Der Ritter der Kunstgeschichte
Ongart und Fest mit Andi Fischer

28. April 2021 • Text von

Über den Winter verbrachte Andi Fischer einige Monate in Frankreich, Rekreationsphase. Vor seiner Abreise war der Künstler nicht sicher, wie sich das nächste Jahr gestalten würde – würden Ausstellungsprojekte aufkommen und realisierbar sein? Nach dem ersten Quartal 2021 steht fest: Das Grübeln war unberechtigt. Zum Gallery Weekend eröffnet seine Einzelausstellung „TaTa ongart“ in der Galerie Åplus, Anfang Mai folgt die Doppelschau „FEST“ mit Franz West im Schaulager Wien 15. Ein Studiobesuch Ende März.

Das Bild zeigt eine Ausstellungsansicht der Ausstellung "TaTa Ongart" des Künstlers Andi Fischer in der Galerie Åplus in Berlin.
TaTa ongart, Åplus, Ausstellungsansicht, 2021. Courtesy of Åplus, Berlin.

Über dem Eingang grüßt die Diskokugel. Dahinter große Leinwände, einige von ihnen übersichtlich von bekannten Protagonisten wie Ritter und Tier beheimatet; andere mit intensiv-expressiven Farbgesten gestaltet, unmittelbare Anklänge an Landschaften. Dazwischen Holzkästen und -objekte, Tiere, Pflanzen und Häuser. Ein offensichtliches Work in Progress. 

gallerytalk.net: Im April eröffnet Deine Ausstellung bei Åplus in Berlin, im Mai folgt eine Doppelausstellung mit Franz West in Wien. Wie bist Du in der Vorbereitung für die beiden Ausstellungen vorgegangen? Gab es spezifische Themen oder Konzepte?
Andi Fischer: Es gab keine gesetzten Ausstellungskonzepte, aber selbstverständlich hatte ich meine Ideen. Die Arbeiten hier sind alles, was in den letzten zwei bis drei Monaten entstanden ist. Einiges davon geht nach Wien, insbesondere die Arbeiten, auf denen du einen Berg oder eine Schlange siehst. Diese habe ich spezifisch für Wien erarbeitet. Die Kästen bleiben in Berlin, ebenso die Landschaftsbilder.

Gutes Stichwort: Im Gegensatz zu früheren Arbeiten finden sich nun auch viele, in denen keinerlei Figuren vorkommen. Hat dieser Turn zur Landschaft etwas mit Deinem Frankreich-Aufenthalt im Winter zu tun?
Definitiv. Es ging nach dem Frankreich-Aufenthalt im letzten Jahr los, dass ich angefangen habe, reine Landschaften zu malen. Die Figuren wurden mir mit einem Mal zu viel und ich merkte, wie gut es mir tat – und tut – Landschaften zu malen. Die Arbeit besitzt eine andere Geschwindigkeit und Art des Ausdrucks, es macht irre viel Spaß.

Das Bild zeigt zwei Kunstwerke des Künstlers Andi Fischer, welche jeweils expressive Landschaften und Wolken zeigen. Im rechten Bild ist ein Sichelnd zu sehen.
Andi Fischer, AHA EINGESCHRÄNKTER FERNBLICK VORHANDEN, 2021 (links); ENORM MOND LAND, 2021 (rechts). Courtesy of the artist and Åplus, Berlin.

Wie muss ich mir die Arbeitsweise vorstellen, hast du vor Ort gearbeitet oder entstanden die Bilder nachträglich im Atelier?
Ich bin im Januar aus Frankreich wiedergekommen, die Zeit dort bildet jeweils einen bewussten Break. Ich hatte ein Skizzenbuch dabei, aber keine Leinwände. 2019 habe ich mir das erste Mal diese Auszeit genommen, auch weil Zeit davor sehr intensiv war; sonst hört man nicht auf, sich in diesem komischen Kreis zu drehen. Außerdem ist das Atelier im Winter nicht geheizt, und so bin ich immer ganz froh, ein wenig rauszukommen. Auch dieses Jahr kam ich zurück und hatte Energie und Inspiration für neue Arbeiten.

