Pimpernde Pudel
General Idea im Gropius Bau

28. September 2023 • Text von

Pillen, Pudel und Sattelrobben – alle drei Begriffe trieben die Künstlergruppe General Idea aus Toronto zu aktivistischer Kunst an. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit für die Aids-Krise der 1980er-Jahre, die Rebellion gegen Prüderie, Kunstmarkt, Kapitalismus und allgemeinem Konsumirrsinn. Im Gropius Bau sind derzeit rund 200 künstlerische Interventionen der Gruppe ausgestellt.

General Idea, General Idea, Mondo Cane Kama Sutra, 1984, Fluoreszierendes Acryl auf Leinwand Gropius Bau
General Idea, Mondo Cane Kama Sutra, 1984 Fluoreszierendes Acryl auf Leinwand, 246,4 x 290,8 x 10,2 cm pro Stück © Sammlung Hartwig Art Foundation, versprochene Schenkung an den Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed / Rijkscollectie, Foto: General Idea Inc.; Courtesy of the Estate of General Idea and Mitchell-Innes & Nash, New York.

Riesige Eisschollen aus Styropor stapeln sich, Besucher:innen meinen, sie knirschen zu hören, eine Bewegung und Reibung zu sehen – doch die Schollen regen sich nicht. Drei präparierte Sattelrobbenbabys sitzen kaum sichtbar in der weißen Masse des artifiziellen Eismeeres, mitten im Lichthof des Gropius Baus. Absolut leblos ist dieses Meer, die Robben sowieso. Mit der frisch eröffneten Ausstellung “General Idea” würdigt der Gropius Bau die gleichnamige kanadische Künstlergruppe mit einer rund 200 Arbeiten umfassenden Retrospektive.

General Idea sorgte von 1969 bis 1994 mit künstlerischen Interventionen für Aufsehen. Mit ihrer Eisschollen-Installation “Fin de siècle” aus dem Jahr 1990 nimmt die dreiköpfige Künstlergruppe, bestehend aus Felix Partz, Jorge Zintal und AA Bronson, Bezug auf das von Caspar David Friedrich bekannte Sujet des Eismeeres. Die Kanten und Spitzen der majestätischen Eisberge ragen auch hier empor, jedoch nicht gen Himmel, sondern gen Raumdecke. Sie und die ausgestopften Robben sind in der warmen Institution gefangen, wie die Eisbären auf ihren schmelzenden Schollen.

General Idea, Fin de siècle, IMAGEVIRUS New York copyright die Künstler und Mai 36 Galerie, Zürich. Gropius Bau
General Idea, Fin de siècle, 1994 digitaler Tintenstrahldruck auf vinylbeschichteter Leinwand 224,8 x 150 x 4 cm © die Künstler und Mai 36 Galerie, Zürich // General Idea, IMAGEVIRUS (New York Subway), 1989 Chromogener Druck 76 x 50,4 cm HW © Thibault Poutrel Contemporary Art Ltd.

In den 1980er-Jahren schlossen sich berühmte Personen wie Brigitte Bardot der Bewegung zur Rettung der Sattelrobbenbabys an, die heute als ungefährdet gelten, während zeitgleich unzählige Menschen an den Folgen einer Aids-Infektion starben. General Idea schaffte der Frustration über den Mangel an Aufmerksamkeit für die großen, aber weniger niedlichen Gefahren, die von Aids ausgehen, mit dieser Installation buchstäblich Raum.

Bereits mit den ersten Schritten durch die großzügigen Räumlichkeiten des Gropius Baus kristallisiert sich die Arbeitsweise der populärsten Künstlergruppe Kanadas heraus: General Idea störte sich an gesellschaftlichen Umständen und wandelten die entstehende wütende Hitze in General-Idea-typischer Manier in “ernst humorvolle” Werke jeglicher Genres um – sie floss in den Raum und an Wände, Fotografie, Film, Skulptur, Installation, skulpturale Mode, Magazine, Briefe und mehr.

