Es klumpt und brummt Eva Fàbregas im Hamburger Bahnhof
10. Juli 2023 • Text von Julia Meyer-Brehm
Ein Berliner Museum oder doch das Schaulager eines Versandhandels für Erotikspielzeug? Eva Fàbregas’ pastellig-pinke Skulpturen haben organische Formen, Noppen und Nähte – und sie vibrieren sogar. Nun bespielt die Künstlerin die historische Halle des Hamburger Bahnhofs.
Der Grund, weshalb Sextoys oftmals Pastellfarben haben und Delfinen, Raupen oder Hasen nachempfunden sind, ist der, dass sie ihren Benutzer*innen so wenig technisch und so organisch wie möglich erscheinen sollen. Schon immer stehen sich Sinnlichkeit und Maschinelles als vermeintliche Kontraste gegenüber. Dass dem ganz und gar nicht so ist, beweist Eva Fàbregas mit ihrer Einzelausstellung „Devouring Lovers“ im Hamburger Bahnhof. Ihre monumentalen Skulpturen sind eine spannende Symbiose aus Menschlichem und Maschinellem.
Wie der Name bereits vermuten lässt, war der Ausstellungsort für zeitgenössische Kunst einst ein Bahnhofsgebäude für die Strecke Berlin – Hamburg. Den industriellen Charme der Architektur ergänzt Eva Fàbregas nun durch eine körperliche Installation: Schlauchartige Gebilde sind über den ganzen Boden verteilt und winden sich bis hinauf in die Stahlkonstruktion der ehemaligen Empfangshalle. Da die Künstlerin für ihre ästhetisch extrem ansprechenden Arbeiten bekannt ist, verwundert es nicht, dass sich auch hier sofort eine multisensorische Begeisterung einstellt. Aber kann die Ausstellung noch mehr?
Die in Rosa- und Pastelltönen gehaltenen Skulpturen bestehen aus elastischen Stoffen, die Fàbregas und ihr Team mit aufblasbaren Bällen befüllt haben. Ihre Oberflächen sind vielseitig: Einige haben Noppen, andere Runzeln und Nähte, wieder andere glänzen durch makellose Rundungen. Besonders amüsant ist die leichte Bewegung, die von einigen der Skulpturen ausgeht. Ein eingebauter Mechanismus lässt die Ballgefüge aufgeregt wabbeln, vibrieren oder kurz zusammenzucken.
Nun möchte man die organischen Wackler natürlich gerne anfassen. Das ist allerdings leider nicht erlaubt. Was man denn gegen neugierige Besucher*innen tun wolle, die sich ungefragt in die massiven Bälleberge stürzen, wundert sich eine Journalistin im Rahmen der Pressevorbesichtigung. „Sicher, dass Sie das tun möchten?“, fragt Kuratorin Catharina Gebbers, „Sie könnten aufgefressen werden!“ Wiederholt wird auf die vermeintliche Gefahr verwiesen, die von den Gebilden ausgehen könnte. Nicht umsonst bezieht sich der Ausstellungstitel auf einen Text von Daisy Lafarge, in dem es ums gegenseitige Verspeisen geht. Man denke auch an die Schwarze Witwe, die sich ihren Partner nach dem Sex einverleibt.
Apropos aufessen: Aus einer anderen Perspektive könnten Fàbregas Skulpturen natürlich auch riesige Gedärme darstellen, die etwas frisch Verspeistes zufrieden verdauen und ab und an surrend und ruckelnd auf sich aufmerksam machen. Etwa so, als befände man sich im Leib eines gigantischen Tieres. Auf wieder andere wirkt die Installation eher wie ein parasitäres Gebilde, das sich als rosa und niedlich tarnt, in Wirklichkeit aber neugierige Besucher*innen verspeist, bis es den ganzen Raum übernommen hat. Oder eben wie der aus dem Ruder gelaufene Lagerverkauf eines bekannten Erotikversandhandels, in dessen Rahmen sich die biomorphen Apparaturen verselbständigt haben.
Egal, welche Assoziation aufkommen, während man durch die Ausstellung wandelt, fest steht, dass „Devouring Lovers“ in erster Linie ein ästhetisches Feuerwerk ist, das die Halle fantastisch ausnutzt und nebenbei noch gut in den sozialen Netzwerken funktioniert. Zusätzlich ist Fàbregas bisher größte Einzelausstellung aber auch eine spannende Beobachtung unseres ambivalenten Empfindens von Intimität und Gefahr, Künstlichem und Organischem. Aus diesem Bällebad möchte man nie mehr abgeholt werden.
WANN: Die Ausstellung „Devouring Lovers“ ist noch bis zum 7. Januar 2024 zu sehen.
WO: Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin.