Das Schlimmste aus zwei Welten HR Giger und Mire Lee im Schinkel Pavillon
4. Oktober 2021 • Text von Julia Meyer-Brehm
Mal grelles Kunstlicht, mal geflieste Dunkelkammern – der Schinkel Pavillon entführt uns mit „HR Giger & Mire Lee“ in ein dystopisches Ambiente zwischen kühlem Raumschiff und gruseligem Kellergeschoss. Die präsentierten Arbeiten sind biomorph, schleimig und aufregend ambivalent. Sollen wir die Ausstellung nun genießen oder uns ekeln?
Wie man sich richtig schön gruseln kann, haben viele von uns mit Sicherheit durch den Film „Alien“ gelernt. Der Science-Fiction-Streifen kam 1979 in die Kinos und ist bis heutige ikonisch – nicht nur wegen der großartigen Sigourney Weaver, sondern auch wegen der außerirdischen Wesen im Film, die vom Schweizer Künstler HR Giger erdacht wurden. Der Schinkel Pavillon ehrt Gigers Œuvre nun in Form einer Ausstellung – und kombiniert seine surrealistischen Werke mit den fantastischen Arbeiten der südkoreanischen Künstlerin Mire Lee.
Die Werkschau “HR Giger & Mire Lee” beginnt im Oktogon im Erdgeschoss des Schinkel Pavillons. Die Atmosphäre könnte gut und gerne auch einem Raumschiff aus den Alien-Filmen nachempfunden sein: Das kühle Licht und die rätselhaften Kreaturen auf dem Podest in der Raummitte erzeugen eine unheimliche Stimmung. Zwei Skulpturen, Gigers “Necronom (Alien)” und Lees “Endless House”, werden zueinander in Bezug gesetzt und verdeutlichen gleich zu Beginn der Ausstellung, dass es um Parallelitäten geht.
In den angrenzenden Räumen werden neben Gigers berühmten Xenomorph-Skizzen auch Ölgemälde, Tuschezeichnungen, Skulpturen und Tagebucheinträge des Künstlers gezeigt. Viele seiner Entwürfe besitzen eine eigenwillige Erotik, die dem Gerücht in die Hände spielt, die Macher von “Alien” hätten Gigers Geschöpfe kinderfreundlicher machen müssen, da sie zu explizit gewesen seien. Das Groteske ist bei Giger auch stets sexuell aufgeladen und es erstaunt, dass außerirdische Wesen dann doch so irdische Freuden genießen. In den Seitenräumen des Pavillons sind die kopulierenden Kreaturen bestens aufgehoben: Die gekachelten Wände und der etwas düstere Schmuddel-Look passen perfekt zu den ambivalenten Arbeiten, die im Halbdunkel lebendig zu werden scheinen.
Der Fantasie in die Hände spielen Mire Lees kinetische Arbeiten, die sich tatsächlich bewegen: Zuckende Schläuche kriechen in Endlosschleife wie Därme über den Boden. „Bedauernswert“ nennt die Künstlerin diese Kreaturen, die sie aus älteren Arbeiten recycled. Sie scheinen nicht von dieser Welt zu sein, irgendwie fremd und alienesk. Mit ihrer Skulptur “The Liars” thematisiert Lee von der Gesellschaft ausgestoßene oder entfernte Menschen, die Schlechtes verbreiten und die man ungern als Partygäste hat.
Doch nicht genug mit dem Unangenehmen: In ihrer Arbeit “Faces” setzt Lee sich mit dem Pornografie-Genre “Grope Porn” auseinander, in dem junge Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln begrabscht werden. Das Video im Schinkel Pavillon zeigt die unschuldigen Gesichter jener Frauen in Nahaufnahme, die im Film kurze Zeit später belästigt werden. Die Darstellungen sind also nicht sexuell, lassen aber Böses ahnen und reihen sich thematisch wunderbar in die unterschwellig schwelende Unruhe der Ausstellung ein.
Unter dem wabenartigen Deckengewölbe im ersten Stock befindet sich ein Verhandlungstisch, den HR Giger für die Verfilmung des Science-Fiction-Romans “Dune” entworfen hat. Darauf liegt eine eiförmige Skulptur Lees, die aussieht, als hätte sie gerade auf der Speisekarte dieser Tischrunde gestanden. Auch drum herum ist eine Menge los: Von der Decke hängen Mire Lees “Carriers – offsprings”, rosa Apparaturen aus verknoteten Schläuchen, die in pumpenden Stößen schleimige Flüssigkeiten absondern. Sie wirken organisch und lebendig, doch irgendwie krank und künstlich am Leben gehalten. Passend dazu hängen an den Wänden Darstellungen Gigers von Geburt und menschlich-maschinellen Mischwesen.
HR Giger und Mire Lee verwandeln den Schinkel Pavillons in eine körperlich-technische Zelle, in der persönliche und politische Angst, Trauma und Triebe beider Künstler*innen offen verhandelt werden. Sowohl Giger als auch Lee erschaffen Wesen, die gleichzeitig faszinierend und abscheulich sind. Bemerkenswert ist, dass sich die Arbeiten der beiden ganz natürlich aufeinander zu beziehen scheinen und sich gleichzeitig perfekt ergänzen. Sie thematisieren Körper und Psyche, mal fremd und unbekannt, mal in uns drin oder direkt nebenan. Und sie zeigen, dass uns das “Außerirdische” doch ziemlich ähnlich sein kann. Man kann wohl getrost mit den Worten von Ripley aka Sigourney Weaver schließen: „You know Burke, I don’t know which species is worse. You don’t see them fucking each other over for a goddamn percentage.“
WANN: Die Ausstellung „HR Giger & Mire Lee“ läuft noch bis zum 2. Januar 2022.
WO: Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin.