Der Marktwert tritt den Wünschenswert
"Kapitalistischer Surrealismus" feiert Hoch-Zeit im Projektraum 145

1. Juli 2022 • Text von

Das Maß aller Dinge ist der Marktwert. Tagtäglich messen sich nicht nur Kapitalist*innen, sondern auch alle anderen Individuen, Künstler*innen an ihm. Das Maximum rausholen, haben ist besser als brauchen, aber die Leerstelle ist auch geil – hä? Die 15 Positionen der Gruppe “Kapitalistischer Surrealismus”, die sich rund um Christian Kölbl formiert hat, vermählt sich erstmals in einer Show im Projektraum 145, feiert augenzwinkernd “Hoch-Zeit” und die ästhetischen Absurditäten des Kapitalismus.

Installationsansicht, "Hoch-Zeit", Kapitalistischer Surrealismus, Projektraum 145, kuratiert von Christian Kölbl, 2022. Photo: Yashar Shirdel.
Installationsansicht, “Hoch-Zeit”, Kapitalistischer Surrealismus, Projektraum 145, kuratiert von Christian Kölbl, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

Im Projektraum 145 riecht es nach Plastik. 700 weiße Luftballons liegen auf dem Boden verteilt, an jedem hängt, nach alter Hochzeitstradition, ein Wunschzettel. Sie verheddern sich, irren umher und suggerieren, dass sie mal hochhinaus wollten, ganz oben waren, gefallen sind, dass hier eine Party stattgefunden hat. Die geschriebenen Wünsche schnörkeln sich kitschig über das weiße Papier und richten sich an die Zukunft, die Kunst, einen selbst, das System, sie sind sinnflexibel, Slogans geworden, allgemeingültig und absurd. Sie sind genau das, was auch der Kapitalismus ist.

Sinnbildlich ist es, dass die Ballons und mit ihnen die Kunst an die Grenzen des Ausstellungsraumes gestoßen, dass sie nicht wirklich frei ist. So geht ihr jetzt hier am Boden zusehends die Luft aus. “Bin ich unbesiegbar”, “Are you ready to face your creator?”, “Actually my brain could be my comfort zone.”, “United colors off Benetton” und ein ganz wichtiger Hochzeitswunsch: “never give up” und wenn doch: “send me a handsome lawyer”.

Installationsansicht, "Hoch-Zeit", Kapitalistischer Surrealismus, Projektraum 145, kuratiert von Christian Kölbl, 2022. Photo: Yashar Shirdel.
Installationsansicht, “Hoch-Zeit”, Kapitalistischer Surrealismus, Projektraum 145, kuratiert von Christian Kölbl, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

Die “Hoch-Zeit”-Feier der kapitalistischen Surrealisten muss wild gewesen sein. Die nachträgliche Fomo kickt rein, da wäre man schon gern dabei gewesen. Etwas tröstlich ist es, dass Besucher*innen mit ihren dreckigen Schuhen auch jetzt noch einen wichtigen Teil zur Party beitragen können. Ganz im Sinne unserer konsum,- und leistungsorientieren Gesellschaft ist das Herumtrampeln auf den Wünschen, das Platzenlassen und mit Füßen treten von Träumen erwünscht. Sie kommen hier so oder so nicht mehr raus. In ihrer letztlich zerfeierten Form werden sie dann gebündelt zur Hochglanz-Publikation – da kann noch was rausgeholt werden.

Hochzeit, Surrealistischer Kapitalismus, Anais Goupy: "Kim", 50 x 40 cm, 2022 // Pia vom Ende: "Lektion I", 40 x 80 cm, 2022. // Christian Kölbl: "Proposal: Eurofighter", 60x 70 x 185 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel. R245
Anais Goupy: “Kim”, 50 x 40 cm, 2022 // Pia vom Ende: “Lektion I”, 40 x 80 cm, 2022. // Christian Kölbl: “Proposal: Eurofighter”, 60x 70 x 185 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

Die Kunst liegt hier nicht nur wie das Geld auf der Straße, sie steht auch im Raum und schmückt seine Wände. Den Anfang macht Anais Goupy mit ihrer Arbeit “Kim”. “Kim” ist im Kern eine Kardashian, aber eine von einer KI geformte Version. Irgendwo unter vielen Lagen perfekt geschminkter Gesichter liegt die echte Kim Kardashian. Goupys KI-“Kim” ist also eigentlich nur ein billiger Abklatsch, sie trägt einen regenbogenfarbenen Choker, früher hieß das noch Tattoo-Kette, mit Chanel-Anhänger und Teddybär. Sie ist die Annäherung an das Vorbild, ein verlockend schönes und freundliches Durchschnittsbild, das gleichzeitig ein unnatürliches, berechnetes und gar toxisches Schönheitsideal symbolisiert, das massenweise als erstrebenswert angesehen wird.