Ein Resultat hiervon ist eine Reihe von Holz-Schaukästen, in welchen sich Figuren und Objekte aus Holz befinden. Was hat es damit auf sich?
Die Kästen sind ein Produkt der Pandemie und den anhaltenden Lockdown-Phasen. Ich habe über das letzte Jahr gemerkt, wie gut es mir tut, mit Holz zu arbeiten. Das Material benötigt mehr Zeit und besitzt die Komponente der körperlichen Arbeit.  Dennoch arbeite ich sehr schnell, die Figuren und Kästen sind handwerklich nicht perfekt.

Hattest Du zuvor bereits mit Holz gearbeitet oder bildet das Material ein Novum für Dich?
Ich habe das schon immer gemacht, war allerdings nicht besonders gut darin. Im letzten Jahr ergab sich nun die Zeit, mich hiermit genauer zu beschäftigen und die Materialarbeit zu perfektionieren. Es macht irre viel Spaß, sich einzuarbeiten. Ich habe sehr viele Ideen und Hobbies, mache allerdings gefühlt nichts so richtig. Für die Arbeit mit Holz kann ich mich seit langem wieder richtig begeistern, und das ist ein gutes Gefühl und eine gute Arbeitsgrundlage. 

Das Bild zeigt zwei Kunstwerke des Künstlers Andi Fischer. Das linke Bild zeigt eine expressive Landschaft mit grüner Vegetation und Sonne. Das rechte Bild zeigt einen Menschen in einer abstrakten Landschaft mit einer Sonne am oberen Bildrand.
Andi Fischer, ENORM SONNE LAND, 2021 (links); OBACHT OBJEKT VERLOREN, 2021 (rechts). Courtesy of the artist and Åplus, Berlin.

Einer der Kästen ist horizontal in vier Abschnitte unterteilt, ein Krokodil nähert sich sukzessive einem Haus bis es im obersten Abschnitt auf dem Dach des Hauses sitzt. Was geschieht hier?
Es ist nicht genau klar, was geschieht. Die Idee stammt aus der ersten Phase des Lockdowns, als sich zeigte, wie sich die Natur sich ihr Gebiet zurückeroberte. Das Motiv stammt aus einem Bild von mir, welches 2020 im Ulmer Kunstverein ausgestellt wurde. Hier stand ebenfalls ein Krokodil vor einem Haus. Ich fand es ein schönes Symbol dafür, wie die Natur wieder vor unsere Fenster kommt und sich die Welt wieder einverleibt.  In den Kästen habe ich diese Idee in plastischer Form weiterverarbeitet.

Zwischen den einzelnen Abschnitten besteht somit eine Art linearer Beziehung. Denkst Du Dir jeweils erst eine Geschichte aus, oder kommt die Form vor der Erzählung?
Die Geschichte entsteht während des Prozesses. Zunächst baue ich einen Kasten, in welchem beispielsweise vier Abschnitte sind. Dann überlege ich mir, was darin passieren könnte, jedoch sehr frei: Ich mache ein paar Adler, Krokodile, ein paar Häuser. Die Komposition erfolgt dann jeweils sehr intuitiv. Das hat für mich viel mit Ästhetik zu tun, und mit der Frage nach der sinnvollen Positionierung der einzelnen Figuren. Und so kommen und gehen die Figuren eben. Aber der genaue Zusammenhang findet sich erst in der Montage oder im Arrangement.

Sehr auffällig in dem beschriebenen Kasten ist die Form des Hauses: Weiße Fassade, blaue Fenster, rotes Dreiecks-Dach. Wieso dieses Klischee?
Die Form steht für eine Art deutsches Idealhaus. Meine Oma sagte immer: In einem Haus ohne Vorhänge stimmt etwas nicht. Die rechteckige Form mit Dreiecksdach symbolisiert Zweckmäßigkeit, das, was man braucht. Die weiße, ordentliche Fassade verspricht Anstand und scheint mir besonders in Deutschland von herausragender Bedeutung. Ein potenzieller Gegensatz zu der Frage, was hinter der Fassade vorgeht. Nach Außen stimmt der Schein.

Andi Fischer, KROK HAUS BESETZT, 2021 (links); EIN SCHATTEN ZU WENIG, 2021 (rechts). Courtesy of the artist and Åplus, Berlin.

