Frau mit Katze und Du Toni Schmale in der Galerie Christine König
23. Mai 2019 • Text von Gast
1980 in Hamburg geboren, ist Toni Schmale inzwischen eine Wiener Künstlerin. Ihre aktuellen Arbeiten bei Christine König bilden ein skulpturales Setting, in das das Publikum mit einbezogen wird. So gehst „Du“ durch die Ausstellung, während du diesen Text liest.
Text: Jonas Beutlhauser
Arbeiten von Toni Schmale hast du bereits in Berlin gesehen. „SuperEgo“ war der Titel der Schau in den Räumen der nGbK 2015. Du erinnerst dich an massive Skulpturen meist aus Stahl und Beton. In ihrer Ästhetik glichen sie Fitnessgeräten, oder wahlweise Folterinstrumenten. Sadomasochistische Apparaturen, die jeweils eine oder mehrere Benutzungen nahelegten. Sie beanspruchten keine skulpturale Autonomie, sondern rückten die potentiellen körperlichen Handlungen, die auf ihnen ausgeführt werden konnten, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die eigentliche Arbeit entstand in den Köpfen der Besucher*innen, die sich selbst in Interaktion mit den Skulpturen imaginierten. Vom Super-Ego erdachte Gedankenkonstrukte, neoliberale Wunschzwinger, die dich zum Knecht deiner Selbst machen können. Darüber hinaus entwickelte Schmale ein Setting von Disfunktionalitäten, die sensible, oft komische, neue Handlungen entstehen ließen. Sollst du deinen Kopf durch dieses Betonloch stecken, die Griffe an der Kette bedienen und dich der Machtapparatur fügen? Funktioniert die Kette überhaupt? Sollst du dich auf der „hafenperle“ körperlich wie auf einem Sportgerät verausgaben? Oder handelt es sich doch um ein Sexspielzeug, das es abzutasten gilt? Komische Handlungen wurden inmitten einer Atmosphäre der Selbstquantifizierung vor deinem inneren Auge sichtbar. Ein Angebot an das „Du“, hart und sensibel zugleich.
Das ist drei Jahre her. Das Wetter ist schlecht. Der Mai verspricht und hält nicht. Du betrittst die Wiener Galerie Christine König. Ein Hund bellt. Er hängt an einer Leine am Empfangstresen. Sie ist durchgezogen, straff. Er schneidet sich das Halsband ins Fell und nimmt das Würgen in Kauf. Er knurrt und bellt dich an. Vor ihm liegt sein Spielzeug, ein grau gebissener und voll gesuderter Knochen aus Plastik und Stoff. Du wendest dich den Arbeiten zu.
Vor dir zwei menschengroße Objekte aus gelb verzinktem Stahl und Beton. Beide gleichen einander exakt in ihrer Form, unterscheiden sich nur in der Höhe. Jeweils zwei L-förmige Platten balancieren einen Betonquader in ihrer Mitte. Durch den Beton und die Platten sind zwei Löcher gebohrt. In die Löcher sind passgenaue Kolben gesetzt, die alles miteinander verbinden. Etwas ratlos suchst du nach der Liste mit den Titeln der Arbeiten. „Stehende figur w“ und „stehende figur t“ heißen die beiden unterschiedlich großen Komplizinnen. „W“ steht nicht für „weiblich“ und die Komplizin ist auch nicht das männliche Gegenüber. Vielmehr wurden die Figuren analog zur Körpergröße der Künstlerin und ihrer Partnerin entworfen. Sie bilden ein komisches Paar. Wie zwei Zeichentrickfiguren, von einem Kind gezeichnet, das den Rumpf vergessen und deswegen die Beine direkt aus dem Kopf ragen lässt, glotzen sie dich mit ihren Kolbenaugen an und kommen nicht von der Stelle. Du denkst an kongeniale Zweier-Verbindungen, wie Becketts Mercier und Camier, die nicht aufbrechen können und deshalb im Regen stehen. Oder Flauberts Meister des Scheiterns, Bouvard und Pécuchet, die nicht aufhören können etwas Neues zu beginnen und dadurch von einem Schlamassel ins nächste geraten.
