Im Wedding ist es tropical "Believe" bei Tropez im Sommerbad Humboldthain
23. Juni 2023 • Text von Lara Brörken
Das Sommerbad Humboldthain bietet, was der schwitzende Körper begehrt: Pool, Pommes und coole Kunst. Neben dem klassischen Freibadkiosk befindet sich das Tropez, ein Ort für Kunst, dessen Team jedes Jahr ein dreimonatiges künstlerisches Programm auf die Beine stellt. Dieses Jahr gehen unter dem Ausstellungsmotto “BELIEVE” neun Künstler*innen verschiedensten Glaubensfragen nach. Und ein paar Meter weiter kreischen und planschen die Kids.
Es ist heiß, auch wenn sich die Sonne hinter einigen Schäfchenwolken versteckt. Schwülwarm stellt sich die Hitze der Konzentrationsfähigkeit in den Weg und lässt in Sphären von schattenspendendem Grün und türkisem Nass abschweifen. Wo findet sich das im Berliner Großstadtdschungel? Klar, im Wedding. Verspielt schlängelt sich im Freibad Sommerbad Humboldthain eine rot verblichene Rutsche ins Wasser, motiviert kraulen sich Berliner*innen durch die 50-m-Bahn und entspannt lesen einige ihre Romane unter Birken und Kiefern.
Irgendwann kommt der Hunger. Egal ob auf Pommes oder Kunst, hier kann beides parallel gestillt werden. Das Tropez, ein kleiner Bungalow neben dem Freibadkiosk, lädt ein sich unter fransige Schirme zu setzen und sich das diesjährige künstlerische Programm “BELIEVE” anzuschauen. Im gesamten Freibad verstecken sich Werke von neun Künstler*innen, die sich dem Thema Glauben widmen. Sie hinterfragen, mahnen, reflektieren und spielen mit der Fantasie. Direkt neben der Tropez-Homebase kann die Kunst-Schnitzeljagd beginnen.
Aziza Shadenovas Vogelscheuche wacht auf einer Grünfläche, die dank der Hitze vielmehr eine Strohfläche ist und verscheucht neben Vögeln auch die Romantisierung von sowjetischen Schuluniformen, wie die Mutter der Künstlerin sie einst in ihrer Schulzeit tragen musste. Die Puppe blickt verträumt, beinahe schläfrig in den Schwimmbadalltag, sie trägt die besagte Schuluniform. Mit der Besetzung Usbekistans und Kirgistans 1918 durch die Sowjetunion verdrängte unter anderem die mitgebrachte Einheitskleidung nationale Identitäten, Kulturen und Bräuche. “The Scarecrow” ist ein Mahnmal und doch eine eigentlich so niedliche, harmlose Puppe mit Tüll in den Zöpfen. So unschuldig eine Schuluniform auch scheint, verscheuchte sie doch, was heute vermisst wird.
In einer Astgabel ein paar Meter weiter scheint sich ein roter Drachen verhangen zu haben. Bei näherer Betrachtung, sind sogar zwei Drachen zu sehen, einer aus Stoff, eine kleine Plane, die vielleicht mal an einer Leine durch die Luft geflogen ist, und ein darunter hängendes insektenähnliches Vieh, das dem Fabelwesen ähnlich ist. Es windet sich unter dem roten Stoffdach, hängt dort vor Regen geschützt, entpuppt sich möglicherweise noch. Was genau es ist, ist nicht, oder noch nicht erkennbar. Zhao Chongjins Arbeit verweist auf Weisheiten des Konfuzianismus, die die Wertschätzung der Natur, ihrer Wunder und ihre stetige Entwicklung lehren. “eddy the Body” scheint mitten im Werden zu sein, er krabbelt und kreist seelenruhig um sich selbst, reagiert schwingend auf Wind und Wetter.
Wer wissen möchte, wie es für einen persönlich im Leben weiter geht, der sollte am Kiosk halt machen und den QR-Code zu Stacy Ants „Tropez Tarot“ scannen. Auf dem Handy öffnet sich ein Feld voller Karten in Swimmingpool-Optik. Mit drei Klicks können drei Karten der Wahl umgedreht werden und dann steht die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schwarz auf weiß vor einem. Ich sag’s ungern, aber in meiner Zukunft stehen – Hauptgewinn! – “The Lovers” : “Die Liebenden stehen für Harmonie, Liebe und Dualität. Sie deuten auf Verständnis hin. Wenn das Liebespaar als Zukunftskarte erscheint, spricht sie von einer schönen Beziehung, die für dich von Nutzen sein. Schlüsselwörter, die mit The Lovers assoziiert werden, sind: Liebe, Gleichgewicht, Dualität, Beziehung, Verbindlichkeit.” Nicht neidisch werden, aber ja, ich glaube daran. Solltet ihr auch, Berliners!
