Wie fühlt sich Luxus an?
Alcantara als Material der Kunst

14. Februar 2023 • Text von

Weich und geschmeidig fühlen sich die Autositze, Taschen und Polstermöbel aus Alcantara an. Entspricht das dem Gefühl von Luxus? Oder von Kunst? Chiharu Shiotas hat ihre berühmten Fadenarchitekturen aus Alcantara-Bändern gespannt sind, der Kalligraf Qin Feng seine Schriftzeichen auf Alcantara gesetzt. Es ist ungewöhnlich, wenn ein Unternehmen nicht etwa die hauseigene Kunstsammlung, sondern sein Material als Werkstoff für Kunstschaffende in den Fokus rückt.

Gallerytalk Alcantara ER6 (SAIC Motor   R brand)
Alcantara, ER6 (SAIC Motor – R brand).

Flügeltüren öffnen sich, muten futuristisch an, laden ein zu einer Fahrt am Limit der Geschwindigkeit. Im Inneren des Gehäuses fährt das Auge wie die Hand über die Fahrersitze, nimmt man gerne Platz, Grün und Schwarz wechseln sich ab. Das Lenkrad fühlt sich weich an, der Griff ist fest. Dann schließen sich die Flügeltüren, der Fuß liegt auf dem Gaspedal, die Euphorie wird gesteigert vom eigenwilligen Geruch von Neuwagen. In glänzendem Lack spiegelt sich die Stadt und passend dazu ist in den Seitentüren die Silhouette der Mailänder Skyline in Stoff gegossen. Mailand ist bekannt für Mode, ausgeklügeltes Design und Luxusmarken, aber wie fühlt sich Luxus an?

Bereits 1970 entwickelte der japanische Wissenschaftler Miyoshi Okamoto das Material Alcantara und meldete dafür das Patent an. Zwei Jahre später bildete sich auf Grundlage dessen eine japanisch-italienische Partnerschaft zur kommerziellen Nutzung des Patents, aus welcher das italienische Unternehmen Antor S.p.A., später Alcantara S.P.A. hervorging. Der Hauptsitz der Firma befindet sich seitdem in der italienischen Metropole Mailand, die Produktionsstätte in Nera Montoro. Zunächst ausschließlich für Bekleidung eingesetzt, ergänzten wenige Jahre später Innenausstattungen von Automobilen sowie Möbel das Portfolio. Jüngste Erweiterung ist der Vorstoß in die Kunst. Alcantara hat das Material bildenden Kunstschaffenden wie Chiharo Shiota als Werkstoff zur Verfügung gestellt.

Gallerytalk Alcantara Out of the Blue Huangsheng
Alcantara, Out of the Blue, Wang Huangsheng, Palazzo Reale, 2020.

In dunklen Räumen reproduzieren sich illuminierte Stoffbahnen in Spiegeln wie Boden. Sie fließen von stuckbesetzter Decke, so wie die Tinte und die Schriftzeichen in ihrer Bewegung fließen. Manchmal bilden die papiernen Bahnen fast einen Wald aus Schrift, verjüngen sich in feine Linien. In der digitalen Installation von Wang Huangsheng leuchten sich bewegende Buchstaben und Wörter von Wänden und Decke, erschaffen eine immersive Welt vorbeifließender Gedanken. Die Installation war Teil der 2020 ausgerichteten Ausstellung „Into the Blue“ in den Prinzessinnenapartments im Mailänder Palazzo Reale. Sechs chinesische Kunstschaffende widmeten sich dort dem Spannungsverhältnis von digitaler Kunst und traditioneller Kalligrafie, verwendeten Alcantara als nachgiebige Basis für die Schriftbilder.

Gallerytalk Alcantara MAXXI Space Popular
Alcantara, Lara Lesmes and Fredrik Hellberg, MAXXI, Space Popular, 2022/23.