Ich muss bei den Kästen unmittelbar an die Tradition des Dioramas denken, Schaukästen, welche ab dem späten 19. Jahrhundert insbesondere in der Museumspräsentation zur Darstellung naturgeschichtlicher Sachverhalte verwendet wurden. Gibt es hier eine Verbindung?
Nein, jedenfalls keine direkte. Als ich im letzten Jahr mit der Holzarbeit begann, formte ich zunächst Figuren und Objekte. Irgendwann stellte sich die Frage: Was mache ich jetzt damit? Ursprünglich wollte ich die Figuren vor die Landschaftsbilder setzen. Aber dann kam der Punkt, an dem ich sie gesondert – geschützt präsentieren wollte. 

Abgesehen von Schutz bilden die Kästen jedoch auch eine Distanz zu den Betrachter*innen.
Das stimmt.  Diese Distanz beschäftigt mich sowohl in den Kästen als auch in meinen Leinwandarbeiten. Museen erzeugen durch die Präsentation im Rahmen an der Wand eine Distanz; ebenso ich versuche, jeweils eine Distanz für die eigenen Arbeiten herzustellen. Für mich ist ein Bild erst fertig, wenn es gerahmt ist. Die Rahmen bilden dann eine Brücke zwischen der Imperfektion der Bildsprache und der Wertschätzung, die die Arbeiten dennoch erfahren.  Es geht um ein praktisches Verstehen von Museums-, Kultur- und Repräsentationstechniken. Die Kästen bilden eine weitere Spielart oder Steigerung dessen.

Einer der Kästen lässt sich durch einen Handgriff betätigen, er besitzt somit ein interaktives Element. Verbinden sich hier Künstler und Betrachter*in?
So weit habe ich die Angelegenheit nicht gedacht. Ein wesentlicher Aspekt in der Arbeit mit Holz ist für mich jener der Entschleunigung. Wie ich bereits sagte, das Material benötigt mehr Zeit, was ich enorm erholsam finde. Ebenso zeigt sich im Alltäglichen derzeit ein starker Trend zu Holzspielzeug. In diesem Sinne bilden die Arbeiten ein Spiel für Erwachsene – mir tun sie gut, und warum nicht auch anderen. 

Das Bild zeigt zwei Kunstwerke des Künstlers Andi Fischer. Bei dem linken Werk handelt es sich um einen rechteckigen Holzkasten mit Holzfiguren darin. Bei der rechten Arbeit handelt es sich um ein Leinwandbild, welches eine nackte Figur zeigt, die rechts von einem Berg mit einem Haus darauf steht. Die Figur ist so groß wie der Berg.
Andi Fischer, SCHLANGE / ADLER ATTACKE, 2021 (links); ADA BERG ENORM, 2021 (rechts). Courtesy of the artist and Åplus, Berlin.

Ein schöner Gedanke! Mir scheinen die Kästen zudem wie analoge Screens, in Zeiten, in denen wir ständig auf unsere digitalen Bildschirme schauen. 
Ebenfalls ein schöner Gedanke!

Ein Element, welches sich sowohl in den Kästen als auch auf Deinen jüngsten Leinwänden findet, ist das Krokodil. Was macht das Krokodil auf dem Berg? 
Das Krokodil geht zurück auf die Arbeit von Peter Paul Rubens „Jagd auf Krokodil und Nilpferd“. Für mich war dies immer schon starkes Bild, insbesondere im Studium, als ich Vieles in der Kunst noch nicht verstehen oder greifen konnte. Meine Bildmotive entnehme ich häufig historischen Kupferstichen. Sie geben mir jeweils ein Zugangsbild, über welche ich mich den verschiedenen Künstlern nähere. Von diesem Ursprungsmotiv aus emanzipieren sich die Tiere dann und erzählen frei ihre Geschichten. Die Tiermodelle in den Kästen bilden dabei einen Übergang ins Plastische in Zeiten, in denen ich selbst nicht mehr raus und Tiere beobachten kann.

