Der Körper meiner Zeit
Soy Capitán. zeigt Paloma Proudfoots Keramiken

15. April 2019 • Text von

Flüchtig, verwundbar und vergänglich − der Körper des Menschen. Auf humorvolle Art hinterfragt die britische Künstlerin Paloma Proudfoot dessen Fragilität in ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland. Die Berliner Galerie Soy Capitán. zeigt Proudfoots keramische Verspieltheit mit ephemerem Charakter.

Paloma Proudfoot – A History Of Scissors | Exhibition view, © Soy Capitán. Berlin.

Betritt man den für die Ausstellung „A History Of Scissors“ in variierenden Rosatönen gestrichenen Raum der Berliner Galerie Soy Capitán., so scheint es, als tauche man gleichzeitig in die fantasiereiche bunte Gedankenwelt der Künstlerin Paloma Proudfoot ein. Fragile, farbenfrohe Objekte aus Keramik sind im Raum verteilt − es sind Abdrücke von Körperteilen, Fragmente von Körpern, Büsten oder Keramikstiefel, die über den Galerieboden klackern. Die Keramiken sind mit Glas versetzt, auf Stelen befestigt oder aber auch wie die mit feinen Härchen aus Ton überzogene Büste von der Decke hängend.

Paloma Proudfoot, A History Of Scissors, 2019, © Soy Capitán. Berlin.

Es ist der Körper als physische, als fragile Einheit, der im Zentrum von Proudfoots erster Einzelausstellung in Deutschland steht. Die Künstlerin hat sich hierfür von dem literaturwissenschaftlichen Essay „The Second Body“ der britischen Schriftstellerin Daisy Hildyard inspirieren lassen, die darin der Frage nachgeht, was der physische Körper eines Menschen, der sich im Laufe des Lebens ständig verändert und somit in seiner Erscheinung wenig Beständigkeit aufweist, zu bedeuten hat. Parallel zu dieser physischen Einheit jedes Individuums, die greifbar aus Fleisch und Knochen besteht, über die wir verfügen können und deren Charakter doch flüchtig ist, dessen Veränderung wir nicht aufhalten können, schreibt Hildyard in ihrem Essay jedem Mensch einen „second body“ zu. Diesen sieht sie als eine Art globale Einheit, die jegliche Form von Einfluss darstellt, mit welcher wir als Menschen unsere Umgebung prägen. Ausgehend von dieser Diskrepanz, geht Proudfoot in ihren neuen skulpturalen Keramiken der Frage nach, was es bedeutet, einen greifbaren, aber ephemeren Körper mit einer beständigen Einheit eines „second body“ zu vereinen.

Paloma Proudfoot – A History Of Scissors | Exhibition view, © Soy Capitán. Berlin.

Der „first body“ ist also der fragile, sich verändernde und zersetzende Teil des Körpers, den der Youngstar der britischen Kunstszene in seinen teils fragmentarischen Skulpturen in Erscheinung bringt. In „A History of Scissors“ präsentiert die Bildhauerin, die in ihrem Werk vorrangig Sujets wie Fetisch, Erotik und Feminismus verarbeitet, auf humorvolle Weise Keramiken, die nicht nur auf die Vergänglichkeit und Verwundbarkeit des menschlichen Körpers anspielen, sondern auch das ständige Zersetzen und Wiederherstellen unseres Organismus thematisieren. Plakativ für den sich auflösenden Körper schnitt Proudfoot die Körper ihrer Freundinnen auseinander. Es sind Skulpturen, die Reproduktionen von Abgüssen der Körperteile ihrer Freundinnen darstellen. Die junge Britin, die am Royal College of Art studierte und als Performance-Künstlerin, Bildhauerin und Modedesignerin arbeitet, vereint hier durch das Mittel der Schere nicht nur letztere beiden künstlerischen Praktiken, sondern bringt dieses Werkzeug als entzweiendes, aber genauso zusammensetzendes Utensil mit ihrem Gedanken des sich ständig verändernden Organismus zusammen.

Paloma Proudfoot – A History Of Scissors | Exhibition view, © Soy Capitán. Berlin.

Aufgezeigt durch die sehr feinen Fasern aus Ton, die sich über die blaue Büste legen oder den orangefarbenen angedeuteten Kleidungsansatz über den Porzellanhänden – durch das Mittel der Schere den Körpern angefügt –, lässt die Künstlerin auch die Grenzen von Körper und Kleidung, Haut und Stoff ineinanderfließen. Starr und fest haften die eigentlich fremden Materialien auf der Keramikhaut der Büsten, scheinen untrennbar mit den Körpern verbunden und verleihen doch den Skulpturen durch ihre feine und fadenähnliche Struktur einen fragilen und verwundbaren Charakter. Verwundbar wie unser eigener Organismus, der „first body“ und durchaus fragil wie die Einheit des „second body“, deuten Proudfoots Arbeiten auf subtile Weise auf unsere eigene körperliche Vergänglichkeit und stellen dabei selber einen dauerhaften Moment des menschlichen Körpers dar.

WANN: Die Ausstellung ist nur noch bis Samstag, den 20. April, zu sehen.
WO: Galerie Soy Capitán., Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin.

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