Stolze Streuner
Gina Fischli bei Karma International

16. Mai 2023 • Text von

Die Zürcher Galerie Karma International zeigt mit „Pride & Prejudice“ eine erste Einzelshow von Gina Fischli. Ausgestellt sind selbst genähte Straßentiere und schimmernde Accessoires – Gefährten gegen das Alleinsein, die dem Traum kuscheligen Konsums entspringen und ihren Betrachtenden Wohlbefinden schenken.

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Gina Fischli, Pride and Prejudice, Installation view, Karma International, Zurich, 2023. Photo credits: Annik Wetter. Courtesy of the Artist and Karma International.

Fünf künstliche Katzen sitzen in stolzer, aufrechter Haltung im Ausstellungsraum. Bereits durch die Schaufenster der Galerie Karma International sind sie zu sehen. Ihre Sitzpositionen sind erhöht. Die Tiere thronen auf bunten Kissen und weißen Sockeln. Die Zürcher Künstlerin Gina Fischli nennt sie „Mademoiselle“ oder „Prestige“. Damit gibt sie den Katzen Namen, die der Selbstsicherheit ihrer Posen weiter Nachdruck verleiht.

Die Tierschau wird ergänzt von der rosa Ratte „Celebrity“ und einem Vogel mit rotem Federschmuck. Es handelt sich allesamt um Tiere, die im urbanen Raum anzutreffen sind. Wir sehen sie im Park, in Hinterhöfen und Nebenstraßen. Sie gehören zum Stadtbild. Dennoch nehmen wir sie im Alltag kaum bewusst wahr. Fischli inszeniert sie ihm Rahmen der Ausstellung „Pride & Prejudice“ wie geliebte Haustiere oder sogar Preisträger eines Zuchtwettbewerbs.

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Gina Fischli, Pride and Prejudice, Installation view, Karma International, Zurich, 2023. Photo credits: Annik Wetter. Courtesy of the Artist and Karma International. // Gina Fischli, Pride and Prejudice, Installation view, Karma International, Zurich, 2023. Photo credits: Annik Wetter. Courtesy of the Artist and Karma International.

Die Hinwendung der Künstlerin zu den kleinen Geschöpfen zeigt sich nicht nur in der Präsentation auf Sockeln und der Namenswahl, sondern auch in ihrer Gestaltung. Alle Tiere sind handgemacht: Fischli formt ihre Körper aus weißem Gips, überzieht sie teilweise mit Patchwork aus Stoffen wie Jeans oder Jersey und bringt Knopfaugen an. Auch die Kissen, auf denen die Tiere sitzen, sind handgenäht. Sie bestehen ebenfalls aus Jeansstoff, Satin oder Luftpolsterfolie.

Die händische Fertigung der Objekte ist auf den ersten Blick sichtbar. Die ungewöhnliche Materialwahl betont ihre künstliche Machart. Zudem erwecken Form und Verarbeitung der Tierfiguren einen unvollständigen Eindruck. Die Körperformen sind unordentlich angelegt. Zerklüftete Oberflächen, unsaubere Kanten, lose Nähte und offene Stellen verleihen ihnen ein widerspenstiges Aussehen. So wecken die kleinen Tierkörper Assoziationen zu abgegriffenen Kuscheltieren, fast tot geliebtem Spielzeug oder sogar aufsässigen Straßentieren. In einer Galerie auf Sockeln präsentiert, lassen die Tierskulpturen an kulturgeschichtliche Objekte denken. Begegnete man ihnen jedoch nachts auf der Straße, würden sie wie Streuner wirken, denen man eher aus dem Weg geht.

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Gina Fischli, Pride and Prejudice, Installation view, Karma International, Zurich, 2023. Photo credits: Annik Wetter. Courtesy of the Artist and Karma International.

Auch wenn sie ruhig sitzen, sind diese Tiere nicht gebändigt. Sie ziehen in ihren Bann und wollen gesehen werden. Zugleich stoßen sie die Betrachtenden ab. Ist dies ein geliebtes Haustier oder ein unsauberes Straßentier? Ist dies der ganze Stolz eines liebenden Tierhalters oder der Graus der Nachbarschaft? Der Titel der Ausstellung „Pride & Prejudice“ spielt auf diese ambivalente Rezeptionshaltung gegenüber den Arbeiten an.

Ergänzt werden die dreidimensionalen Werke durch eine übergroße Handtasche im Ausstellungsraum und Bilder weiterer schillernder Accessoires. Sieben rechteckige Holztafeln hat Fischli mit Glitzerpuder auf Klebstift bemalt. Entstanden sind Abbildungen von schwarzen Sandalen mit Gummisohle, von glitzernden Wein- und Cocktailgläsern und zwei grafische Arbeiten, die an Malereien von Josef Albers erinnern. Mit diesem Verweis arbeitet die Künstlerin bewusst. Sie nennt die Bilder „Albers (Shine)“ und „Baby Albers (Shadow)“.

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Gina Fischli, Pride and Prejudice, Installation view, Karma International, Zurich, 2023. Photo credits: Annik Wetter. Courtesy of the Artist and Karma International.

Die in der Galerie gezeigten Tiere sitzen also in einer als kunstsinnig markierten Umgebung. Mit den abgebildeten Gläsern weckt Fischli zudem Assoziationen an eine schillernde Partygesellschaft. Ihre Mitglieder imaginiert man schick und ausgelassen. Womöglich haben sie ihre schimmernden Sandalen und halb ausgetrunkenen Cocktailgläser nach einem feuchtfröhlichen Abend in der Galerie zurückgelassen. Nach der Feier scheinen sie im nächtlichen urbanen Raum verschwunden zu sein. Hier kommen Mensch und Tier zusammen. Im Laternenschein streifen Menschen zwischen Galerien und Bars umher wie Katzen, die in Nebenstraßen und Hinterhöfen nach Nahrung suchen.

Fischli zeigt Tiere, mit denen wir öffentliche und private Räume teilen. Sie sind uns nah und fremd zugleich. Mit der Zusammenstellung von künstlichen Tierkörpern und Objekten des Alltags erzeugt die Künstlerin einen humoristischen Raum, in dem Mensch und Tier einander nahekommen. In den Tieren auf Sockeln fallen handgemachte Ausstellungsobjekte und missverstandene Kreaturen in eins. In ihren aufrechten Sitzpositionen und unberührten Blicken weisen sie auch menschliche Züge auf. Womöglich dürfen wir uns in den kleinen Geschöpfen selbst als stolze Streuner erkennen.

WANN: Die Ausstellung „Pride & Prejudice“ von Gina Fischli läuft bis Samstag, den 20. Mai.
WO: Karma International, Weststrasse 70, 8003 Zürich.

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