Selbstbestimmung vs. Fremdeinwirkung
Anna Uddenberg im Schinkel Pavillon

20. September 2022 • Text von

Der Schinkel Pavillon hat im Rahmen der Berlin Art Week vergangene Woche die erste institutionelle Einzelausstellung der schwedischen Künstlerin Anna Uddenberg in Berlin eröffnet: “FAKE-ESTATE”. Ihre skulpturalen und performativen Werke sind künstlerische Reaktionen auf Fragen nach Körperlichkeit, Verhaltensweisen und Grenzerfahrungen zwischen freiem Willen und Kontrollverlust. Bespielt werden die Objekte zeitweise von Performern, die als übergroße männlich-gelesene Babies mit den Arbeiten in Interaktion treten. Aber wieso eigentlich?

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Anna Uddenberg, SUB-D (Capital Aesthetics), 2022, Installation View at Schinkel Pavillon 2022; Courtesy of the artist, Schinkel Pavillon and Kraupa-Tuskany Zeidler. Photo: Frank Sperling.

Schaut man sich in Anna Uddenbergs Ausstellung im gläsernen Obergeschoss des Schinkel Pavillons um, scheint es zunächst, als würde man in eine fremde, zugleich futuristische und irgendwie merkwürdige Welt, eintreten. Die aus 3D-gedruckten und Edelstahl zusammengesetzten Gebilde erinnern in ihren Formen an etwas, dass irgendwo zwischen Rollkoffer und Kindersitz einzuordnen ist. Doch eigentlich nimmt die schwedische Künstlerin in ihren skulpturalen und performativen Werken Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen und Beobachtungen, die allgegenwärtig sind und einen Teil unserer Wirklichkeit abzubilden versuchen.

Im Gegensatz zu den meisten Kunstwerken im musealen Kontext, können und müssen Anna Uddenbergs Objekte benutzt werden, um sich in ihrer Bedeutung vollständig zu entfalten. Performer hauchen den Arbeiten an den Wochenenden “Leben” ein, laufen zwischen der Werkgruppe entlang, blicken leer und geistesabwesend in den Raum hinein und setzen sich gegenseitig in die Skulpturen hinein, wo sie in unnatürlichen Posen verweilen und mit dem Smartphone herumspielen. Im Ausstellungsraum ist es ruhig und das Tempo sachte. Alle Performer haben athletische Körper und folgen einem ganz bestimmten Dresscode: Tanktops, Windeln, Crocs und Socken – komplett in Weiß. Sie erscheinen wie übergroße Männerbabies – angelehnt an die Praxis des paraphilen Infantilismus, der auch als “Adult-Baby-Syndrom” bezeichnet wird. Dabei kehren Menschen zu einem frühkindlichen Zustand zurück. Die Performance hat etwas Fetischisierendes, leicht Masochistisches an sich und obwohl es sich hier um reale Menschen handelt, die mit den Objekten interargieren, so wirkt die Gesamtszenerie doch eher fremdbestimmt und leicht mechanisch. Alle Emotionen scheinen ausgeschaltet und weichen einem fremdartigen Nichts.

Detailausschnitt eines Werks von Anna Uddenberg. Man sieht ein Objekt, auf dem sich ein Mensch in unnatürlicher Haltung befindet, man sieht die Person von hinten mit einer Windel und weißen Socken an, die Füße nach oben gestreckt
Anna Uddenberg, SUB-D (Capital Aesthetics), 2022, Installation View at Schinkel Pavillon 2022; Courtesy of the artist, Schinkel Pavillon and Kraupa-Tuskany Zeidler. Photo: Frank Sperling.

Mit ihren Arbeiten, die wie Designobjekte erscheinen, wirft die Künstlerin eine Vielzahl von Fragen auf, lotet Grenzen aus und legt Verhaltensmuster unserer Wirklichkeit offen. Sie verhandelt die Beziehungen und Auswirkungen von Mensch, Technologie und Algorithmen, denen wir in unserem alltäglichen Umgang mit sozialen Medien oder Videoplattformen unterworfen sind. Sie untersucht die Beziehung von Subjekt und Objekt, steckt die Grenzen von virtueller und physischer Realität neu ab, materialisiert und ästhetisiert diesen undefinierten Bereich zwischen Selbstbestimmung und Fremdeinwirkung. Wem gehört unser Körper eigentlich? Wie selbstbestimmt leben wir tatsächlich oder werden wir doch nur von den uns umgebenen und stetig weiterentwickelnden Technologien geleitet? Wer hat die Kontrolle über uns? Wem oder was wollen wir folgen? Viele einzelne Gedankenfetzen und breite Themenkomplexe versammeln sich hier gleichzeitig in einem Raum., der teilweise in ein surreales, fast magisches Licht getaucht wird.

Spannend an Anna Uddenbergs Arbeiten ist das ständige Spiel mit Gegensätzen, die ständige Auseinandersetzung mit Zuständen, die durch ihre Kunst ins Wanken geraten und kritisch hinterfragt werden. Gleichzeitig kreiert die Künstlerin mit ihren skulpturalen und performativen Arbeiten eine Hyperrealität mit einer reduzierten Farbpalette und wahnsinnig hohem ästhetischem Anspruch, die den Betrachter*innen eine eindeutige Detailverliebtheit präsentieren. Wer in den Werke eindeutige Antworten sucht, wird sie hier nicht finden. Sie werfen vielmehr unzählige Fragen auf, sorgen für eine gewisse innere Unruhe, Rastlosigkeit und lassen das Publikum mit einigen Fragezeichen zurück. Doch eines zeichnet sich in der Auseinandersetzung mit der Werkgruppe ab: in der Ausstellung “FAKE-ESTATE” wird die eigene Automie in Frage gestellt und das Maß an Selbstbestimmung sichtlich eingegrenzt.

WANN: “FAKE-ESTATE” kann bis zum 31. Dezember 2022 besucht werden.
WO: Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin.

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