General Idea, Self portrait with Objects, 1981–1982, IMAGEVIRUS Hamburg GropiusBau
General Idea, Self-portrait with Objects, 1981–1982 Montage, Gelatinesilberdruck © National Gallery of Canada // General Idea, IMAGEVIRUS (Hamburg), 1991 Chromogener Druck 76 x 50,4 cm HW © Thibault Poutrel Contemporary Art Ltd.

Auf kanonische Kunstwerke reagierte die Künstlergruppe gern. Sie machte sich Mondrians Sujets zu eigen, nutzte in ihrer Referenz “Infe©ted Mondrian” jedoch die vom Künstler ungeliebte Farbe Grün statt Gelb. Auch den Hype um Schönheitswettbewerbe belächelte sie und schuf eine eigene satirische Ausgabe. General Idea provozierte, griff in Bestehendes ein und kehrte die absurden Seiten der Märkte und Trends nach außen. Die Gruppe ermöglichte ein Hinterfragen der kollektiven Bewertungssysteme. 

Von allem ist etwas im Gropius Bau zu finden, was jedoch überwiegt, ist das Thema Aids. Aids, das Wort wiederholt sich und brennt sich in die Netzhaut der Besucher:innen ein wie ein heißer Stempel in die Haut einer Kuh. Es tut weh, wie die vier roten Buchstaben auf blauem und grünem Hintergrund warnend glühen, wie sie die Wände mehrerer Räume nahtlos übersäen. Das soll es auch.

“IMAGEVIRUS” zeigt die schmerzhafte Realität auf, dass die Infektion mit HIV existiert und bis heute Menschenleben kostet. Mit dem Schriftzug, der sich in Stil und Typografie an Robert Indianas Pop-Art Arbeit “LOVE” anlehnt, den Schriftzug jedoch durch “AIDS” ersetzt, tapezierte General Idea Ende der 1980er-Jahre öffentliche Plätze, U- und S-Bahnstationen in Berlin und San Francisco. Die Gruppe druckten das Logo auf T-Shirts und alles, was sie in die Hände bekam, um auf die Aids-Krise aufmerksam zu machen.

General Idea, Portrait of General Idea, 1969, P is for Poodle, 1983 copyright Frédéric Sanchez
General Idea, Portrait of General Idea, 1969 © Frédéric Sanchez // General Idea, P is for Poodle, 1983/89 © Royal Bank of Canada Art Collection

Da, wo die feine Gesellschaft ist, da sind auch die Pudel. In Berlin gab es 1982 keinen, der anlässlich der Performance “P is for Poodle” hätte partizipieren können. “If you want poodles you have to go to Paris!”, hieß es, wie sich AA Bronson, der heute in Berlin lebt, im Interview mit den Kuratorinnen Beatrix Ruf und Zippora Elders zurückerinnert. Es ist etwas dran, ein Pudel ist in Berlin nur äußert selten zu sehen. Wohl ein gutes Zeichen, immerhin verrät AA Bronson im Gespräch mit den Kuratorinnen, dass er sich in Berlin so wohl fühlt wie in keiner anderen Stadt zuvor.

Die Pudel, die General Idea mit ihren Arbeiten schufen, tanzen aus der Reihe, sie haben Dreier, leben ihre Sexualität hemmungslos und frei aus. Sie sind Symbole der Prüderie, die aus den ihnen zugeschriebenen ordentlichen Kreisen verschmitzt grinsend ausbrechen. Die Pudel von General Idea sind neonfarben, stecken unverblümt ineinander, stellen Raffaels drei Grazien nach, ganz ohne Scham, aber jeder Menge Stolz.

Im Jahr 1990 wurden die zwei Mitglieder der dreiköpfigen Gruppe, Felix Partz und Jorge Zintal, als HIV-positiv diagnostiziert. Sie starben 1994 an den Folgen der Infektion.

WANN: Die Ausstellung “General Idea” läuft noch bis zum 14. Januar 2024.
WO: Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin.

In freundlicher Zusammenarbeit mit Gropius Bau.

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