Die Kritik der Nützlichkeit “An Update On Cranes” im Frappant
9. Mai 2023 • Text von Katrin Krumm
Was geben wir auf, wenn wir unsere Umgebung nicht im Sinne der Nützlichkeit gestalten? Die Gruppenausstellung “An Update On Cranes” wagt eine Kritik am Konzept der Nützlichkeit und präsentiert einen spekulativen Blick auf alternative Möglichkeiten. Dafür werden in den Galerieräumen des Frappant e.V. aktuell Werke aus den Bereichen Skulptur, Installation und Fotografie präsentiert, die in ihrer Formalität einen praktischen Nutzen suggerieren.
Können Werke, die formal einem Konzept der Nützlichkeit entsprechen, jedoch keinen praktischen Nutzen haben, dennoch eine kritische Perspektive auf reale Strukturen bieten? Um dieser Frage nachzugehen, zeigt die Gruppenausstellung “An Update On Cranes” im Hamburger Galerieraum des Frappant e.V. sechs internationale Positionen bestehend aus Bella Bram, Luzia Cruz, Maija Fox, Jakob Francisco, Adriana João und Eglė Ruibytė. Die von Guilherme Vilhena Martins kuratierte Ausstellung kann auch als Vorschlag verstanden werden, wie wir den Raum, der uns umgibt, sowohl privat als auch öffentlich umgestalten können – unabhängig von seinem immanenten Nutzen.
Eine logische Schlussfolgerung dieses Gedankenexperiments ist die Beschäftigung mit dem Wesen des Industriellen als Kern der Nützlichkeit und nationalem Antrieb. Luzia Cruz’ Installation “A Study on Sweat” im Eingangsbereich der Ausstellung besteht aus Materialien, deren Eigenschaften wir zu unserem Nutzen verwenden: Die Kombination aus Aluminium, Porzellan und Stahl der Installation lässt eine Wärmeübertragung entstehen, die zuletzt jedoch in einer gefährlich hohen Temperatur enden kann. Die Arbeit unterstreicht die Frage, welche Rolle persönlicher Komfort in unserem Verständnis von Funktionalität und Brauchbarkeit spielt.
Die Komfort-Frage stellte sich auch in der Zeit während der Corona-Pandemie, in der sich die Rolle des privaten Raums wandelte. In die räumliche Isolation gezwungen, waren viele Menschen abhängig von Waren, die mittels Transportfahrzeugen zu ihnen gebracht wurden.
Die Rauminstallation “Stakeholders” von Eglė Ruibytė ist eine situativ-anmutende Komposition aus Luftkissen, Kartons und Styropor-Objekten. Im Kontext der Arbeit beschäftigte sich die Künstlerin mit Verpackungsmaterial, das den leeren Raum in Transportbehältnissen polstert und im Englischen die poetische Bezeichnung “void fillers” trägt. Zwar wirken die gesteppten Luftkissen maschinell gefertigt, sind aber oftmals von Ruibytė selbst mittels einer Versiegelungsmaschine hergestellt. Den aus dem Industrie-Kontext entnommenen Materialien entgegengesetzt steht eine spielerische Leichtigkeit, die sich sowohl in der Komposition als auch der formalen Referenzen zeigt: so entspricht beispielsweise eine der Styropor-Skulpturen der Form eines Salatkopfes.
In ihrer Gesamtheit verweist “Stakeholders” auf den Aspekt von Schutz, insbesondere beim Transport von Waren und alltäglichen Objekten und hebt den Raum hervor, dem ansonsten wenig Beachtung geschenkt wird. Durch die Wiederverwertung von Verpackungsmaterial spielt die Arbeit zudem auch auf die ökologischen Aspekte der Nützlichkeit an.
Unmittelbar neben Ruibytės Installation ist Maija Fox’ vierteilige Skulptur aus gegossenem Aluminium “a small holding; of tangling.” positioniert. Angetrieben von der diskursiven Herangehensweise des Kurators Guilherme Vilhena Martins, entstand die Arbeit im Kontext der Ausstellung. Sie ist eine Referenz an metallene Drahtgittermatten, wie sie in Helsinki vor fast jedem öffentlichen Gebäude gefunden werden können. Da in Finnland oft an mehr als 200 Tagen im Jahr Schnee liegt, sind die Matten vor Hauseingängen angebracht, um den eintretenden Menschen die Möglichkeit zu bieten, ihr Schuhwerk grob zu säubern.
In den feinen, rekonstruierten Gitterlinien finden sich Spuren vom Abstreifen der Schuhe und zeugen von einer nicht lange zurückliegenden Nutzung. Beim näheren Betrachten sind kleinere, ebenfalls chrom-glänzende Objekte erkennbar, wie Ahornsamen oder Ohrstöpsel. Die strenge Form des Gitters wird außerdem organisch erweitert, indem immer wieder Abdrücke von Schuhen an unterschiedlichen Stellen angebracht wurden. Mit ihrer Arbeit reflektiert Fox auf persönliche und sensible Weise den sie umgebenden öffentlichen Raum, der sich um die Bedürfnisse seiner Bewohner*innen kümmert. Ihre Skulptur verbindet Vergangenes und Gegenwärtiges, indem sie verschiedene Spuren der menschlichen Interaktion festhält.
Während sich Fox’ Installation mit der Gestaltung des öffentlichen Raums beschäftigt, wirft Jakob Franciscos zweiteilige Skulptur “blinds” einen Blick in den häuslichen Raum. Die Skulptur besteht aus mehreren rechteckigen Spiegeln, die mittels Stahlkabel zusammengehalten werden und in ihrer Anordnung Jalousien imitieren. Daneben zeigt Francisco eine in der Raumecke liegende Keramikskulptur aus seiner Objektserie “FOR US”. Diese ist in ihrer Form einem Notfallhammer nachempfunden – ein doppeldeutiges Objekt, mit dem man sich einerseits aus einer Gefahrensituation in Bus oder Bahn retten, andererseits in private Räume Zugang verschaffen kann. Beide Werke nehmen Bezug auf die Frage, wo sich das Individuum zwischen privatem und öffentlichem Raum verorten will: zwischen Isolation und Schutz und den Interessen der Gemeinschaft vs. eigener Bedürfnisse.
Zwar geben die Werke in “An Update On Cranes” keine definitiven Antworten auf die Frage, wie wir Räume abseits von dem Aspekt der Nützlichkeit gestalten können, dennoch bieten sie durch verschiedene Referenzen zu Architektur, Design und Industrie eine kritische Perspektive auf die Idee der Nützlichkeit und die Strukturen, die wir für praktische Zwecke entwickeln. Die Auseinandersetzung mit ihnen kann wertvoll für die Art und Weise sein, wie wir unsere gestaltete Umgebung wahrnehmen und einen allgemeinen Mehrwert schaffen können.
WANN: Die Ausstellung “AN UPDATE ON CRANES” läuft bis einschließlich Samstag, den 13. Mai.
WO: Frappant, Zeiseweg 9, 22765 Hamburg.