Über kollektive Häuslichkeit
Jessica Warboys bei Noah Klink

16. Dezember 2021 • Text von

In “Village Gate“ in der Galerie Noah Klink tangiert Jessica Warboys neben geografischen Phänomenen auch Liminalitäten. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Grenzerfahrungen, sondern Zwischenzustände, die zu etwas Neuem führen. Dabei transformiert sich auch ein persönlicher Teppich zu einer kollektiven Erfahrung.

Installationsansicht, Jessica Warboys, Village Gate, 2021, Galerie Noah Klink

2020 und das Etablieren der Quarantänekultur fügte unseren domestischen Räumen eine neue Dimension hinzu. Nicht nur wurde aus einem Fluchtraum plötzlich ein Raum, aus dem man verzweifelt flüchten möchte, sondern auch die Objekte (und zumeist auch Subjekte) innerhalb des Raumes, in dem man eigentlich nicht sein wollte, wurden neu definiert. Das eigene Zuhause entwickelte sich zu einem vorher nie so dagewesenen intimen Ort, an dem auf einmal alles stattfand. Und obwohl es sich um das eigene, individuelle Zuhause handelt, handelt es sich hierbei auch um eine einschneidende kollektive Erfahrung. 

In Jessica Warboys Einzelausstellung „Village Gate“ in der Galerie Noah Klink sind als häusliche Objekte nur zwei Stühle “„Mask 1“ (2021) und “Mask 2“ (2021) auffindbar ­­– auf die man sich auch tatsächlich setzen kann, um dann die dritte domestische Referenz, ein historischer Teppich aus Indien, anzuschauen. 

Installationsansicht, Jessica Warboys, Village Gate, 2021, Galerie Noah Klink

Der Teppich existiert aber nicht physisch, sondern wird lediglich für ein paar Sekunden in Warboys Video „Earth Panter“ (2021) gezeigt. Es handelt sich um einen Dari, ein handgewebter Teppich aus Indien, der von Warboys Großmutter selbst hergestellt wurde, bevor diese in den 1950er Jahren aus Indien in das Vereinigte Königreich immigrierte. Der Teppich transformiert sich bei Warboy von einem persönlichen Gegenstand zu einem kollektiven, visuellen Symbol. Bibijis Teppich, der Name der Großmutter der britischen Künstlerin, ist nicht einfach mehr nur der Teppich der individuellen Bibiji, sondern Repräsentant für die Migration(-sgeschichte) von Vielen. Gleichzeitig bewegt sich der Teppich auch aus der Sphäre des Häuslichen in eine externe, vermeintlich weniger intime Sphäre.

Installationsansicht, Jessica Warboys, Village Gate, 2021, Galerie Noah Klink

Ebenfalls Teil von „Village Gate“ sind die zwei großformatigen, nicht-aufgespannten Leinwände „River Painting, Fossbekken“ (2021) und „River Painting, Ouse“ (2019), die sich von Warboys „Sea Paintings“ ableiten lassen, in denen sie Flüsse und Küstengebiete thematisiert. Die Arbeiten, an rohe Textilstücke oder Wandteppiche erinnernd, sind in natürlichen Erdtönen gefärbt, unter denen ein Seegrün, das sich durch fast alle ausgestellten Arbeiten zieht, immer wieder hervorsticht. Die Arbeit „Village Gate“ (2021) besteht aus einer Leinwand in genau diesem Grünton und besitzt die Form eines Tors oder Portals. In ihrer Praxis interessiert sich Warboys neben Flüssen, Küstengebieten und dem Domestischen auch für Liminalität – ein Schwellenzustand oder Status zwischen einer vorhergehenden und nachfolgenden Phase. Den zwei Begründern des Begriffs, Victor Turner und Arnold van Gennep folgend, beschreibt Liminalität die Mittelphase eines beliebigen rituellen Prozesses – wobei rituell hier sehr weit gefasst ist –, der in drei unterscheidbare Phasen geteilt werden kann, so z.B. der Zustand zwischen Kindsein und Erwachsensein. 

Jessica Warboys, Village Gate, 2021

Warboys tangiert in ihrer Ausstellung genau solche signifikanten Zwischenzustände, die jedoch nicht altersspezifisch, sondern kollektiv zutreffend sind. Sie vereint Domestizität mit spezifischen, technischen Themen, die sich um Flüsse und Küsten drehen und zieht gleichzeitig persönliche und familiengeschichtliche Referenzen, die in einer nächsten Phase gesamtgesellschaftlich betrachtet werden können. So handelt es sich bei unserem aktuellen domestischen Zustand vielleicht um eine Mittelphase, die etwas Neues, aber noch Unbekanntes einleitet. Ein Einrichtungsgegenstand, bestickt mit individuellen Erfahrungen, verwandelt sich in “Village Gate“ nicht nur zu einer Schnittstelle zu kollektiver Geschichte, sondern wird auch immanenter Teil dieser. Vielleicht ist ein Teppich also nicht einfach nur ein Teppich ist ein Teppich ist ein Teppich. 

WANN: “Village Gate“ ist noch bis Samstag, den 15. Januar 2022, zu sehen. 
WO: 
Galerie Noah Klink, Kulmer Str. 17, 10783 Berlin.

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