Bau mir einen Unterschlupf “On What Defines a Shelter” im Frappant
17. April 2024 • Text von Katrin Krumm
Die Gruppenausstellung “On What Defines a Shelter” im Frappant erkundet das Konzept des Schutzraums. Es ist auch der sensible Versuch, einem Thema, welches von so viel Körperlichkeit und Erinnerung geprägt ist, durch analytische Distanz näher zu kommen. Mit viel Freiraum zwischen den Werken bietet die Ausstellung genügend Platz, damit sich die schweren Themen entfalten können.
Wespen haben sich eingenistet. Ein hellbraunes Nest schmiegt sich an das Holz und informiert über ihren gewaltvollen Einzug. Es scheint ein taktischer Angriff zu sein, denn sie haben sich ausgerechnet im Revier ihres natürlichen Fressfeindes niedergelassen.
Angst müssen sie jedoch nicht haben, obwohl es sich bei dem kleinen Holzhäuschen um einen Nistkasten handelt, in dem Vögel ihren Nachwuchs aufziehen können. Zwei Wohnräume, die sich gleichermaßen bedingen und ablehnen: Das Vogelhaus aus Jakob Spengemanns Installation entstand im Rahmen von sogenannten arbeitstherapeutischen Maßnahmen in der Justizvollzugsanstalt Essen. Dort fertigten Inhaftierte die Gartendekoration in Handarbeit an. Der Titel der Arbeit referiert eine Audioaufnahme aus dem institutionseigenen Außenbereich, wo den Insassen der alltägliche “Freigang” gestattet wurde. Neben der Doppeldeutigkeit von Schutzräumen verhandelt seine Installation auch die Frage nach dem Innen und Außen.
Zuflucht, Schutz, Obdach, Bunker, Berghütte: Während das Wort “shelter” im Englischen ohne konkrete Bestimmung daherkommt, verlangt die deutsche Sprache sofort nach Klarheit. Und das, obwohl man zunächst nicht einmal über Angreifende und Angegriffene sprechen muss. Erst im Falle eines Notfalls verlangt die Form eines Unterschlupfes nach der Definition dessen, was und wovor es schützen soll.
Zeit spielt eine große Rolle, die im Fall eines Notfalls nie genug sein kann. Loerdy Weselys Installation macht sie zum Ausgang seiner Auseinandersetzung. Seine Installation besteht aus einem auf dem Boden liegenden, geöffneten Lederkoffer, in dem persönliche Gegenstände aufgetürmt sind: Kleidung, aber auch Handtücher und Laken, ein Geigenkoffer. Während “Almost Prepared. Never Enough” den Moment beschreibt, indem man zurückgeworfen wird auf das, was im Bruchteil eines Moments als das Nötigste angesehen wird, kommt in “Dich vergesse ich nicht” die Erinnerung – fast Konditionierung – zu Tage, den Kleiderbügel auf bestimmte Art und Weise aufzuhängen, sodass er im Notfall sofort abgenommen werden kann.
Ob ein Schutzraum als solcher erkennbar ist oder sein soll, variiert nach dessen Anforderungen. So können präzise Instruktionen über Abfolgen informieren, denen man beim Eintreffen zu befürchtender Situationen folgen soll. Auf der anderen Seite verlangen manche Gegebenheiten, dass nur die Zufluchssuchenden und Involvierte über dessen Platzierung oder sogar Existenz wissen.
Schutzsuche soll auch immer temporär sein. Doch die Annahme einer zeitlich begrenzten Situation kann schnell einem Gefühl der Unsicherheit weichen. Gefangen im ewigen Moment des Provisoriums, einer nervösen Aufregung, in der man weder anhalten, noch zuversichtlich in die Zukunft blicken kann.
Was Halt geben kann, ist Gemeinschaft. In Elza Gubanovas dokumentarischer Filmarbeit ist die Stimmung trotz der gefühlten Anspannung herzlich. Sie zeigt den Alltag eines aktivistischen Kollektivs in der ukrainischen Stadt Brovary.
Die Kamera hält fest, wie eine Gruppe an Frauen aus alten Textilien kompliziert verwobene Netzmuster herstellt. Ihre Netze werden zu Tarnungszwecken von Autos im ukrainischen Militär verwendet. Während sich die Frauen mit der Künstlerin, sowie dem Kameramann und sich selbst unterhalten, offenbaren sie beiläufig in Nebensätzen Erinnerungen, Überzeugungen und Wünsche für ihre Zukunft. Die Fäden des Gesprächs weben sich dabei ebenso geschickt in das Schutz bietende Netz ein, das sie mit jeder Fertigstellung mehr verbindet.
Die Werke der Ausstellung führen immer wieder zum Körperlichen zurück, wie auch im gerahmten Print von Larion Lozovyi. Zu sehen ist eine beschriftete Illustration des Inneren eines Ohrs. Demgegenüber stehen die Fotografien zweier Soldaten, die einer Werbung entnommen scheinen. In Situationen der Gewalt ist der Schutz des Körpers die wichtigste Voraussetzung. Lozovyi zeigt dies, indem seine Arbeit auf einen speziellen Gehörschutz referiert. Dieser wird aktuell im ukrainischen Militär verwendet, um dem Druck durch Bombeneinschläge unbeschadet zu überstehen.
Neben der Funktion des Schutzes ist jedes Werk in “On What Defines a Shelter“ im beiliegenden Ausstellungstext einem der Aspekte zugeordnet, die einen Unterschlupf definieren. Diese kuratorische Entscheidung von Lesia Hudz betont eine theoretische Betrachtung, die im Kontrast zur sinnlichen Erfahrung des Körpers im Raum steht. Letztlich hat dies zur Folge, dass zwischen Ausstellenden und Betrachtenden eine schützende Distanz entsteht, die sich sanft über die Arbeiten legt.
WANN: Die Ausstellung “On What Defines a Shelter” läuft noch bis Sonntag, den 21. April.
WO: Frappant, Zeiseweg 9, 22765 Hamburg.