Macherinnen machen
Die Homepage von Claudia Holzinger und Lilly Urbat

25. April 2022 • Text von

Was passiert, wenn Kunst mit den Slogans eines kommerziellen Unternehmens beworben wird? Für ihre Homepage holzingerurbat.de eigneten sich Claudia Holzinger und Lilly Urbat den Webauftritt des Familienunternehmens Brose an. Daraus entstanden ist eine feministische Hinterfragung von Beruf und Berufung. Indem sie sich als Businessfrauen inszenieren, legen sie die Erwartungen und Anforderungen an Künstlerinnen offen.

Die Unternehmensseite von HOLZINGERurbat

Wie der funktionale Webauftritt eines kommerziellen Technikunternehmens erscheint die Homepage holzingerurbat.de beim ersten Klick. Die beiden Künstlerinnen Claudia Holzinger und Lilly Urbat posieren auf der Startseite in Businessoutfits auf einer grünen Wiese mit Windkrafträdern im Hintergrund. Auch beim Durchforsten der einzelnen Menüpunkte mit Titeln wie “Unternehmen”, “Produkte” oder “Karriere” lässt zunächst wenig darauf schließen, dass hier Kunst gemacht wird. Stattdessen kommen Schlagwörter allgegenwärtiger Coaching Agenturen entgegen, wie beispielsweise “Effizienz”, “Unique Selling Point” oder “Innovation”. 

In Fotografien präsentieren sich die Künstlerinnen als Geschäftsfrauen, Macherinnen und Visionärinnen und dokumentieren in Videos ihr vermeintliches Jetset-Leben zwischen Flugzeugkabine, Meeting und Business Lunch. Holzinger und Urbat gehen in diesem virtuellen Projekt der Frage nach, wie sehr sich die Arbeit als Künstler*in eigentlich von anderen kommerziellen Unternehmen unterscheidet. Schnell stellt sich heraus: eigentlich kaum.

Digitalisierung geschäftsnah ausrichten mit HOLZINGERurbat

Holzingerurbat.de ahmt die Struktur und den Aufbau des Webauftritts der Brose Gruppe, einem deutschen Familienunternehmen und Global Player der Automobilindustrie, identisch nach. Das Unternehmen ist derzeit unter der Leitung von Michael Stoschek, dem Vater von Julia Stoschek. In den letzten Jahren fiel das in Coburg ansässige Unternehmen mehrfach durch negative Schlagzeilen auf, unter anderem aufgrund der keineswegs ausreichend aufgearbeiteten NS-Vergangenheit des Firmengründers Max Brose, dem Großvater von Michael Stoschek.

In einem aufwendigen technischen Prozess kopierten die beiden Künstlerinnen und ihr Team den unübersichtlichen Aufbau der Unternehmenshomepage und tauschten die Inhalte mit ihrem eigenen Content aus. Doch nicht nur die Struktur, sondern auch das Wording und die Bildästhetik wurden bis ins kleinste Detail imitiert. Auch bei HOLZINGERurbat hat die Zufriedenheit der Kund*innen oberste Priorität, weswegen sich “das zweitkleinstmöglichste Kunstunternehmen in Familienbesitz weltweit” in einem Prozess der ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung seiner Produkte befindet.

Willkommen im Karriereportal von HOLZINGERurbat

Was passiert, wenn die Slogans und die Bildästhetik eines von Männern geführten Großkonzerns auf die Lebenswirklichkeiten und das Mindset von Künstlerinnen treffen? Anfangs erscheint das ziemlich amüsant, zum Beispiel wenn sich Holzinger und Urbat als Chief Executive Officer, Executive Vice President Interior oder als Executive President Purchasing vorstellen und in cleanen Hochglanzbüros visionär in den Laptop blicken.

Doch es steckt viel mehr dahinter. Holzingerurbat.de spiegelt die Rolle von und die Anforderungen und Erwartungen an Künstlerinnen des 21. Jahrhunderts wider. Eine Künstlerin sein bedeutet nicht einfach nur Kunst zu produzieren. Im Optimalfall ist sie auch ihre eigene Buchhalterin, Projektmanagerin, Pressesprecherin und Social Media Expertin. Außerdem soll sie noch ein Genie im Socializing bei Vernissagen sein und nebenbei bitte genügend Geld für die Mieten von Atelier und Wohnung aufbringen.

Kompetenzen stärken mit HOLZINGERurbat

Unter dem Reiter “Historie” lässt sich mehr über die beiden Väter der Künstlerinnen erfahren, die ihre eigenen Firmen aufgebaut haben. Anstatt sich von diesen unternehmerischen Wurzeln vollkommen zu lösen oder mit diesen sogar zu brechen, haben sich die beiden Töchter zusammengetan und das Label HOLZINGERurbat gegründet. Die Familienunternehmen sind sozusagen fusioniert. Dieses digitale Projekt ist somit eine selbsttherapeutische Erforschung der künstlerischen und der individuellen Identität. Es zeigt den Einfluss der eigenen Familiengeschichte auf private und berufliche Wege – als Frau, Tochter, Künstlerin und als Kollektiv.

Auf dieser Homepage wird deutlich, dass die beiden Künstlerinnen nicht nur die Chefinnen ihres Unternehmens sind, sondern auch all die anderen Aufgaben, die das künstlerische Schaffen nach sich zieht, alleine stemmen. Holzingerurbat.de ist deswegen nicht nur eine feministische Offenlegung von unternehmerischen Strategien und Rollenbildern. Das Künstlerduo lotet darin auch die Idealvorstellungen von Beruf und Berufung aus. Es muss sich eingestanden werden, die künstlerische Arbeit ist ein Balanceakt zwischen Kreativität, Credibility, Produktivität und Umsatzsteigerung. Und Kunst ist eine Ware, und zwar eine ganz spezielle. Während diese Tatsache oftmals gerne verdrängt und ausgeblendet wird, legen Holzinger und Urbat auf ihrer Homepage die Finger in die Wunde.