Um den Pool herum, es riecht nach frisch gemähtem Rasen, denn lautstark wird hier um die Liegenden gemäht. Da kichern zwei junge Frauen unter den Kiefern, dort platscht ein Kind von der Rutsche im hohen Bogen ins Wasser. Gelockt von den feinen Bezeichnungen “Sonnenterrasse” und “Pavillon” finden sich Kunstsuchende vor Jimmy Beauquesnes Arbeit. Etwas enttäuscht von der flachgestuften Betonfläche, die mehr schlecht als recht als Sonnenterrasse durchgeht, besticht sie doch derzeit durch ihren rauen grauen Charme, der im Kontrast zu Beauquesnes fein verziertem Pavillion “Undawn (Domain of Stasis)” steht.
Wie den Vogel in seine Voliere lädt die Arbeit ein, sie zu betreten. Zwischen Metallstäben befinden sich Flächen, in denen Hände zu entdecken sind, die auf verschiedene, untypische und beinahe ungelenk wirkende Weise Herzen nachformen. Daumen, Zeige- und Mittelfinger posieren liebevoll und ganz zeitgemäß zusammen. Halboffen, halbgeschlossen, fast privat fühlt es sich in der Voliere an. Der perfekte Ort für ein Selfie.
Auch Kunstjagende brauchen auf ihrem Weg hin und wieder Schatten. Im Schneckentempo geht es Richtung Liegewiese, vorbei an Ghita Skalis Flagge, die an einem alten Lautsprechermast schwingt und eine wichtige Nachricht in das Schwimmbad posaunt. Die Flagge zeigt einen Teil eines offiziellen Dokumentes, das der Künstlerin von der Einwanderungsbehörde ausgestellt wurde, ihrer Fiktionsbescheinigung. Was für ein Wort ist das bitte? Es erlaubt Skali, sich in Deutschland aufzuhalten, arbeiten oder das Land verlassen, ist ihr jedoch nicht gestattet. Der Großteil eines selbstbestimmten Lebens bleibt Fiktion. Kaum zu glauben, buchstäblich wie im Film. Normalerweise ist Fiktion doch was Gutes, hier heißt es bloß nicht den Glauben an eine non-fiktionale Existenz verlieren.
Jetzt braucht es aber wirklich einen Schattenplatz, um die Gemüter herunterzukühlen. Perfekt geeignet ist der Platz unter Christina Krys Hubers semitransparentem Sonnensegel. Einfach auf den Rasen darunterlegen und beobachten, wie alles miteinander verschmilzt. Der mit hauchzarten Farben und somit federleichten Schmetterlings- und Augenformen bedruckte Mesh-Stoff bebt leicht im Wind, die Blätter der umliegenden Bäume scheinen hindurch. Von der Arbeit geht eine wahnsinnige Ruhe aus, sie lässt Grenzen verschwimmen und jegliche Hürden scheinen überwindbar, für Natur, aber für Krys Huber auch wichtig für queere Identitäten. Hier ist spürbar, wie harmonisch, schön und beruhigend es wäre, wenn alles bedenken- und grenzenlos fusionieren könnte.
Es schwebt sich nun beinahe durch das Freibad. Richtig Bock zu rutschen, Bock auf Köpper und kreischen, frei sein wie ein Vogel, wie Dardan Zhenrovas Papagei, der zwischen den Freibadhecken wippt. Er erinnert den Künstler daran, wie sein Vater seinen Papagei vor ihrer Flucht bei Ausbruch des Kosovokrieges freiließ und er hoffte, und da glaubt Zhenrova felsenfest dran, dass der Vogel Frieden gefunden hat. Hier schwingt die strahlend gelbe Figur weich wie ein Kuscheltier, ganz optimistisch, steigt empor wie der Phoenix aus der Asche. Es gibt allen Grund zur Hoffnung.
WANN: Die Ausstellung ist noch bis Samstag, den 3. September, zu sehen. Begleitet wird die Gruppenausstellung von einem umfassenden Rahmenprogramm. Am Samstag, den 8. Juli um 16 Uhr findet die Performance “Zoncy Heavenly” statt. “Tropez-Tarot” kann auch in Kartenform erworben werden. Weitere Infos findet Ihr hier.
WO: TROPEZ, im Sommerbad Humboldthain, Wiesenstaße 1, 13357 Berlin.