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Raphaela Vogel in der BQ Galerie

22. September 2023 • Text von

Der jüdische Schriftsteller Erich Hopp wird zum “Found Subject” von Raphaela Vogels gleichnamiger Ausstellung in der Berliner Galerie BQ. Während der NS-Zeit hielt er sich in dem Haus unter Versteck, welches Vogel aktuell bewohnt. Ausgehend von den wenigen Spuren, die er hinterließ, entspinnt sich ein Werkkomplex, in dem Glaube und Ideologie, Popkultur und Architektur in einer multimedialen Gedenkstätte aufeinandertreffen.

Raphaela Vogel, Videostill „Kunstabzugshaube“, 2023. Courtesy BQ, Berlin, und die Künstlerin

Die Gedenktafel vor dem denkmalgeschützten Haus in Eichwalde ist eine der wenigen verbliebenen Zeugnisse der Existenz des jüdischen Schriftstellers, Liedermachers und Theaterregisseurs Erich Hopp. Während der NS-Zeit fand dieser gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn Unterschlupf im Haus von Raphaela Vogel, deren Soloausstellung „Found Subject“ im BQ seinem Leben und Wirken gewidmet ist.

Bei ihrer Recherche zum Leben Erich Hopps stieß Vogel auf den in den USA erschienenen Essayband „We Survived“ von 1947, der von seiner von Verlust und Verzweiflung geprägten Zeit im Untergrund erzählt, sowie auf drei weitere Publikationen. Seinen “Tango”, den er gemeinsam mit der damaligen Miss Germany Carla Boehl um 1930 schrieb, nahm die Künstlerin bereits als Basis ihrer Installation und Gedenkstätte nahe dem Rosa-Luxemburg-Platz. Eine andere Publikation, die den hoffnungsvollen Titel „O Mensch, verzage nicht!“ trägt, ist eine Ansammlung von knapp 100 Psalmen. Diese stellt den Ausgangspunkt für das zentrale Werk der Ausstellung “Found Subject” dar.

Installation view Raphaela Vogel „Found Subject“. Courtesy: BQ, Berlin. Photo: BQ, Berlin

Die gleichnamige raumgreifende Multimedia-Installation besteht aus einem knapp sechsminütigen 2-Kanal-Video, in dem sich die Künstlerin selbst filmt, wie sie durch ihr verwinkeltes Haus schreitet. Dabei liest sie in einem langsamen, tief gesungenen Sing-sang einen von ihr vertonten Psalm Hopps vor. Abgespielt werden die beiden Film-Loops mittels zweier Rücken-an-Rücken positionierter Beamer, die jeweils von den Fingern einer gusseisernen Heukralle in der Mitte des Raums eingefasst sind. Trotz der schweren Stahlkonstruktion, in der das Filmmaterial eingebettet ist, scheinen sich die Rauminstallation und die darin präsentierten Videoarbeiten in ihrem Gewicht auszubalancieren – ein Indiz für Vogels theoretische Überlegungen zum Gleichgewicht multimedialer Skulpturen, welche hier in der Gegenüberstellung der martialisch-wirkenden physischen Skulptur mit der symbolischen Schwere der Videoarbeit zum Tragen kommen.

Der einst unterirdisch gelagerte Heizöltank des Hauses, dessen aufgeschnittene Halbkugeln sich mit ihren Innenflächen gegenüberstehen, fungiert als Ready-made Projektionsfläche. Gefilmt mit einer 360°-Grad Kamera und im Wechsel zweier extremer, sich ergänzender Perspektiven ergibt sich ein formal vollumfassendes Bild der Architektur des Hauses. Obwohl es durch den Architekten Richard Iwan aus dem Bauhaus heraus abgeleitet wurde, entstehen durch die perspektivische Verzerrung der Aufnahme runde Formen, die an die Bogen gotischer Kirchenbauten erinnern. Es tritt damit in einen Dialog mit Hopp und greift visuell die religiöse Hoffnung seiner an einen Gott gerichteten Verse auf.