Davor hinterfragt Christian Kölbl, der hier auch Kurator ist, mit seiner Skulptur “Proposal: Eurofighter” den tödlichen Trend der derzeitigen Aufrüstung. Weiße Hände zeigen das Victory-Zeichen, während an ihnen aufgefächerte Panzer-Quartett-Karten anheften. Panzer kaufen, das bringt Frieden? Und welche Panzer hast du so? Tauschst du Luchs gegen Leopard 2? Einen Gepard hätte ich sonst auch noch im Angebot. Was einmal kindliches Quartett-Vokabular war ist heute an der politischen Tagesordnung. Was ist aus “Make Love, not War” geworden? Make War, its Love? 

Christian Kölbl, "Proposal: Eurofighter", 60x 70 x 185 cm, 2022. // Installationsansicht, "Hoch-Zeit", Kapitalistischer Surrealismus, Projektraum 145, kuratiert von Christian Kölbl, 2022. Photo: Yashar Shirdel.
Christian Kölbl, “Proposal: Eurofighter”, 60x 70 x 185 cm, 2022. // Installationsansicht, “Hoch-Zeit”, Kapitalistischer Surrealismus, Projektraum 145, kuratiert von Christian Kölbl, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

Durch Kölbls Victory-Hand grinst Pia vom Endes gemalte Fratze. “Lektion I” ist überdimensionaler Smartphone-Display, auf dem ein schelmisch grinsender Riesenmund seine Zähne zeigt, oder fletscht? Ein sympathisches Lächeln ist es jedenfalls nicht. Die fiktionale Website “howtodieyoungandrich.com” ist geöffnet und somit wohl klar, was die Fratze, der Business-Clown verklickern will. Die wulstigen lila Lippen erzählen vermutlich vom schnellen Reichtum, locken Ungeduldige, Verzweifelte mit vielversprechendem Erfolg, sie versuchen sie einzufangen wie das Lasso einer Sekte. Da wickelt sich doch glatt ein Luftballonband ums Bein: “Success lies in the hands of those who want it”.

Kaufen zu können ist gut, besonders hochwertig kaufen zu können ist premium. “Gütesiegel (MK: sehr gut)” von Marvin Ketteniß zeigt woran Hochwertigkeit zu erkennen ist: am Label natürlich. Wo premium drauf steht ist auch premium drin. So funktioniert das. Scharfkantig zeichnet sich Ketteniß kreiertes Gütesiegel auf die LKW-Plane. Es macht einen professionellen und sehr soliden Eindruck. Diese sehr gute Plane wird noch sehr lange halten, das ist sehr sichtbar. Dass Kaufentscheidungen häufig aufgrund von Labels fallen, dass ein “Bio-Siegel” das Gewissen beruhigt, das kann niemand leugnen. Es wird nur seltsam, wenn das Premium-Dosenbier irgendwie gar nicht premium schmeckt. 

Pia vom Ende: "Lektion I", 40 x 80 cm, 2022. // Marvin Ketteniß: "Gütesiegel (MK: sehr gut)", 70 x 90 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.
Pia vom Ende: “Lektion I”, 40 x 80 cm, 2022. // Marvin Ketteniß: “Gütesiegel (MK: sehr gut)”, 70 x 90 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

Hier können Besucher*innen schon ins Stolpern geraten. Nicht nur wegen der Luftballons. Die kapitalistischen Surrealisten reflektieren einen ästhetisierten Kapitalismus, heißt es im Ausstellungstext. Reflexion ist nicht immer angenehm, Ästhetik tendenziell schon, Kapitalismus für die meisten schlecht, das ist echt verwirrend. Im anlässlich der Ausstellung erschienen Text, dem Manifest sozusagen “Kapitalistischer Surrealismus. Oder wie der Kapitalismus antrat, sich die Langeweile auszutreiben” von Julian Volz werden die verfolgten Fragen der Küntler*innengruppe formuliert: Was passiert “wenn also die Künstler*innen versuchen, die besseren Manager*innen zu sein? Wer hat nun das bessere Zeug zur*m kapitalistischen Surrealist*in? Die Künstler*innen oder die Manager*innen? Und sind die einen überhaupt noch ohne die anderen zu haben?” Schon wieder einen Wunsch an den Hacken: “I would like to die on Mars – Elon Musk”. Mach doch. 

