Von Wolkenburgen und Exoskeletten
Gruppenshow bei Berthold Pott in Köln

10. März 2023 • Text von

In der Kölner Galerie Berthold Pott öffnet die Gruppenausstellung „Love and Human Remains“ Vorstellungs- und Möglichkeitsräume für scheinbar widerstrebende Gegensätzlichkeiten. Irgendwo im Dazwischen laden die Werke von zehn Künstler*innen gleichermaßen zum Träumen wie Schaudern ein. Denn in der tageslichtdurchfluteten Halle in Ehrenfeld lässt sich unter den dünnen Firnis in Abgründe blicken, gedanklich in Wolkenburgen wohnen und die kalte Oberfläche beschlagener Exoskelette mit der warmen Haut berühren.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Fluide Körper, die nach innen und außen schwingen, zu allen Seiten hin über die Bildränder dringen. Im luftleeren Raum wie schwerelos tänzelnd bilden Körper bei Carlotta Bailly-Borg einen Schwarm aus fließenden Bewegungen, wenn sich die Extremitäten in Wellen legen. Auf und ab bewegen sich die Arme und Beine als wären sie im Grunde nicht dinglich. Aus dem dunklen Hintergrund erheben sich die hellen Gestalten, bilden Muster, Verschränkungen als würden sie im Wasser schweben oder wie Laub zu Boden segeln.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

So fließend die Körper bei Bailly-Borg, so fluide ist auch das Thema der Gruppenausstellung in der Galerie Berthold Pott in Köln. „Love and Human Remains“ schließt gleichermaßen Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, Blühen und Vergehen ein. Der Titel ist dabei inspiriert durch das 1989 uraufgeführte Theaterstück „Unidentified Human Remains and the True Nature of Love“ von Brad Fraser, welches 1993 von Denys Arcand filmisch adaptiert wurde. Dort geht es um die Suche nach sexueller Identität, Queerness, Machtmissbrauch und Gewalt inmitten der Anonymität einer Großstadtmetropole. Im Kontext von HIV, als Liebe dunkle Schatten zu werfen drohte, bleibt der Glaube an die Liebe in Theaterstück wie Film jedoch bis zum Ende ungebrochen.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Sinnlichkeit und ihre Schattenseiten äußern sich in der Ausstellung anhand von Ambivalenzen, wenn Materialien warm und kalt, weich und hart, hell und dunkel erscheinen. Die Polsterobjekte von Jens Kothe zum Beispiel lassen sich in ihrer Stofflichkeit wie mit den Augen befühlen. Sogleich spürt die Haut, was das Auge sehen kann. Die weichen Polster sind bei Kothe wie Wolken an die Wand gebannt. In fleischiger Farbigkeit muten sie an wie geäderte Haut, feinste Kapillare, sich auffasernde Nervenbahnen. Ein taktiles Sehnen liegt darin, ein gedankliches in die Oberfläche Sinken, ein beinah in der weichen Sofaritze gänzlich Verschwinden. Bis die phallusartigen, aufstrebenden Holzobjekte gleich Griffen Ausstieg gewähren, so wie sie beim Einstieg halfen und schließlich als Handläufe aus dem Undefinierten führen.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Weich federnde Stoffe bei Kothe stehen harten Kissen bei Douglas Rieger entgegen, wenn Gummischläuche aus hölzerner Wirbelsäule ragen und metallische Projektile verbinden. Der Blick scheint in Stofflichkeit ebenfalls einzusinken, ist in widersprüchlicher Ästhetik begriffen, sobald unnachgiebige Objekte wie federnd Falten werfen. Harte Fetischästhetik äußert sich in den schmelzenden Metallen oder Spitzen, die wie Dornen aus der Fläche ragen.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Hauchdünn ist der Firnis über den Abgründen dieser Welt. Das Leben, Überleben scheint ein zielloses Tasten in alle Richtungen auszumachen, ein nach Halt Suchen, ein im schaukelnden Schwanken begriffenes Sein. Als ob der Mensch ein Leben lang in diesem einen Augenblick verharre, sobald alles im Gleichgewicht ist und dann so lange existiert, bis es kippt. Auf das Wesentliche reduziert sind Benjamin Houlihans Möbelstücke, egal ob Schrank, Stuhl oder Flügel. So weit heruntergeschliffen, bis der Hocker zwar noch steht, aber dünn wie Papier kaum noch seine ursprüngliche Form behält. Ein Atemzug, ein Blinzeln, ein unachtsames Streifen scheint das Möbelstück aus dem Lot zu bringen – und doch: es steht. Trotz gespaltener Sitzfläche, fragmentierten Achsen, gebrochenen Beinen hat es sicheren Tritt. So wie Menschen manchmal Standfestigkeit bewahren, auch wenn das Leben sie allem Anschein nach in die Knie zwingt.  

