Porno und Profit Will Fredo über Marginalisierung von Sexarbeit
23. Oktober 2020 • Text von Julia Meyer-Brehm
Der öffentliche Diskurs zum Thema Sexarbeit schwankt oft zwischen Viktimisierung und Romantisierung. Über Verhütung oder faire Vergütung wird dabei zu wenig diskutiert. Will Fredos Einzelausstellung „Sexual Healers TV“ bei Mouches Volantes wirkt dagegen an. Wir haben mit dem Künstler über Trauma, unbezahlte Arbeit und ethischen Pornokonsum gesprochen.
Will Fredo zeigt in der Galerie Mouches Volantes in Köln sein Projekt „Sexual Healers TV“. Die von Ihsan Alisan kuratierte Einzelausstellung widmet sich in Form eines Webcast Channels dem Themenfeld Sexarbeit und Körperpolitik und beginnt mit dem Vorstellungsgespräch des Künstlers bei einer Pornoproduktionsfirma in Medellín. Anschließend führt Will Fredo mit dem Rechtsanwalt und OnlyFans-Star Leo und dem Sexarbeiter Erik einfühlsame Gespräche über Authentizität, Profit und den Einfluss von Technologie auf die Branche. Die Interviews rücken subjektive Perspektiven ins Licht des Diskurses und erforschen die Rechte von Sexarbeiter*innen sowie koloniale Strukturen auf Pornoseiten.
gallerytalk.net: War dir von vornherein klar, dass deine Recherche ein Kunstprojekt werden soll?
Ich wusste es ab dem Moment, als ich zum Casting in Medellín gegangen bin. So etwas wollte ich immer schon machen, deshalb war ich sehr neugierig. Aber als ich immer mehr Fragen gestellt habe und von den Bedingungen gehört habe, ist mir klar geworden, wie die Dinge funktionieren. Ich habe so viele Machtstrukturen festgestellt, die es in anderen Branchen auch gibt, in denen ich als Künstler, Autor und Redakteur arbeite.
Zum Beispiel unbezahlte Arbeit oder Ausstellungen für „mehr Reichweite“?
Absolut! Das ist der Status quo, oder? Es existieren absurde Erwartungen und Versprechen, wie eben Ausstellungen mit “unsichtbarer” Bezahlung. Die Menschen, die keine Macht haben, werden in dieser Dynamik immer verlieren.
Wie genau differenzierst du zwischen Sex Worker und Sexual Healer?
Sex Worker sind im Grunde genommen Personen, die dafür bezahlt werden, sexuelle Arbeit zu verrichten. Ich persönlich kann mich zum Beispiel nicht als Sex Worker bezeichnen, weil ich den Darsteller Erik dafür bezahlt habe, mit mir die Adult Performance zu drehen. Ich benutze die Bezeichnung des Sexual Healers, weil ich mich mit der Idee von Sex Work auseinandersetzen wollte, ohne dieses Wort zu benutzen. Sexual Healing bezieht sich auf die Idee der Sexarbeit, erweitert aber das Konzept. Jede*r kann Sexual Healer sein oder werden. Heilung ist das Ziel, aber das Konzept entwickelt sich ständig weiter.
Warum ist dir der Aspekt des Heilens wichtig?
Sexarbeit, generell Sexualität, ist oft mit Trauma und Schande verbunden. Meine Mutter kommt aus Guatemala, dort wurde im Bürgerkrieg Vergewaltigung als Machtmittel eingesetzt. Dieses Schema ist im globalen Süden sehr verbreitet und Sexualität und Ausbeutung sind oft stark verknüpft. Eigentlich überall auf der Welt. Mir ist sehr wichtig, mich auf die heilende Seite der Dinge zu konzentrieren und nicht so sehr auf die traumatische. Ich will über den Schmerz hinausgehen!
Welche Rolle spielst du selbst in dem Projekt, bist du lediglich Beobachter oder auch Beteiligter?