Raphaela Vogel, „Strandgut aus dem stürmischen Zeitenmeer“, 2023, Glasfaserverstärkter Kunststoff, Metall, Massagereifen, Buch, Polyurethan Elastomer, Acrylfarbe, 182,2 x 166,9 x 141 cm. Courtesy BQ, Berlin, und die Künstlerin. Foto: Roman März, Berlin // Raphaela Vogel, „Strandgut aus dem stürmischen Zeitenmeer“ (Detail), 2023. Courtesy BQ, Berlin, und die Künstlerin. Foto: Roman März, Berlin

In der Rauminstallation treffen künstlerische Avantgarde und moderne Architektur auf die Folgen antisemitischer Ideologie, sowie auf Hoffnung und Glaube in Momenten der Verzweiflung. Vogel setzt in ihrer Ausstellung immer wieder das Subjekt in den historischen Kontext seiner Zeit. Durchgängig ist dabei die Auseinandersetzung der Künstlerin mit Kippmomenten der Geschichte. So stellt sie im angrenzenden Raum Hopps Übersetzung eines progressiven Werks der Pädagogik “Strafen oder Heilen?” zur Erziehung von Waisenkindern in der Sowjetunion düsteren Malereien auf Faltreflektoren gegenüber. Darauf zu sehen sind neben bedrohlich wirkenden Wesen vor allem medizinische Apparate. In seiner Gesamtheit beschreibt der Raum einen Umkehrpunkt zwischen einer progressiven Rationalität, die die Naturwissenschaften zum Ausgang nimmt, und ihren Folgen einer Überlegenheitsideologie, aus dem sich der rassistische Antisemitismus speiste.

Raphaela Vogel, „Die Geometrie des Geschehens“, 2023, Grafik Einladungskarte. Courtesy BQ, Berlin, und die Künstlerin

In der Einladungskarte zur Ausstellung führt Vogel in einer nüchternen Analogie zur geometrischen Bezugnahme eine Legende ein: Ihre „Geometrie des Geschehens“ teilt ein in Passante, Sekante, Tangente, Zentrale und beschreibt damit die Beziehungen der einzelnen Subjekte zueinander. Während das “Found Subject” Erich Hopp mitsamt seiner Familie als “Angegriffene, Verfolgte, Flüchtende, Opfer“ im Zentrum steht, erweitert Vogel es um weitere Akteur*innen: Philosoph*innen und Denkschulen, aber auch den Offizier, der ihm Unterschlupf bot, den Architekten des Hauses, sowie Vogels Familie und schließlich auch die Künstlerin selbst. So lassen sich im Eingangsbereich der Galerie Hinweise auf das Leben im Nachkriegsdeutschland erahnen – der Generationen, zu denen sie selbst einen direkten Bezug hat. Dort platziert ist ihre “Kunstabzugshaube”, die von bürgerlich-bescheidenem Wohlstand, unbeschwerter Schulzeit und familiären Skiurlauben erzählt.

In ihrer Ausstellung nimmt Vogel historische künstlerische Erzeugnisse und Artefakte als Ausgang und lässt sie in ihre Arbeiten einfließen. Darin entsteht in Auseinandersetzung mit Hopp ein Beitrag zur Erinnerungskultur in Form einer transformativen Wiederentdeckung und Sichtbarmachung eines Lebens, das von der jüdischen Verfolgung im Deutschland der NS-Zeit geprägt war. Die Ausstellung integriert politische, soziale und kulturelle Aspekte durch historische Objekte und stellt so ein verbindendes Narrativ her. Auf diese Weise wird nicht zuletzt die generationsübergreifende Schuldfrage gestellt.

WANN: Die Ausstellung “Found Subject” läuft bis Samstag, den 18. November.
WO: BQ, Weydingerstraße 10, 10178 Berlin.

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