltüren öffnen sich und zum Vorschein kommt ein Zimmer mit Schreibtisch. Dieser ist fortan in der Draufsicht Dreh und Angelpunkt von Kara Chins „Blue Screen of Death“. Glibbrig grüne Hände und eine von unsichtbarer Hand gesteuerte Maus navigieren über die Oberfläche, über verschiedene Devices werden die weiteren Räume der Schau zugänglich.

WANN: Die Ausstellung “Blue Screen of Death” von Kara Chin läuft bis zum 20. Dezember.
WO: Off Site Project.

Courtesy of CK_OffSpace.

“Schließ dein Handy an eine Stromquelle an, atme einmal tief ein und besinne dich mit uns”, so schließt Hetti Marsden den Text, der ihre Ausstellung “aesthetics prosthetics” begleitet. Weiß man jetzt nicht, ob das Versprechen oder Drohung ist. Auf Instagram empfiehlt der ausrichtende CK_OffSpace, Zeit zum Lesen einzuplanen. Die Schau sei euch an dieser Stelle ungesehen empfohlen, ganz einfach weil wir das Projekt des Künstlers Christian Kölbl mögen. Unter denkbar unprätentiösen Bedingungen (Schuhkarton, Kleinstformat) entstehen bei CK_OffSpace museal anmutende Ausstellungsansichten. Plus: Die Selektion der gezeigten Künstler*innen, darunter etwa Botond Keresztesi oder Nicholas Warburg, ist exzellent.

WANN: Die Ausstellung “aesthetics prosthetics” eröffnet am Donnerstag, den 8. Oktober. Sie läuft bis zu 15. November.
WO: CK_OffSpace.

Erstes Bild der Online-Ausstellung von ACTA5 in der Internet Moon Gallery.
Installationsansicht “Plantas de interior”, ACTA5, Internet Moon Gallery.

Internet Moon Gallery

“Ich glaube, das Internet hat seine Jugend hinter sich; jetzt ist das Internet das Internet. Daher ist es notwendig, dieses Medium immer neu zu überdenken und eine gewisse Perspektive darauf zu generieren”, kommentiert der spanische Medienkünstler, Forscher und Kurator Manuel Minch in einem Interview. Um die Möglichkeiten und die Bedürfnisse von Künstler*innen, die über das Internet arbeiten, zu unterstützen und ihnen einen Ort zu geben, hat er die “Internet Moon Gallery” initiiert. In jeder Vollmondnacht wird eine neue Ausstellung eröffnet, in der Künstler*innen und Kurator*innen ortsspezifische Ausstellungsprojekte für VR und 360-Grad-Environments entwickeln. Die “Internet Moon Gallery” ist dabei Galerie und Forschungsformat gleichermaßen. Im Moment ist die Ausstellung “Plantas de interior” von ACTA5 zu sehen, die Architektur, Sound und Räumlichkeit zu einem kuriosen Erlebnis vermengen.

WANN: Die Ausstellung “Plantas de interior” läuft bis zum nächsten Vollmond.
WO: Internet Moon Gallery.

Der Tipp kommt von Quirin Brunnmeier.

Noch nicht genug? Unseren ersten Schwung mit guten Online-Ausstellungen gibt’s hier.