„Frau mit Katze“, ebenfalls im ersten Raum, ist ein schwarzes in Biresin (Kunstharz) abgegossenes Relief. In der Darstellung, ursprünglich aus Ton modelliert, sind die Abdrücke der Fingerkuppen deutlich zu sehen. Die sonst peniblen und glatten Oberflächen der häufig sandgestrahlten, brünierten, geölten oder gewachsten Stahlskulpturen, werden hier bewusst konterkariert. Du erkennst weder Katze noch Frau in der schwarzen Masse, sondern Snoopy auf dem Rücken liegend, entspannt, lasziv, glücklich in Gesellschaft einer Henne, die es sich auf seinem Schoß gemütlich gemacht hat.
Sublimierung oder Sublimation bezeichnet in der Physik den Prozess des direkten Übergangs eines festen Stoffes in einen gasförmigen Aggregatzustand. Etwas ähnliches geschieht in Schmales Arbeit „Zwinger“ im zweiten Raum der Galerie. Stahlrohre wurden so lange bearbeitet, dass sie nicht mehr dem Gitter eines Zwingers und somit an Folter, Einschließung und sadistische Praktiken erinnern, sondern wie die Maserung eines Stoffes oder grobmaschige Stickereien wirken. Eine weiche, einladende Liegefläche für Zwei, die doch hart bleibt. In der Psychoanalyse spielt der Begriff der Sublimierung ebenfalls eine wichtige Rolle. Zunächst wurde damit der Vorgang der Modifikation von vermeintlich „finsteren“ Trieben in künstlerisch-schöpferische, intellektuelle, um mit Freud zu sprechen, in „höhere“ Interessensgebiete, bezeichnet. Um „Höheres“ scheint der Zwinger von Toni Schmale nicht bemüht. Denn beharren die Arbeiten nicht eben auf dieser Härte und dem Blick in triebhafte Konflikte und Abgründe? Sieht man vor den Arbeiten stehend nicht die Künstlerin schwitzend, sich mit einem schweren Hammer am harten Material abarbeiten?
Die Theoretikerin Alenka Zupančič führt den psychoanalytischen Diskurs zur Sublimierung weiter, wenn sie unter Berufung auf Jacques Lacan behauptet die künstlerisch-schöpferische Aktivität (das Behämmern von Stahl, die Sprache zwischen Zwei, das Du beim Ausstellungsbesuch) sei zwar eine andere Aktivität als die direkte triebhafte, sexuelle Stimulierung, die Befriedigung jedoch sei genau dieselbe. Toni Schmale macht diese Differenz zum konstitutiven Bestandteil ihrer Arbeiten. Schmales Arbeiten, kehren die Lust offen nach außen und laden dich ein sie gemeinsam zu bearbeiten und dadurch neue potentielle Aktivitäten und Umgangsformen zu entwickeln. Dabei begegnet dir die Künstlerin auf Augenhöhe, indem sie sich selbst in das Setting miteinbezieht und den eigenen Materialfetisch bricht.
Deutlich wird das Spiel der Künstlerin mit Ihrer eigenen Rolle in der Arbeit „im eimer“ im hinteren Raum der Galerie. Drei metallene Mülleimer mit schwarzen Müllbeuteln sind dort entlang der Wand aufgestellt als würden sie hier schon immer der Funktionalität des Ortes dienen. Dass man sie als skulpturale Arbeiten erkennt, liegt vor allem an den aus Beton gegossenen Fäusten, die den Mülleimern als Füße dienen. Unikale Abgüsse der Hand der Künstlerin, ähneln sie Schmales Arbeit „Fisting“: Eine stehende Hand aus Beton, die in ihrer Form an Sextoys erinnert und bei den Ausstellungskatalogen zu finden ist.
Du überlegst, was du in diese Mülleimer werfen würdest. Fast erscheinen die Skulpturen wie ein Kommentar zur Logik von Kunstgalerien – Produktion, Repräsentation und Legitimation künstlerischer Arbeit. „Dann wirf es weg! Verwerfe es!“, scheinen dir die Eimer nahezulegen. Du stellst dir vor wie du dem Köter am Empfangstresen sein stinkendes Spielzeug klaust, es Speichel triefend an zwei Fingern angewidert durch den Raum trägst und es mit einer erleichterten Handbewegung in die Schwärze der Mülleimer versenkst.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis zum 22. Juni, jeweils von Dienstag bis Freitag von 10-19 Uhr und am Samstag von 11-16 Uhr zu sehen.
WO: Galerie Christine König, Schleifmühlgasse 1a, 1040 Wien. Mehr hier.