Lange Korridore, bunte durchfensterte Fassaden kennzeichnen die Bauten des italienischen Architekten Aldo Rossi. Da ist zum Beispiel der von zwei Flügeln umschlossene zylindrische Turm des Bonnefanten Museums in Maastricht oder das an historischen Vorbildern orientierte Quartier Schützenstraße in Berlin. Bezugnehmend auf Architekturen wie diese werden auf lichten Bahnen aus Alcantara Gebäude aus Stoff erbaut. In leuchtenden Farben reihen sich Fassaden, Türme, Dächer aneinander, sind von einer Straßenlaterne zusätzlich illuminiert. Sie kehren in der Leuchtkraft des Materials den Variationsreichtum Aldos hervor und sind Teil der sogenannten “Studio Visits”. Innerhalb dieser Visits werden fortlaufend zeitgenössische Designer*innen zur persönlichen Begegnung mit den Werken der Architektursammlung des MAXXI Museums für zeitgenössische Kunst in Rom eingeladen.

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Alcantara, The Material of Art, Chiharu Shiota, 2022.

Wie viel bei Alcantara selbst im Fluss ist, fasst die Publikation „The material of art“ zusammen. Die Buchvorstellung wurde 2022 von einer Ausstellung im Mailänder PAC –Padiglione d‘Arte Contemporanea begleitet, in der all die Highlights vorangegangener Ausstellungen zusammentrafen. Besondere Aufmerksamkeit erregte die Arbeit von Chiharu Shiota. Denn Ihre diffizilen Fadenarchitekturen sind aus Alcantara gefertigt. Besonders widerstandsfähig und leicht müssen die Bänder sein, welche Shiotas installative Räume gleich riesiger Spinnennetze durchweben. Wenn blutrote Fadengeflechte aus Booten platzen, handgeschriebene Notizen als Erinnerungsstücke in weißen Stoff wie ins Gedächtnis eingewoben sind oder die Bänder in schwarzer Farbe gleich feinstem Gespinst Konzertsäle überziehen.

Gallerytalk Alcantara MAXXI 2020
Alcantara, MAXXI, Konstantin Grcic, 2020.

Große Luxusmarken sind im Kunstbetrieb nichts Neues. BMW fördert Events wie den Preis der Nationalgalerie oder das Berliner Gallery Weekend. Mercedes-Benz präsentiert in seinem gleichnamigen Museum die eigene Kunstsammlung und die Sammlung von Unternehmer François-Henri Pinault wird nicht nur im Palazzo Grassi, sondern auch in der ehemaligen Pariser Börse, jetzt Pinault Collection, gezeigt. Die Mailänder Fondazione Prada und die Fondation Louis Vuitton in Paris sind zudem als Institutionen schon lange fester Bestandteil der Kunstwelt. Zum ersten Mal aber rückt ein Unternehmen nicht die eigene Kunstsammlung in den Fokus, sondern das eigene Material. Alcantara ist ein Unternehmen, das angesichts seiner Geschichte Erfahrung mit Luxus und Kreativität hat und mit den Bedürfnissen der entsprechenden Akteur*innen vertraut ist.

Gallerytalk Alcantara The Portal Galleries   Space Popular   Photographer Gareth Gardner
Alcantara, The Portal Galleries, Space Popular, Photographer: Gareth Gardner.

Jegliche Form von Stoff, von Leder ist längst elementarer Werkstoff in der Kunstproduktion. Momentan zeigt beispielsweise der Hamburger Bahnhof eine Videoinstallation von Sandra Mujinga, für welche die Künstlerin Leder- und Kunstleder zu einer neuartigen Elefantenhaut zusammengenäht hat. Monica Bonvicini arbeitet ebenfalls mit unterschiedlichsten Materialien, nutzt die Fetischästhetik von Lederoptik. Das velourslederartige Material Alcantara könnte in seiner Vielseitigkeit und Widerstandsfähigkeit die Bandbreite erweitern. Vorstellbar wäre ein Einsatz im Kontext dystopisch anmutender Zukunftsentwürfe, wie die aus unterschiedlichsten Materialien zusammengesetzten Installationen von Künstlerin Mire Lee. Doch auch für bunte Installationen, weich anmutende Traumwelten oder als texturreiche Projektionsfläche für digitale Kunst taugt das Material. Alcantara plant nun eine Ausweitung auf den deutschen Markt. Vielleicht sind es bald auch deutsche Künstler*innen, die sich das Material für ihre Kunst zu eigen machen.

Vielen Dank an Alcantara für die Einladung nach Mailand.