Im Krisenkarussell
Bjørn Melhus bei Ebensperger

10. Mai 2023 • Text von

Pandemie, Krieg und Klimakatastrophe – in der neuen Ausstellung von Bjørn Melhus bei Ebensperger versammelt sich eine gesellschaftliche Krise neben der anderen. In Dauerschleife. Mit “[dramatic music continues]” schließt Ebensperger das Kapitel im ehemaligen Krematorium Wedding dort, wo es 2013 mit einer Ausstellung von Bjørn Melhus begann.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Die zum Gallery Weekend 2023 eröffnete Ausstellung “[dramatic music continues]” von Bjørn Melhus bei Ebensperger hat es in sich – als wäre eine nicht schon genug, bringt der Künstler gleich mehrere gesellschaftliche Krisen im ehemaligen Krematorium Wedding zusammen: die Auswirkungen der Covid-Pandemie, Krieg in Europa und eine globale Klimakatastrophe. Auch wenn das Eingeständnis schmerzt, wir befinden uns in einem nicht zu enden scheinenden Loop, in einem “Krisenkarussell” und die entscheidenden Wendepunkte, die die Rettung in letzter Not hätten herbeiführen können, wurden schon längst verpasst. Hier sind wir und leben mittendrin im Dilemma.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Bjørn Melhus stimuliert mit seinen raumgreifenden Video-, Licht- und Soundinstallationen auf intensive Art und Weise die Sinne der Betrachtenden, was kurzzeitige Gefühle der Überforderung und Reizüberflutung hervorrufen kann. Die Ausstellung beginnt im Obergeschoss mit der titelgebenden Arbeit “[dramatic music continues]”. Der Raum wird lediglich durch eine kleine Lampe auf einem Schreibtisch erleuchtet, die durchgehend das SOS-Signal morst, um auf die Notsituation aufmerksam zu machen, während der sonst leere Raum von Kriegsgeräuschen ausgefüllt wird, die von Audio-Beschreibungen aus Filmen an der Wand begleitet werden.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Im Durchgangsraum des Untergeschosses angekommen, werden die Besucher*innen von drei großen, roten Leuchtbuchstaben empfangen, die das Wort “Eis” bilden. Sie stammen von einer ehemaligen Berliner Kaiser’s-Supermarktfiliale. Vom Krieg im oberen Raum geht es hier, wenn auch mit simplen Mitteln, aber äußerst plakativ, zur Klimakatastrophe über, die mittlerweile so alarmierende Ausmaße angenommen hat, das ein darüber Hinwegschauen eigentlich unmöglich wird, wie bei Ebensperger im Ausstellungsraum. Alles leuchtet, blinkt oder dreht sich hier.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Vorbei am “Eis”-Schriftzug wartet bereits der “Gatekeeper”, dargestellt von Bjørn Melhus selbst in verschiedenen schrägen DIY-Uniformen, auf das Ausstellungspublikum. Er personifiziert territoriale Grenzen, Abwehrsituationen und –Instanzen, blickt kritisch auf die Menschen hinunter und lässt doch – im Gegensatz zu viele anderen – alle Interessierten hinein. Der “Krisenclub”, der vielleicht beim Eintritt nach Party aussieht, wird aber vermutlich doch nicht so viel Spaß bringen, wie es hier auf den ersten Blick noch scheint. Begleitet wird das Ganze von der Farbfeld-Videoarbeit “Doors of Reception”, die Türgeräusche aus Science-Fiction-Filmen in den Ausstellungsraum bringt. Währenddessen flackert bereits das Licht der folgenden Arbeiten durch das Untergeschoss ebenso wie sich der Schall aller Videoarbeiten mehr und mehr überlagert.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Eine sich immer wieder bewegende Spirale führt tiefer in den dunklen Ausstellungsraum, in den das SOS-Morse-Signal inzwischen aus allen Richtungen hineindringt. Die Betrachtenden finden sich vor einer Installation aus Stehlampen und Ventilatoren wieder oder aber in der “SOS-Disco”, die erneut den Anschein eines Club-Settings erweckt und dazu einlädt, das alarmierende Krisengefüge als verrücktes Spektakel zu feiern. Es lassen sich beleuchtete Einschusslöcher an der Wand finden ebenso wie eine Eisbärenfigur mit Actionheld in einem rot beleuchteten kleinen Fenster, das die Klammer schlägt zum “Eis”-Schriftzug im Eingangsbereich des Untergeschosses. Auch wenn es zeitweise wie ein verwirrendes Chaos erscheint – hier ist nichts dem Zufall überlassen.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Zentral in “[dramatic music continues]” sind die zwei Videoarbeiten, die auch gleichzeitig den Abschluss der Ausstellung bilden. In “Homesick” spielt Bjørn Melhus ein Isolations-Kammerspiel, bei dem er, wie auch schon in “Gatekeeper”, in verschiedene Charaktere schlüpft, die teilweise vergeblich versuchen, ihren beklemmenden Zustand zu verbalisieren und sich in einem sich wiederholenden Alptraum wiederfinden. In “Resolution” spricht im Sterben liegendes Wesen aus der Zukunft zum Publikum, das wieder vom Künstler selbst dargestellt wird. Die Arbeit bezieht sich auf den 1973 veröffentlichten Science-Fiction-Film “Soylent Green” und ist ein kritisches Résumé über die Menschheit der vergangenen 112 Jahre.

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Bjørn Melhus, [dramatic music continues], Ebensperger Berlin, 2023, Fotos: Ludger Paffrath.

Ähnlich wie nach einer durchzechten Partynacht liegt die eigene Gefühlslage nach dem Ausstellungsbesuch bei Ebensperger irgendwo zwischen Rausch und völliger Erschöpfung. In “[dramatic music continues]” findet Bjørn Melhus einen schockierenden, verstörenden Ausdruck für unseren derzeitigen gesellschaftlichen Zustand und das komplexe Geflecht unserer Welt. Er bringt verschiedene Krisen unserer Zeit auf engstem Raum zusammen und unterstreicht damit, wie erschreckend, bedrückend und alarmierend ein Aushalten all dessen sein kann. Die Ausstellung beschreibt einen Ist-Zustand – ein Angebot für einen Ausweg sucht man hier leider vergeblich. Dennoch: keine*r sollte diese letzte große Ausstellung von Ebensperger im alten Krematorium verpassen!

WANN: Die Ausstellung läuft noch bis zum 17. Juni 2023.
WO: Ebensperger, Plantagenstraße 30, 13347 Berlin.

Keine Sorge: Die Galerie Ebensperger wird nicht aufgelöst, sie zieht nur im September an einen neuen Standort in Berlin-Kreuzberg.

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