Mit Tim Plampers “Passage (Complex I)-00001” und Anna Raczynskas “Fornever” prallen Welten aufeinander. Er hat, metaphorisch gesprochen, eine rosarote Brille auf. Mit Bleistift zeichnet Tim Plampers eine Innenwelt, die in einem organischen Austausch mit der Außenwelt steht. Alles ist verknüpft, reagiert miteinander, Aggregatzustände verändern sich, da kondensiert der Schatten und die Angst wird abgeleitet. Ein kleines Chemielabor der Emotionen. In Anna Raczynska Welt hingegen regiert das Flüchtige. Durch ein Schnapsglas guckend wölbt und verzerrt sich das dahinterliegende vermutlich betrunkene Gesicht. Tinder-Ästhetik hat sich breit gemacht. Die junge Frau mit den rosa Haaren genießt das buchstäblich kurze Vergnügen noch bis morgen. Hier ist nichts für immer.

Anna Raczynska: "Forever", 100 x 65 cm, 2022. // Jan Hoeft: "The Future", 35 x 45 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.
Anna Raczynska: “Forever”, 100 x 65 cm, 2022. // Jan Hoeft: “The Future”, 35 x 45 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

“Enemy” von Josef Hatikov erinnert an ein künstliches Kaminfeuer auf YouTube. Es sich mal ein bisschen gemütlichen machen ist die Idee, aber der Kamin fehlt. Echtes Feuer ist auch viel zu warm. Die Erde ist schon warm genug, einen Waldbrand auslösen will ja auch keiner. Also per Mausklick, geht doch. Entlang des Rahmens zieht sich ein unheimlicher Schriftzüge: “Blut ist geschrieben, Blut ist gedrückt. Ich bringe Tränen und Bitterkeit in dein Leben. Du kannst dich nirgendwo davor verstecken. Abraxas, Josef Hatikov 2022”. Das macht es doch etwas ungemütlich jetzt, Abraxas.

Glitzernde Flüssigkeit wird mit Jan Hoefts “The Future”, einer Art Gedanken-Melkmaschine, aus der faltigen Stirn eines Mannes gezapft. Die Gedanken, die Ideen sind im stetigen Fluss, keine Pause, sondern Produktion. Sie werden in der Maschine scheinbar aufbereitet, gekühlt, gelagert, weitergeleitet, ein Ideen-Prozessor.

Felix Pötzsch: "Du bist Willkommen", 32 x 23 cm, 2022. // Andy Kassier: "stalker", 80 x 53,3 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.
Felix Pötzsch: “Du bist Willkommen”, 32 x 23 cm, 2022. // Andy Kassier: “stalker”, 80 x 53,3 cm, 2022. Photo: Yashar Shirdel.

Und die Kapitalismus-Hochzeit ist noch lange nicht zu Ende. Da ist noch ein Raum: Felix Pötzsch zeichnet in naiven dicken Linien eine brutale Architektur, vor der sich muskulöse Arme verschränken. Zackig krallen sich seine Linien in das Papier, wollen hart wirken, wie Menschen mit Tribal-Tattoo auf dem Oberarm und sagen doch ganz höflich: “Du bist willkommen”. HolzingerUrbat GbR stellen ihre fiktive Firma in einem pseudoanalytischen Erklärvideo vor und über all dem wacht Andy Kassiers Fotografie “stalker”. Sie zeigt den Künstler selbst als einen jungen dynamischen Unternehmer im Anzug, der auf widerliche Weise bewundernswert erfolgreich scheint. Ein Dandy, ein Ausgebrannter, ein Feind- und Vorbild.

Die Realitätsklatsche ist surreal. Ein Schlag gegen den Kapitalismus, die reinste Kapitalismus-Schlägerei. Es tut weh und macht Spaß. Hier können Schamgefühle entstehen, hier sollen sie entstehen. Hier fühlen sich Besucher*innen vom Kapitalismus gestalked. Sie werden sich seiner surrealen Komponenten bewusst, feiern sie, lachen über sie, lehnen sie ab und wünschen sich am Ende etwas Wünschenswertes. Und einen Champagner. 

WANN: Die Ausstellung “Hoch-Zeit” ist heute, am Freitag, den 1. Juli von 14 – 19 Uhr geöffnet und nochmal zur Finissage am Sonntag, den 10. Juli ab 18 Uhr. 
WO: Projektraum 145, Invalidenstraße 145, 10115 Berlin.

Weitere Artikel aus Berlin