Mir gefällt die Vorstellung, dass Künstler*innen nicht nur auf einer Seite der Kamera stehen. Ich wollte die etablierten Ideen umkehren und etwas Neues ausprobieren. Also bin ich in den gesamten Prozess involviert, vor und hinter der Kamera, stelle Fragen, lasse mich aber auch von anderen analysieren. Ich beteilige mich als Künstler, Auftraggeber, Kurator, Redakteur und Journalist. Und ich unterstütze Personen, die aus ihren Komfortzonen heraustreten und verschiedene Machtpositionen einnehmen möchten.
Wie spiegelt sich das in deinem Konzept wieder?
Ich will die Menschen, mit denen ich arbeite, bezahlen. Für das Anschauen der Videoinstallation erhebe ich eine Gebühr und der Darsteller Erik erhält 30% der Einnahmen aus unserem gemeinsamen Video. Ich möchte alle, mit denen ich zusammenarbeite, an meinem Konzept teilhaben lassen. Nichts ist in Stein gemeißelt, es gibt keine Regeln. Wir haben ein positives Ziel, aber wir dürfen Fehler machen.
Abgesehen von fairer Bezahlung – wie können wir auf ethischere Weise Pornos konsumieren?
Ich bin mir nicht so sicher, ob ich das beantworten kann. Hinter den Produktionen stecken so viele Mechanismen, die wir nicht kennen. Selbst für mich, der seit Jahren Pornos konsumiert, waren all diese Dinge neu. Deshalb mache ich dieses Projekt und stelle diese Fragen. Aber eine Möglichkeit ist, nachzusehen, wo die Produktionsfirma ihren Sitz hat. Die Plattform bilatinmen.com, für die ich vorgesprochen habe, verkauft “Latin Porn”, ist aber nicht einmal in Lateinamerika ansässig. Das lässt einen natürlich die Absichten dahinter hinterfragen. Wer profitiert hier?
Welche Rolle nehmen Online-Plattformen wie OnlyFans.com ein, auf denen Sexarbeiter*innen ihre eigenen Inhalte kostenpflichtig zur Verfügung stellen können?
Das lässt sich nicht generalisieren. Aber Pornos über Plattformen zu konsumieren, bei denen die Darstellenden mehr Kontrolle haben, könnte eine ethische Art und Weise des Konsums sein. Meine Vermutung ist, dass Personen, die einen OnlyFans-Account haben, oft mehr Kontrolle über ihre Arbeit, die Bildrechte und ihre Einnahmen haben. Aber dies ist nur eine Annahme aufgrund von Leuten, die ich persönlich getroffen habe, wie den Darsteller Leo zum Beispiel.
Bei OnlyFans kann man auch in persönlichen Kontakt mit den Darsteller*innen treten aber nicht alle möchten ja die Personen kennen lernen, denen sie gerne beim Sex zusehen.
Es ist wichtig, die Konzepte einander nicht gegenüberzustellen. Nur weil einige Leute gerne mit den Darsteller*innen in Kontakt treten möchten, heißt das nicht, dass jede*r das tun muss. Es gibt die Möglichkeit dieser Art von Engagement, aber niemand ist dazu gezwungen. “Alles kann, nichts muss!”, wie man in Deutschland sagt. Diese Einstellung gefällt mir sehr. Hauptsache, es besteht Einvernehmen!
Soll „Sexual Healers TV“ kontinuierlich erweitert werden?
Zuerst war das Projekt nur auf die vier Videoarbeiten ausgelegt. Aber je mehr Leute ich getroffen habe, die sich mit dem Thema Sexarbeit beschäftigen, desto mehr wurde mir klar, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Jedes Mal, wenn ich mit einer neuen Person spreche, entdecke ich neue Perspektiven, die alles auf den Kopf stellen. In diesem Thema steckt so viel mehr und das ist erst der Anfang.
WANN: Die Ausstellung „Sexual Healers TV“ von Will Fredo läuft bis Samstag, den 7. November.
WO: Mouches Volantes, Ebertplatz 3, 50668 Köln.