Sichtbare Schwingungen
Hojeong Lee bei Paulina Caspari

12. April 2024 • Text von

Hojeong Lees filigrane Graphitzeichnungen erzählen fantasievolle Geschichten, lassen die Besucher*innen nah heran und in einen Dialog mit den Arbeiten treten. In ihrer ersten Einzelausstellung “Two Songs (Zwei Lieder)” bei Paulina Caspari zeigt Lee eine Reihe neuer Arbeiten, denen ihre persönliche Auseinandersetzung mit Text und Musik zu Grunde liegt. Die mit sanften Strichen eingefangenen, leisen Zwischentöne oszillieren zwischen abstrakt und figurativ.

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Hojeong Lee – Two Songs (Zwei Lieder), installation view.

Bei Paulina Caspari begegnet die Kunst den Besucher*innen auf Augenhöhe. Hojeong Lees Zeichnungen ziehen sich wie ein durchgängiges Band durch den Raum, im direkten Augenkontakt mit den Betrachter*innen. Die kleinformatigen Werke weisen fast identische Maße auf und vermitteln ein einheitliches Bild. In tiefe Holzrahmen gefasst bekommen die Zeichnungen einen skulpturalen Charakter. Nur “Untitled (Nabel)” fällt, leicht nach oben versetzt, aus dem Rahmen. Durch dick geschichtete, zu einem Kreis überlagerten Linien und eine dunkle Rahmung, wirkt die Arbeit wie eine düstere Sonne, welche die Ausstellung “Two Songs (Zwei Lieder)” überblickt.

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Hojeong Lee – Two Songs (Zwei Lieder), installation view.

Die durch sanfte Striche angedeuten Szenen, Objekte und Landschaften auf Lees Zeichnungen sind nicht eindeutig zu identifizieren, sie bewegen sich formal zwischen Figuration und Abstraktion, inhaltlich zwischen Fantasie, Fiktion und Realität. Anhaltspunkte für die Formenfindung auf den Bildträgern waren – wie der Titel der Ausstellung bereits andeutet – zwei Lieder. Zu hören ist die Musik im Ausstellungsraum zwar nicht, die Rhythmik der Töne und Wörter hallt jedoch trotzdem nach, übersetzt von der Künstlerin in ihren Zeichnungen. Diese wirken wie blasse Erinnerungen, flüchtige Momente festgehalten mit Stift und Papier.

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Hojeong Lee, Zeichner’s Tisch, 2024, 15 x 25 cm.

Die Abwesenheit der Musik löst unterschiedlichste Assoziationen bei den Betrachter*innen aus. Die in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen wirken durch ihre einheitliche formale und ästhetische Gestaltung wie einzelne Fragmente einer größeren, zusammenhängenden Geschichte. Während Arbeiten wie “Untitled (Erwachsene)” und “Zeichner’s Tisch” noch eindeutig lesbar sind und figurative Andeutungen von einer Person, sitzend und zeichnend, sowie einem mit Schnitzereien verzierten Tisch beinhalten, entziehen sich andere Arbeiten einer klaren Zuschreibung.

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Hojeong Lee, Untitled (Coat), 2023, 21 x 14,8 cm.

Die Arbeiten “Sing #4”, “Untitled (Coat)” und “I’m still thinking” weisen dagegen eine abstrakte, dymanische und schwungvolle Strichführung auf. Wie feingliedrige Venen ziehen sich die hellen Linien über das von Graphit verdunkelte Papier, erinnern dabei an die Nervatur von Pflanzen, den menschlichen Organismus oder aber an Musik, die Körper durchdringt und die Luft zum schwingen bringt. Architektonisch ist der Ausstellungsraum an Lees Atelier angelehnt. Einzelne Arbeiten wurde an temporären Holzwänden angebracht, die den Raum untergliedern und die Besucher*innen dazu anhalten auf Umwegen zu wandern.

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Hojeong Lee – Two Songs (Zwei Lieder), installation view.

Hojeong Lees Werke fordern dazu auf einen Schritt näher zu kommen, um auch die kleinteiligen Details zu entdecken. In ihren Arbeiten visualisiert sie Nonverbales und übersetzt ihre persönlichen audititiven Eindrücke in filigrane Graphitzeichnungen. Objekthaft, einfühlsam und fantasievoll präsentieren sich Lees Arbeiten bei Paulina Caspari, lassen viel Raum für Assoziationen und regen dazu an, eigene Narrative zu spinnen.

WANN: Die Ausstellung “Two Songs (Zwei Lieder)” ist noch bis zum 27. April zu sehen
WO: Paulina Caspari, Augustenstraße 33a, 80333 München.

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