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Wo verortet sich das Ich angesichts all dessen? Wenn die Identität sich in tausende Facetten zerlegt? Plötzlich wirft der Spiegel mehr als ein Gesicht zurück, spaltet sich die Persönlichkeit in unzählige Einzelstücke wie gebrochene Keramik. Von überall blickt es nun aus dem Spiegelbild zurück, wenn die beschlagene Scheibe das eigene Gesicht auf dem Kopf stehend wiedergibt. Mannigfaltig ist das Selbstporträt von Lucia Sotnikova, deren eigenes spiegelndes Abbild sich in dickflüssigen Tropfen vielfach bricht. Wer bin ich in meinem eigenen Angesicht? Wenn sich der Mensch selbst gegenübersteht und mehr als ein Gesicht sieht?

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Wer ganz nah herantritt an Isabelle Andriessens an die Wand montierte Arbeit, hört es gluckern, rauschen, plätschern, als ob von innen Flüssiges durch Aluminium fließe. Und tatsächlich leiten Schläuche Wasser in die skulpturale Arbeit, ist die silbrig glänzende Oberfläche kalt bei Berührung mit den warmen Fingern. Je länger die Maschine läuft, desto mehr winzige Tropfen bilden sich, beschlägt das Aluminium, legt sich ein Film auf die wie Rippen in den Raum ragenden Stangen. Eine dunkle Zukunft ahnend hängt zwischen blassgelber Vorrichtung ein teilweise geschmolzen anmutendes Exoskelett. Ein Überbleibsel aus einer zukünftigen Welt, die zu diesem Zeitpunkt schon vergangen ist? Die Wirbelsäule eines Cyborgs? Gebrochen und fragmentiert erinnert die technoide Kunst von Andriessen an die Form gewordenen Alpträume von Künstlerin Mire Lee.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Tatjana Dannebergs großformatige Arbeiten setzen schließlich eine optische Klammer, rahmen die Schau, indem sie diese gleichermaßen abschließen wie beginnen. Hier reißt die dünne Folie fotografisch festgehaltener Alltagsszenen zuweilen auf, setzt sich wie Schlieren vor den Augen ab. Verschwommene Erinnerungen, die da sind, sich gedanklich befühlen lassen, nur um wieder in die Dunkelheit des Vergessens zu entschwinden. Die in malerischem Gestus aufgetragene Fotografie legt sich in wie mit breitem Pinsel gemalte Wellen, wird ins große Format gehoben. Es ist, als würde das Auge in einen innerlichen Brunnen blicken, die Hand die Wasseroberfläche streifen und so Erinnerungen vom Dunst der Vergangenheit befreien.

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Installationsansicht, “Love and Human Remains”, Berthold Pott, Cologne, 2023.

Die Gruppenschau bei Berthold Pott ist ein Sehnen, ein Erinnern, ist definiert im Undefinierbaren, in den Zwischenräumen angesiedelt. Es lässt sich auf dünnem Steg balancieren in luftiger Höhe, immer den Abgrund im Blick. Agata Ingardens Wolke aus Miesmuscheln kann zum Beispiel von innen leuchtend bewohnt werden, wenn nur noch bunte Lamellen mit dem Untergrund lose verbunden sind. All diese Ambivalenzen sind in der Ausstellung intendiert, weil das Leben erst lebenswert in den Grauzonen wird.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Dienstag, den 21. März.
WO: Berthold Pott, Widdersdorfer Straße 185, 50825 Köln.

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