Sonnenkönig, gib mir Feuer!
Kira Freije im E-Werk Luckenwalde

1. Juni 2023 • Text von

Dichter Nebel drückt die Stimmung in der Turbinenhalle. Zwei Metallfiguren schütteln ein Laken aus, eine andere fragt nach Feuer für die Zigarette und ein Harlekin beobachtet schmunzelnd das Treiben. In mystischer Atmosphäre des E-Werks Luckenwalde treffen mit “The Throat is a Threaded Melody” 14 Metallskulpturen von Kira Freije aufeinander, sie leiden, sterben und träumen. Worunter, warum und wovon bleibt ihr Geheimnis.

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Kira Freije, “The Throat is a Threaded Melody”, Installation view, E-WERK Luckenwalde. Photo: Mathias Voelzke

Vor dem majestätischen Gebäude des E-Werks Luckenwalde hängt eine unheimliche Soundkulisse. Aus Lautsprechern, installiert in den hohen Tannen vor dem Eingang, klirren, schrillen und dröhnen Töne hervor. Irritiert drehen sich Besucher*innen um die eigene Achse, um dem Sound-Gespenst auf die Spur zu kommen. Das Gefühl, umgeben von etwas zu sein, das sich kaum beschreiben lässt, wird einen auch durch die Gemäuer begleiten. Es riecht nass, nach Maschinen und WD-40. 

Den Pfeilen folgend werden Besucher*innen nach unten geleitet, durch eine Werkstatt, in der der Blaumann noch da liegt, als hätte sich gerade noch ein Körper aus ihm herausgeschält. Über das Kesselhaus, in das die Sonne über riesige alte Fenster Lichtfelder in die staubige Luft schneidet, geht es über eine Treppe hoch in die Turbinenhalle. Als würde ab hier kein Pfeil mehr, sondern die Sonne den Weg weisen – unheimlich schön.

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Kira Freije, “The Throat is a Threaded Melody”, Installation view, E-WERK Luckenwalde. Photo: Mathias Voelzke

Die massive Holztür öffnet sich schwer – WD-40, vielleicht? – hinter ihr verbirgt sich eine Szenerie, die zwischen mittelalterlichem Hofleben, Kriegsszenario, Spiel und psychiatrischer Klinik schwankt. Dichter Nebel liegt in der Luft, er umgibt die 14 menschengroßen Metallskulpturen der Künstlerin Kira Freije, die in eine Zwischenwelt zu gehören scheinen, sie stehen gefühlt auf einer Stufe nach dem Leben und vor dem Tod. Ihre schmerzverzerrten, trauernden, wachen und verschmitzten Gesichter drücken eine Vielzahl an Emotionen aus.

Freundlich gelächelt wird tendenziell wenig, doch die Mimik einer Figur deutet ein höflich hilfsbereites Lächeln an. Sie trägt einen zwar leicht zerrissenen, aber dennoch edlen Umhang am stählernen Körper, im Vergleich zu den anderen Anwesenden trägt sie das hochwertigste Textil. Florale Muster und Quasten zieren das Stück Stoff, erheben sie gemeinsam mit einem sonnenstrahlenden Schein hinter dem Kopf und silbernen Plateau High-Heels buchstäblich und hierarchisch.

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Kira Freije, “The Throat is a Threaded Melody”, Installation view, E-WERK Luckenwalde. Photo: Mathias Voelzke

Zentral im Raum steht der Sonnenkönig einer weniger schick gekleideten Figur in braunem Cape gegenüber, der er Feuer für die Zigarette reicht, eine freundliche, aber keine vertraute Geste. Immer wieder stellt sich die Frage nach den Verhältnissen der Figuren beziehungsweise Personen zueinander. Vor dem edel gesäumt, bekränzten und freundlichen Feuergeber werden alle anderen zu seinem Fußvolk, sie sind barfuß, individuelle Charaktere, gehen ihrer Beschäftigung nach, aber scheinen nicht wirklich frei zu sein, sondern stets von einer Freiheit zu träumen. Neben dem Nebel ist es dieser Eindruck, der sich drückend auf die Stimmung von Besuchenden legt.

