Desillusion und Konfusion
Emily Wardill in den KW Institute for Contemporary Art

12. Juni 2023 • Text von

Im Rahmen der KW Production Series präsentieren die KW Institute for Contemporary Art derzeit die neue Videoinstallation “Identical” von Emily Wardill. Die Arbeit setzt gegensätzliche Gefühls- und Bildwelten neu zusammen, die sich in schnellen Schnitten und abrupt verändernden Sequenzen in einem irritierenden Gefüge vereinen – stets im Loop mit dem begleitenden Soundtrack.

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Emily Wardill, Identical, 2023, video installation. Courtesy Carlier Gebauer.

Es ist ein kühler, weitläufiger und dunkler Raum, in den sich die Betrachter*innen hineinbegeben. Auf zwei großen und versetzt zueinander stehenden Leinwänden beleuchtet die 2-Kanal-Videoinstallation “Identical” von Emily Wardill als einzige Lichtquelle den Ausstellungsraum der KW Institute for Contemporary Art. Als neueste Videoarbeit der KW Production Series beschäftigt sich “Identical” mit den Möglichkeiten und der Imagination des Bildhaften sowie mit der Expansion von Bildern in den Raum hinein. In einem ständigen Hin und Her laufen die Bewegtbilder in einem 16-minütigen Loop, zerteilen sich oder wandern visuell ineinander über. Die Künstlerin arbeitet in ihrer Neuproduktion ästhetisch angelehnt an das “Expanded Cinema” – einer multimedialen Form, die in den 1960er und 1970er Jahren von Künstler*innen entwickelt wurde.

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Emily Wardill, Identical, 2023, Videoinstallation. Installationsansicht der Ausstellung Emily Wardill – Identical in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2023; Foto: Frank Sperling. Courtesy Carlier Gebauer.

Emily Wardill setzt in ihrer Arbeit unterschiedlichste Szenarien wie ein Puzzle zusammen: Von glitzernden Wasseroberflächen und abstrakten Bildelementen zu körperlichen Rangeleien im Hotelbett, sexuell lustvoll anmutenden Momenten, die sich zu kraftvollen körperlichen Übergriffen dramatisieren. Ein Elefant, Sequenzen von professionellen Sportler*innen oder Filmausschnitte sowie maschinelle Figuren oder Farbverläufe, die ohne Gegenständliches auskommen, werden mal langsamer, mal wahnsinnig schnell aneinandergeschnitten. Die einzelnen Puzzleteile scheinen hier nicht perfekt ineinanderzugreifen, ergeben aber dennoch ein irritierendes Gesamtbild, mit dem wir als  Betrachter*innen umgehen müssen. Emily Wardill spaltet viele einzelne Momente auf, setzt sie neu zusammen und erweitert das Geschehen um eine weitere Ebene der Imagination.

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Emily Wardill, Identical, 2023, video installation. Courtesy Carlier Gebauer.

Maßgeblich beteiligt an der gesamtheitlichen Kunsterfahrung im Raum der KW ist die musikalische Begleitung, der Soundtrack, der eigens für die Videoarbeit konzipiert wurde. Auch hier findet sich das künstlerische Konzept der Neuzusammensetzung, der kurzzeitigen Verwirrung und Desorientierung wieder. An verschiedenen Soundquellen im Raum angepasst, werden hier ein melancholisches und berührendes Stück, vorgetragen von einem achtköpfigen Chor, mit gesampelten Tracks, gesprochenen Sequenzen und Ausschnitten bekannter Songs, wie “Loosing my Religion” von R.E.M. oder “Tomorrow Never Knows” von The Beatles, aufgespalten und zusammengesetzt. In einem Moment bringt die melodische Untermalung Ruhe in das Gesamtgefüge, wie ein zartes und beruhigendes Schlaflied nimmt die Musik den gesamten Ausstellungsraum ein, im nächsten Moment bringen abrupt wechselnde Film- und Soundsequenzen das Gefüge wieder durcheinander, sorgen für eine Überstimulierung aller Sinne.  

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Emily Wardill, Identical, 2023, Videoinstallation. Installationsansicht der Ausstellung Emily Wardill – Identical in den KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2023; Foto: Frank Sperling. Courtesy Carlier Gebauer.

Zugegeben, die Videoinstallation “Identical” von Emily Wardill hinterlässt nach der Betrachtung Gefühle der Desillusionierung und Konfusion. Irgendwas stimmt hier nicht, irgendwas fühlt sich hier ganz schön merkwürdig und überfordernd an und dennoch kann man nicht aufhören, hinzusehen. Die Installation nimmt den gesamten Raum ein, zieht einen in ihren Bann. Wer bisher nicht an die Gleichzeitigkeit von Gefühlszuständen und Gedanken geglaubt hat, wird sie hier definitiv erfahren. Was die Betrachtenden hier zu sehen bekommen, ist genau das, was intendiert ist. Das Wechselspiel von schnellen und langsamen Schnitten, die Fragmentierung einzelner Momente, die Leere und Fülle des Raumes – all das mag auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, doch genau in dieser Neukomposition von Video und Sound findet sich die bewusstseinserweiternde Ausprägung von Bildern, die Emily Wardill in ihrer künstlerischen Praxis sucht und auf den Grund geht.

WANN: Die Ausstellung “Identical” läuft bis zum 20. August 2023.
WO: KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin.

gallerytalk.net ist Medienpartner der KW für die Ausstellung “Emily Wardill: Identical”.

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