Digitale Prismen "Dimensions. Digital Art Since 1859" in den Pittlerwerken
24. April 2023 • Text von Quirin Brunnmeier
Was ist digitale Kunst und wo sind ihre Grenzen? Die Ausstellung “Dimensions. Digital Art Since 1859” in den historischen Pittlerwerken in Leipzig versucht sich an einer Geschichtsschreibung der elektronischen Künste und bleibt dabei erfrischend undogmatisch. Auf mehr als 10.000 Quadratmetern werden mit rund 60 Kunstwerke vom 19. Jahrhundert bis heute digitale Räume und Erzählungen präsentiert und ein weiter technologischer Bogen gespannt.
Sobald man den Raum betritt, löst sich alles auf. Die Architektur verschwindet, die Besucher*innen tappen ganz auf sich allein gestellt durch das weiße Nichts. Kaltes, digitales Licht durchschneidet grob einen dichten Nebel, nur eine Schnur, an der man sich festhalten kann, gibt Halt. Die immersive audiovisuelle Installation “ZEE” von Kurt Hentschläger besteht aus einer bedrückenden Mischung von Lichtimpulsen und Surround-Sound. Die Besucher*innen betreten einen Raum, der mit sehr dichtem künstlichem Nebel geflutet ist, die Grenzen des Raumes, die Wände und die Decke sind nicht mehr wahrnehmbar. Stroboskop- und Impulslicht durchdringt den Nebel in abgeschwächter und gleichmäßig verteilter Form und schafft kinetische Strukturen in ständigem Fluss. So wie der Raum, scheinen sich auch die Besucher*innen zu verflüchtigen.
Als während der Pandemie die Galerien und Museen ihre Ausstellungen für Besucher*innen schließen mussten, rückten die Möglichkeiten der digitalen Künste plötzlich in den Vordergrund. Institutionen legten einen Fokus auf Kunst, die in digitalen Räumen funktioniert, Galerien, die ausschließlich online agieren, erlebten ein gesteigertes Interesse und Künstlerinnen, die sich mit virtuellen und augmentierten Realitäten beschäftigten, waren plötzlich nicht mehr in ihren Nischen verortet, sondern im Mainstream. Darauf folgte der Hype um NFTs und andere Block-Chain-Technologien. Ganz aktuell stellen die neuen Möglichkeiten künstlicher Intelligenzen wie ChatGPT oder Midjourney die Fundamente künstlerischer Arbeit in Frage. Das Wechselspiel zwischen Kunst und Technologie hat neue, tiefgründige Ebenen erreicht.
Die Ausstellung “Dimensions. Digital Art Since 1859” setzt diese Entwicklungen in einen größeren Kontext und erweitert den Begriff des “Digitalen” auf unterschiedlichen Ebenen. Historisch beginnt die Ausstellung mit dem französischen Fotografen und Bildhauer François Willème, der im Jahr 1859 zum ersten Mal durch den gleichzeitigen Einsatz von 24 fotografischen Kameras skulpturale Motive aus allen Perspektiven aufnahm und die Bilder zu Fotoskulpturen zusammensetzte.
Die Kurator*innen bringen diese historische Position in direkte Relation zu heutigen Technologien des 3D-Scans und setzen so den inhaltlichen Ton der Ausstellung. Digitale Kunst ist hier nicht zwangsweise an einen Computer gebunden, vielmehr stehen künstlerische Ansätze im Fokus, die sich auf digitale, algorithmische oder mathematische Konzepte beziehen.
Die Auswahl der gezeigten Arbeiten reflektiert diesen offenen und diskursiven Ansatz. Ivana Frankes großformatige, geometrische Polyeder beeindrucken durch ihre Komplexität und Fragilität. Shiro Takatani zeigt eine programmierte Wasser-Matrix, ein hängender Brunnen, bestehend aus einer Vielzahl von Düsen, die einen dreidimensionalen Screen bilden, auf dem Muster angezeigt werden können.
Natürlich werden auch Videoarbeiten und interaktive und immersive digitale Positionen gezeigt. Eine Arbeit von Danielle Brathwaite-Shirley lässt die Besucher*innen über Buzzer mit sich kommunizieren und die webbasierte Epoch Gallery wurde eingeladen, virtuelle Ausstellungen in der Ausstellung zu präsentieren. Arbeiten von Nam June Paik und der Avatarkünstlerin LaTurbo Avedon, die Identität und Autorschaft in Frage stellt, finden gleichwertig einen Platz nebeneinander.
Die Frage, wie die zunehmende Digitalisierung unser Verständnis von Kunst und unsere Beziehung zu Kunstwerken verändert, ist hochaktuell. Die Ausstellung “Dimensions. Digital Art Since 1859“ zeigt elektronische und digitale Kunst in einem größeren Kontext als üblich, spannt einen breiten zeitlichen und medialen Bogen.
Die Ausstellung will viele Themenfelder in den Fokus nehmen. Gezeigt werden in der imposanten Überblicksausstellung Medien- und Videokunst, Roboterkunst oder Arbeiten die sich mit Virtual sowie Augmented Reality befassen. Im Zusammenspiel und im Kontrast mit der Industriearchitektur aus dem 19. Jahrhundert der Pittlerwerke ergibt sich ein mehrschichtiges Gesamtbild, das viele Facetten vereinen und Grenzen auflösen will, ähnlich wie die Nebel-Installation von Kurt Hentschläger.
WANN: Die Ausstellung “Dimensions. Digital Art Since 1859” ist noch bis zum 9. Juli zu sehen.
WO: Pittlerwerke, Pittlerstr. 26, 04159 Leipzig.
In freundlicher Zusammenarbeit mit “DIMENSIONS – Digital Art since 1859.”.