Im Rücken der Rauchenden schleppen zwei kaum Bekleidete einen nackt und verletzt anmutenden Körper an Armen und Schultern. Die gebeugt den Verwundeten Tragenden verkörpern eine Gefahr, die ihnen spürbar im Nacken sitzt. Sie beeilen sich, ihren Kameraden aus der Gefahrensituation zu ziehen. Dieser hängt kraftlos und mit leicht geöffnetem Mund an ihren Händen, würde zu Boden sinken, wären sie nicht da. Bilder von Front und Schützengraben ploppen in Gedanken auf, gebannt werden die Figuren angestarrt, in der Hoffnung, das Happy End noch sehen zu können.

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Kira Freije, “The Throat is a Threaded Melody”, Installation view, E-WERK Luckenwalde. Photo: Mathias Voelzke

Das stählerne Gerippe der Skulpturen wird in dieser Szene bedrückend offengelegt. Alle Skulpturen sind Skelette aus Metallringen und -streben, deren Füße und Gesichter plastisch ausgeformt sind, Mimik und Erdung sind somit vorhanden und zentral, doch durch ihren Oberkörper und ihre Schenkel zieht ein nebeliges Lüftchen hindurch. Die modellierten Füße und Gesichter, teilweise auch vereinzelte andere Körperteile, hängen prothesenhaft an den Körpergestellen, alle schwanken somit zwischen metallischer Stabilität und verletzlicher Unvollständigkeit. 

Nahe einer Raumecke streckt ein auf Krücken gestützter, auf Zehenspitzen stehender Körper flehend seine Hand aus. Die Augen geschlossen und doch nachdrücklich verlangt er nach etwas. Gleich davor greift einer in gelber Hose und Metallhut nach einem Stahlseil, das an einem massiven Haken, der von der geschätzt acht Meter hohen Decke hängt. Er scheint daran mit letzter Kraft zu ziehen, doch da regt sich nichts, also hängt er da.

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Kira Freije, “The Throat is a Threaded Melody”, Installation view, E-WERK Luckenwalde. Photo: Mathias Voelzke

Auf einer Decke liegt ein verspielter Typ, ein Schalk oder Harlekin, der in ein blütenförmiges Objekt zu sprechen scheint, das an ein Megafon erinnert. Auf dem Bauch mit aufgestellten Knien und Kettenhemd kichert er verschmitzt vor sich hin und es ist wirklich die Frage, was eigentlich so lustig ist. Auf der anderen Seite der Halle hält ein abgetrennter Arm einen knorrigen Ast, der Tod ist nie weit, an den Wänden flackern beinahe heruntergebrannte Kerzen, die Flamme ist schon müde.

Jede Skulptur scheint wie einer Tarotkarte entsprungen auf ein Gefühl, eine potenzielle Zukunft oder Vergangenheit zu verweisen. Sie sind bedrohlich gebeutelt und stets auf der Hut, haben Hoffnung, einen kleinen Spaß und Visionen. Die Gefühle färben auf Besucher*innen ab, die in der licht- und nebeldurchströmten Halle wandeln. Sie werden vor jeder Figurengruppe Teil von ihnen, verschmelzen mit diesem nebulösen Kabinett und fiebern mit ihren Schicksalen mit. Sie erkennen sich in ihnen wieder, fühlen sich an Eigenes erinnert oder befürchten, Ähnliches noch vor sich zu haben.

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Kira Freije, “The Throat is a Threaded Melody” , Installation view, E-WERK Luckenwalde. Photo: Mathias Voelzke

Aus der Turbinenhalle tretend, ihre Bewohner*innen im Rücken wissend wandelt es sich in der Realität zunächst etwas skeptisch, und das fröhliche Zwitschern der Vögel wirkt vor diesem Hintergrund genauso frech wie das schelmische Kichern, von dem, der da drinnen bäuchlings auf seiner Decke liegt.

WANN: Die Ausstellung “The Throat is a Threaded Melody” läuft noch bis Sonntag, den 16. Juli.
WO: E-WERK Luckenwalde, Rudolf-Breitscheid-Str. 73, 14943 Luckenwalde.

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