Die Fabel der klugen Tiere TIERE. Respekt/Harmonie/Unterwerfung im Museum für Kunst und Gewerbe
20. Dezember 2017 • Text von Julie Göllner
Die Einen sind unsere besten Freunde und ständigen Begleiter, während wir die massenhafte Tötung der Anderen perfektioniert haben. Wir sind uns ihrer grenzenlosen Zuneigung gewiss und trotzdem maßen wir uns an, willkürlich über sie zu verfügen. Doch ist unsere intellektuelle Überlegenheit moralische Legitimation? Die Ausstellung TIERE. Respekt/Harmonie/Unterwerfung im Museum für Kunst und Gewerbe untersucht die Beziehung zwischen Mensch und Tier von der Antike bis zur Gegenwart.
Diese ambivalente Beziehung findet heute tatsächlich ihren Höhepunkt: in jedem dritten deutschen Haushalt lebt derzeit ein Haustier, sie werden geliebt, verhätschelt und sind nicht selten Ausdruck der Persönlichkeit ihres Besitzers. Auf der einen Seite werden immer mehr Menschen zu Vegetarier und Veganern, auf der anderen wächst der globale Fleischkonsum stetig. Bei der Frage nach dem Verzicht scheiden sich die Geister und das nicht erst seit gestern. Dicht gefolgt von den Flüchtlingsfrage, ist es das Streitgesprächsthema Nummer eins und hat nicht nur inter- sondern auch intragenerationell das Potenzial wirklich jeden Abend zu ruinieren. Die Ausstellung widmet sich also der Frage: Wie eng sind wir tatsächlich mit unseren tierischen Zeitgenossen verbunden? Aufgebaut wie ein Kabinett der Kuriositäten, finden sich hier Artefakte aus jedem Zeitalter. Gruselig, faszinierend und manchmal abstoßend erzählen sie die Geschichte von Tier und Mensch. Hier fällt Joseph Beuys kleine Bronzefigur eines Schafes neben den tausend Jahren älteren Exemplaren kaum auf. Wie in einer Wunderkammer vollzieht sich hier eine perfekte Symbiose aus Kunst und Wissenschaft. Dabei war die Liste der ausstellenden Künstler selten hochkarätiger: Albrecht Dürer, Francisco de Goya, Alexander von Humboldt, Max Ernst, Henri Rousseau, Paul Klee, Joseph Beuys, Franz Marc, Ai Wei Wei und viele mehr haben sich eingehend mit unseren tierischen Freunden befasst.
Die Geschichte von Mensch und Tier ist gleichermaßen eine von Natur und Kultur. Die Kunst versuchte dabei stets eine harmonische Einheit zu schaffen. Künstler wie Franz Marc trieben die „Animalisierung der Kunst“ voran, während Beuys mit dem Gedanken spielte, eine Partei der Tiere zu gründen. In seiner durch Spiritualität und Animismus geprägten Kunst, gelten Tiere als ein Schlüssel zur menschlichen Versöhnung mit der Natur. In Beuys Performance I like america and america likes me (1974), wird der Kojote „Little John“, der als heiliges Tier von den Ureinwohner Amerikas verehrt wird, zum Hauptdarsteller. Doch nicht bei allen Künstlern weckte die Natur versöhnliche Gefühle: Für Goya oder Johann Heinrich Füssli beispielsweise waren Tiere die Inkarnation des Wilden und stellen für den kultivierten Menschen eine Bedrohung dar.
Dabei war die Beziehung zu unseren tierischen Zeitgenossen schon immer höchst sonderbar. Vor dreißigtausend Jahren diente das Tier dem Menschen als Inspirationsquelle seiner ersten künstlerischen Selbstverwirklichungsversuche. Sie wurden gefürchtet, verehrt und an Höhlenwänden verewigt. In diesem Sinne ist die Wiege der Kunst gleichzeitig auch Zeugnis dieser frühen Mensch-Tier Beziehung. Im ägyptischen Kulturkreis wurde die Tierverehrung ad extremum praktiziert. Horus – der göttliche Herrscher über die Welt – ist ein hybrides Wesen aus Mensch und Falken, welches auf der Erde als Pharao in Erscheinung tritt. Den Toten gaben die Ägypter außerdem ihre mumifizierten Haustiere mit auf ihre Reise in Jenseits.
Als anthropomorphe Wesen wurden sie zu den Protagonisten unserer Geschichten, in denen sie humoristisch und verharmlosend von den menschlichen Eskapaden und Unzulänglichkeiten berichteten. Das Animalische wurde zum Ausdruck eines unkontrollierbaren, meist sexuellen Triebes und die Sphinx zum Inbegriff der Femme fatale, deren weibliche Aggression das sicher Verderben des Mannes bedeutete. Henri Rousseau’s la belle et la béte (1910) oder Merian C. Cooper’s Verfilmung von King Kong (1933) zeigten jedoch bald ein verändertes Rollenbild, welches sich durch die sexuellen Dominanz des Mannes charakterisierte. Der äffische Frauenraub ist dabei ein wiederkehrendes Sujet, welches im engen Zusammenhang mit der Kolonialisierung steht und vermutlich einen ebenso rassistischen Hintergrund hat.
Zeitgleich mit den Entdeckungsfahrten und Eroberungszügen erhalten die Tiere Einzug in die Wissenschaft. Vorreiter auf diesem Gebiet waren Alexander von Humboldt und Charles Darwin dessen Evolutionstheorie aufzeigte, dass alle Lebewesen nach einem ähnlichen Schema aufgebaut sind. Die Anatomie entmystifizierte unsere entfernten Verwandten und zeigte vielfach Parallelen auf. Albrecht Dürer’s Abhandlung einer Fledermaus spiegelt diesen geistigen Wandel wieder. So galt die Fledermaus lange Zeit wegen seines düsteren Erscheinungsbildes als unheimlich und dämonisch, während sie hier auf dem symmetrischen und anatomisch präzisen Abbild Dürer’s fast possierlich wirkt.
Dem Affen kommt eine besondere Stellung in der Kunst zu. Vielfach wurde er in einer grotesken Art und Weise dargestellt, wie er unbeholfen menschliche Tätigkeiten verübt. Bewusst versuchte sich der Mensch lange Zeit von dem Affen zu differenzieren, da er ihm einen Spiegel vorhielt und als „kluges Tier“ entlarvte. Friedrich Nietzsche schrieb in seiner Fabel Wie kluge Tiere das Erkennen fanden: „In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen fanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der „Weltgeschichte“(…).”
In der Spiegelkantine wird in diesem Sinne Animal Farm (1954) ein Comicfilm nach George Orwells Klassiker gezeigt. Unter dem Motto „all animals are equal“ begehren die Tiere gegen die ausbeuterischen Verhältnisse des Menschen auf, verfallen aber bald in nur allzu bekannte Muster („all animals are equal but some are more equal than others“). Im gegenüberliegenden Raum wird auf zwei überdimensionalen Bildschirmen Play dead; real time (2003), ein Kurzfilm von Douglas Gordon gezeigt. Die Elefantenkuh Minnie führt verschiede Befehle ihres Trainers aus u.a. „Play dead“, die Nahaufnahmen ihrer schmerzverzerrten Augen, lassen einen die Grausamkeit der Domestizierung durch den Menschen bewusst werden. So schreibt Nietzsche weiter im Text: „Könnten wir uns aber mit der Mücke verständigen, so würden wir vernehmen, dass auch sie mit diesem Pathos durch die Luft schwimmt und in sich das fliegende Zentrum der Welt fühlt.“
WANN: Noch zu sehen bis 4. März.
WO: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, 20099 Hamburg.