Spannend! Wie gehst Du bei der Recherche zu den Kupferstichen vor?
Viele der Stiche sind online verzeichnet, was die Recherche enorm vereinfacht. Ich blättere durch, ziehe mir das heraus, was ich gerade verarbeiten kann. Das hat mit [Albrecht] Dürer angefangen, als ich vor Jahren schon Arbeiten für mich aufzuarbeiten begann. Leider sind es überwiegend männliche Künstler, der Zeit geschuldet. Auf diese Weise taste ich mich an die Themen heran, und wenn es thematisch für mich auf den Ort passt, wie beispielsweise jetzt mit der Ausstellung in Wien – dann kann ich mich daran abarbeiten, bestimmte Figuren oder Kompositionen, die mir gefallen oder die ich grotesk finde, in mein Werk integrieren. Es muss mir nicht immer gefallen, sondern mich beschäftigen, teilweise sind es Banalitäten, die auf den Bildern stattfinden, Dinge, die ich nicht verstehe, Fragmente aus Bildern, Skurriles aus dem Hintergrund, das man nutzen kann.

Das Bild zeigt zwei Kunstwerke des Künstlers Andi Fischer. Es Handel sich um zwei Leinwandbilder. Das linke Bild zeigt eine Figur, welche im Rachen eines großen Fisches zu stecken scheint. Das rechte Bild zeigt einen Löwen, der vor eine proportional sehr viel kleineren Haus steht.
Andi Fischer, DER VERSUCH GRAS ZU FÜTTERN SCHEITTERT SEHR, 2021 (links); BREDOUILLE VORPOGRAMIERT, 2021 (rechts). Courtesy of the artist and Åplus, Berlin.

So wie dieser Bär mit Space-Rucksack. 
Das Motiv stammt aus einer Reihe von Kupferstichen zu den Ursprüngen des Karnevals. In Nürnberg gab es seit der Renaissance die Tradition, dass Bäcker, wenn sie ihren Gesellenbrief erhielten, verkleidet durch die Stadt zogen. Hieraus entwickelte sich eine Art Karneval, welcher im kleinen Rahmen noch heute besteht. Erzählungen wie diese finde ich spannend, nicht zuletzt wegen des Nürnberg-Bezuges. Die Motive machen sich dann auf ihren eigenen Weg, gehen ihre eigene Reise. Eine Neuigkeit bei den Arbeiten der jetzigen Ausstellungen war allerdings, dass ich zunächst Skizzen gemacht habe. Vorher arbeitete ich direkt auf der Leinwand, es war quasi ein Schlagabtausch zwischen Leinwand und Papier. Dieses Mal habe ich bewusst Skizzen angefertigt, welche ich nachfolgend auf der Leinwand verarbeitete. Es schien mir ein notwendiger Rahmen, nachdem die ersten zwei Bilder intuitiv nichts geworden waren. 

Deine früheren Arbeiten sind überwiegend in Oil Stick ausgeführt. Hat die Arbeit mit Skizzen auch Dein Medium beeinflusst?
Nein, nach wie vor male ich ausschließlich in Oil Stick. Während des Studiums habe ich lange mit Acryl gemalt, aber irgendwann merkte ich, dass ich das nicht mehr kann – ich bin unglaublich ungeduldig. Ölfarbe braucht sehr lange zum Trocknen, man muss bestimmte Prozesse während des Malens befolgen. Die Oil Sticks lassen große Geschwindigkeit zu, sie trocknen schnell und sind spontan in der Verarbeitung. Andererseits lassen sie Dir nur eine Chance, es gibt keine Möglichkeit, etwas zu übermalen oder zu retuschieren. Der Bildprozess ist dadurch sehr ehrlich. Aber er verbindet meine schnelle und spontane Arbeitsweise mit meinem künstlerischen Ansatz. Es geschieht sehr selten, dass ich ein Werk am Tag später noch einmal überarbeite, in den meisten Fällen ist das Bild fertig, wenn ich das Atelier verlasse. 

Ein wiederkehrendes Motiv in deinen Arbeiten ist jenes des Ritters: Bist du der Ritter, der gegen die Kunstgeschichte kämpft? 
Nein, ich glaube, ich wäre ein sehr schlechter Kämpfer gewesen. Ich hätte mich vermutlich zu Beginn der Schlacht auf den Boden geschmissen und totgestellt. In meinen Arbeiten treffen sich oftmals Mensch und Tier, der Ausgang ist jeweils ungewiss. Es geht um die Figur „Mensch“, ohne eine hierarchische oder geschlechtliche oder Deutung.

WANN: Die Ausstellung “TaTa ongart” eröffnet am Donnerstag, 29. April, und läuft bis zum 5. Juni 2021.
WO: Åplus, Stromstraße 38, 10551 Berlin.

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