Ich und mein Besenstiel
Emily Mae Smith bei Contemporary Fine Arts

8. Dezember 2023 • Text von

In der Ausstellung “A Candle Makes Its Own Fuel” bei Contemporary Fine Arts entführt Emily Mae Smith die Betrachter*innen in ihre malerischen Mikrokosmen – inspiriert von einer Faszination für lokale Landschaften sowie dem kunsthistorischen Bildprogramm vergangener Jahrhunderte. Die filigranen, kleinen Leinwände bestechen durch ihre unverkennbare Präzision.

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Emily Mae Smith – A Candle Makes Its Own Fuel – Installation Views, Contemporary Fine Arts Berlin 2023.

Die 18 klein- und mittelformatigen Gemälde im ersten Stock von Contemporary Fine Arts wollen genau betrachtet werden. Die kleinen Formate offenbaren spannende und vielfältige Bildwelten, die Aufschluss geben über die Inspirationsquellen der amerikanischen Künstlerin Emily Mae Smith, die mit “A Candle Makes Its Own Fuel” ihre zweite Einzelausstellung in der Berliner Galerie zeigt. In ihren fantasievollen Mikrokosmen erweckt Emily Mae Smith nicht nur ein künstlerisches Alter Ego in Form eines Besenstiels zum Leben, sondern schafft auch surreale Landschaften und Pflanzen, die von ihrer persönlichen Umgebung inspiriert sind und einen Kontrast zur kargen texanischen Landschaft bilden, in der die Künstlerin aufgewachsen ist.

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Emily Mae Smith, “Shell that Echoes” 2023, Courtesy Contemporary Fine Arts, Photo: Nick Ash. // Emily Mae Smith, “A Candle Makes its Own Fuel Study” 2022, Courtesy Contemporary Fine Arts, Photo: Nick Ash.

Der personifizierte Besenstiel steht in historisch anmutenden Interieurs des 19. Jahrhunderts und stellt Bezüge zur kunsthistorischen Ikonographie her. So finden sich in den Bildern ein Totenkopf, der in der Kunst als Symbol der Vergänglichkeit verwendet wird, oder dunkelviolette Weintrauben, die in der Tradition der religiösen Malerei für das Blut Christi stehen. Mit der Wahl eines Besenstiels stellt die Künstlerin auch einen Bezug zum traditionellen weiblichen Rollenbild her – der Besen wird als Symbol für die häusliche Arbeit eingesetzt. Gleichzeitig zeigt der Besenstiel die Grenzen der Kunst für Künstlerinnen auf. Dass Frauen seit rund 100 Jahren an Kunsthochschulen studieren können, ist eine noch recht junge Errungenschaft, wie der überwiegend von männlichen Perspektiven geprägte Kanon der Kunstgeschichte deutlich macht. In ihren Arbeiten stellt sie den bestehenden Kanon in Frage und bietet Neuansätze oder zeitgemäße Erweiterungen an.

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Emily Mae Smith, “Mink Hollow” 2023, Courtesy Contemporary Fine Arts, Photo: Nick Ash. // Emily Mae Smith, “Reliquary” 2023, Courtesy Contemporary Fine Arts, Photo: Nick Ash.

Weitere Arbeiten bei Contemporary Fine Arts beschäftigen sich mit Landschaften und Pflanzen, die in eine surreale, formen- und farbenreiche Bildsprache transformiert werden. Hier rücken Ort und Kontext der Entstehung in den Vordergrund, denn die Frage, wie Künstlerinnen leben und arbeiten, begleitet Emily Mae Smiths eigenes künstlerisches Schaffen. Die Entscheidung, auf eher kleinen Leinwänden zu malen, war nicht nur eine künstlerische. Die damals in New York lebende Künstlerin war durch den plötzlichen Verlust ihres Ateliers gezwungen, vorerst in den eigenen vier Wänden zu arbeiten, so dass sich ein kompakteres Format anbot. Und das sich bis heute durchgesetzt hat.

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Emily Mae Smith – A Candle Makes Its Own Fuel – Installation Views, Contemporary Fine Arts Berlin 2023.

Auf den Leinwänden entstehen traumähnliche Szenarien, in denen sich teilweise die Form des Besenstiels wiederfindet, jedoch ohne die menschlichen Attribute. Hier und da tropfen dickflüssige rote Tropfen vom oberen Bildrand herab, die als Anspielung auf den weiblichen Zyklus gedeutet werden können und in den Kontext der Weiblichkeit, der Frage nach weiblicher Zugehörigkeit in der Kunst gehören, die die Künstlerin mitunter in ihre Arbeiten einfließen lässt. Ziel der Arbeiten ist es nicht, die Natur so abzubilden, wie sie tatsächlich ist, genauso wenig wie die Künstlerin versucht, die Kunstgeschichte zu wiederholen. Sie schafft zarte und filigrane Landschaften mit realen und imaginären Pflanzen, inspiriert von den Waldgebieten um New York oder den grünen Catskill Mountains in Woodstock, aber auch von lokalen Bergregionen aus ihrem aktuellen Leben.

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Emily Mae Smith, “Lily and Lotus II” 2023, Courtesy Contemporary Fine Arts, Photo: Nick Ash. // Emily Mae Smith, “Tails to Tell” 2023, Courtesy Contemporary Fine Arts, Photo: Nick Ash.

Nach einer intensiven Betrachtung der neuen Arbeiten von Emily Mae Smith werden zwei Erzählstränge deutlich: Zum einen schöpft die Künstlerin aus ihrem unmittelbaren Umfeld, den alltäglichen Momenten rund um ihr Atelier, zum anderen bedient sie sich traditioneller, ikonographisch aufgeladener Bildmotive, um ihrem Alter Ego – dem Besenstiel – Ausdruck zu verleihen und subtile Kritik am Kanon der Kunstgeschichte und den lange vorherrschenden Rollenbildern zu üben, die Frauen und Künstlerinnen lange Zeit den Weg versperrten. Die Flächen der Leinwände mögen überschaubar sein, doch inhaltlich und in ihrer künstlerischen Umsetzung entfalten sich vor den Augen der Betrachter*innen wahrhaft tiefgründige, weitreichende Geschichten und unzählige Assoziationsketten. Man muss nur genau hinschauen.

WANN: Die Ausstellung “A Candle Makes Ist Own Fuel” von Emily Mae Smith läuft noch bis Samstag, den 16. Dezember 2023.
WO:
Contemporary Fine Arts, Grolmanstrasse 32/33, 10623 Berlin.

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