Das Leiden als Weg zur Kunst
"Kafka 1924" in der Villa Stuck

2. November 2023 • Text von

Neue Perspektiven, Verknüpfungen und Querverweise. Anlässlich des 100. Todestags von Franz Kafka nutzt die Ausstellung “Kafka: 1924” in der Villa Stuck den inhaltlichen Kosmos des Autors als Ausgangspunkt für eine beeindruckende Reflexion über dessen Einflüsse auf die bildende Kunst mehrerer Generationen.

Chiharu Shiota: During Sleep, 2023, Installationsansicht, Museum VILLA STUCK, Foto: Jann Averwerser © VG Bild-Kunst, Bonn, 2023 and the artist.

Ein Netz aus verwobenen Fäden spinnt sich durch den schmalen Raum. Wie ein undurchdringliches Labyrinth reicht es von Wand zu Wand, vom Boden bis zur Decke. Eine fragile, geometrische Konstruktion, in deren Zentrum ein Bett eingewoben ist. Ein bisschen erinnert die Arbeit “During Sleep“ von Chiharu Shiota an die Netzstrukturen von Tomás Saraceno. Aber diese Installation ist nicht futuristisch oder gar utopisch. Vielmehr löst die raumfüllende Verspannung, in der das Bett wie in ein Kokon eingesponnen ist, Gefühle der Bedrohung und Beengtheit aus, sie wirkt wie eine irritierende Bühne für Alpträume. “During Sleep“ ist Teil der aktuellen Ausstellung “Kafka: 1924“ in der Villa Stuck.

Andreas Gursky: Pförtner, Passkontrolle, 1982, Courtesy Sprüth Magers © Andreas Gursky / VG Bild-Kunst.

Beklemmung, Scham, Unbehagen gegenüber Autoritäten und klaustrophobische Ängste. Die Themenkomplexe, die sich durch das literarische Werk von Franz Kafka ziehen, haben an Aktualität absolut nichts verloren, sie finden wohl auch heute noch ihren Platz in vielen Therapiesitzungen und Gesprächen. Anlässlich des 100. Todestages des Autors im Juni 2024 zeigt die Villa Stuck eine beachtliche Ausstellung im erweiterten inhaltlichen Kontext von Franz Kafka. Die präsentierten Positionen der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts beziehen sich direkt oder indirekt auf Kafka, in Bildern, Fotografien, Videos, einer großen VR-Installation, Skulpturen und Installationen kreisen die Positionen der Künstlerinnen und Künstler um ein “kafkaeskes“ Zentrum.

David Claerbout: Shadow Piece, 2005, Courtesy the artist and galleries Rüdiger Schöttle, and Esther Schipper © VG Bild-Kunst, Bonn 2023.

Die Ausstellung ist nicht streng chronologisch strukturiert, vielmehr wird entlang einzelner Erzählungen und zentraler Themen Kafkas eine eigne Narrative konstruiert. Bestimmte Leitmotive wie das Labyrinth, die Nadeln, die Ameisen oder die Spinnen werden aufgegriffen. Mit Arbeiten von Künstler*innen wie Louise Bourgeois, Jeff Wall, David Claerbout, Maria Lassnig, Paula Rego oder Sebastian Jung nähert sich die Kuratorin Helena Pereña der Essenz von Kafka aus unterschiedlichen Perspektiven und bedient sich der Kunst unterschiedlicher Generationen. In allen Bereichen der Ausstellung sind Auszüge des Comic-Klassikers “Kafka for Beginners” von Robert Crumb und David Zane Mairowitz zu sehen, die in die jeweilige Thematik einführen.

Kafka: 1924, Installationsansicht mit Werken von Cathy Wilkes und Paula Rego, Museum VILLA STUCK, Foto: Jann Averwerser.

Die Ausstellung “Kafka: 1924“ bringt eine vielfältige Auswahl künstlerischer Positionen zusammen, die sich, unter dem inhaltlichen Schirm des Kosmos von Franz Kafka, erstaunlich gut ergänzen. Dicht arrangiert und in den unterschiedlichen Räumen schlüssig gruppiert, ist die Ausstellung ein eigener Reflexionsraum, in dem neue Perspektiven, Verknüpfungen und Querverweise sichtbar werden. Dass Franz Kafka nicht nur in der Literatur einer der prägendsten Figuren des 20. und 21. Jahrhunderts ist, sondern seine Themen auch in der bildenden Kunst wirkmächtig nachhallen, beweist diese Ausstellung nachhaltig.

WANN: Die Ausstellung “KAFKA: 1924” ist noch bis zum 11. Februar 2024 zu sehen.
WO: Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, 81675 München.

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