Ist das Müll oder doch Berlin?
Ser Serpas in der Galerie Barbara Weiss

17. Juni 2022 • Text von

Streift man durch den Galerieraum bei Barbara Weiss, könnte man annehmen, Berlins Straßenränder abzugrasen: Einkaufswägen hier, ein Mülleimer dort, da ein Kühlschrank, das altbekannte IKEA Kallax Regal oder ein olles, beschmiertes Sofa. Die US-amerikanische Künstlerin Ser Serpas stellt derzeit in Kreuzberg unter dem Titel “HEAD BANGER BOOGIE” den Abfall von Berlins Straßen in neuartigen, skulpturalen Zusammensetzungen aus. Begleitet von schrammeliger Musik, die in der hintersten Ecke aus einem Lautsprecher schallt.

verschiedene Objekte im Ausstellungsraum: ein zweigeteiltes Sofa, Einkaufwägen, ein Regal, ein großer Kanister
Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin, Photo: Jens Ziehe.

Das Konzept der Künstlerin Ser Serpas besteht darin, sich intensiv mit dem Ort des Geschehens und seiner Umgebung auseinanderzusetzen. Alle Arbeiten, die aktuell in der Galerie Barabara Weiss zu sehen sind, sind kurz vor Ausstellungsbeginn während ihrer Streifzüge durch Berlins Kieze und unmittelbar in der Kreuzberger Galerie entstanden. Die Künstlerin zieht durch die Städte und stößt auf Fundstucke aller Art, die dann wiederum mit einem Transporter in der Galerie landen, dort bearbeitet, ihrem ursprünglichen Kontext entrissen und neu zusammengesetzt werden. Der Raum wird für neue Geschichten und Interpretationen eröffnet.

offener orangener Mülleimer von Berlins Straßen auf einem zerbrochenen Fenster mit weißem Rahmen mit Abfallresten
Ser Serpas, say me and object, 2022, 50 x 150 x 130 cm, 19 2/3 x 59 x 51 1/4 in, courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin, Photo: Jens Ziehe.

Alles hier kommt einem wahnsinnig vertraut vor – besonders, wenn man selbst schon das eine oder andere Mal in der Hauptstadt unterwegs war. Nein, nicht ganz Berlin ist ein Müllberg. Doch kommt es eben nicht selten vor, dass man vorbeizieht an lauter Zu-Verschenken-Boxen, zerbrochenem Glas, ausgekippten Mülleimern oder ausrangiertem Mobiliar, das einfach lieblos am Straßenrand abgestellt wurde und hoffentlich schnell und wie durch Zauberhand verschwindet. Hier beginnt der kreative Raum von Ser Serpas.

Installationsansicht, Einkaufswägen sind ineinander gesetzt, dazwischen einen Matratze
Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin, Photo: Jens Ziehe.

Die Künstlerin hat bis zu ihrem 18. Lebensjahr auf engstem Raum gelebt und sich bis dahin mit ihrer Mutter ein Schlafzimmer geteilt. Vorgänge, wie sich einen Raum zu erschließen, zu erfahren, aber gleichzeitig auch selbst einen gewissen Raum einzunehmen, sich vielleicht ein Stück weit mehr Raum zu verschaffen und einzugestehen, begleiten – auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebenssituation – die Auseinandersetzung mit Ser Serpas Objekten beim Durchqueren der Galerie. Sie war selbst am Transport der einzelnen Fundstücke beteiligt, was den Werken zudem eine Körperlichkeit einverleibt. Das Zusammenspiel von Körpern in einem Raum findet hier einen neuen künstlerischen Ausdruck, der einen hohen Anteil der Realität in sich trägt, sich aber dennoch ein Stück von ihr entfernt und eine neue Betrachtungsebene schafft.

Ein dunkler Raum, der durch das Display eines Laptops erleuchtet wird, Flaschen stehen drumherum auf einem Tisch
Ser Serpas, Me Vs Myself 11am – 2pm, 2022, sound, video, 79 objects collected for the exhibition, two laptops, two keyboard covers, four speakers, charging cables, headphones, bottles, pack of cigarettes, ashtray dimensions variable, courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin, Photo: Jens Ziehe.

Jedes einzelne Objekt in der Ausstellung, nur für sich betrachtet, stellt nichts Neues dar. Es sind Alltagsobjekte, denen wir ständig ausgesetzt sind, die uns vertraut sind. In ihrer zugespitzten Konzentration auf einen klar festgelegten Raum, der Neukomposition und –Zusammensetzung erzeugen Ser Serpas Skulpturen jedoch ein neuartiges Abbild des Ortes, an dem sie entstanden sind und werden in eine neue Beziehung zueinander gesetzt. Immer aber auch die Körper mitdenkend, erzeugen sie gleichermaßen ein Abbild und Spiegel der Gesellschaft. Das, was wir hier sehen, ist nicht einfach der Abfall einer Stadt. Es sind Objekte individueller Geschichtenträger und Produkte des gesellschaftlichen Zusammenlebens in den Straßen Berlins.

WANN: Die Ausstellung “HEAD BANGER BOOGIE” läuft nur noch bis Samstag, den 25. Juni.
WO: Galerie Barbara Weiss, Kohlfurther Straße 41/43, 10999 Berlin.

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