Bunny, Beton, Barbierstuhl
Sarah Lucas bei Contemporary Fine Arts

29. Januar 2021 • Text von

Die Ausstellung “Hurricane Doris” in der Galerie Contemporary Fine Arts zeigt Arbeiten der britischen Künstlerin Sarah Lucas. Ihre “Bunny”-Serie aus Nylon-Strumpfhosen begeistert dabei genauso wie bunte Fetisch-Objekte und wulstige Damenbeine in Stilettos. Die Show liefert damit zeitgleich einen Gegenwartsbefund und eine Werkübersicht.

Eine Stuhl-Skulptur von Sarah Lucas.
Sarah Lucas, “Cross Doris”, 2019, tights, wire, wool, wood and vinyl chair. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Raum und Sitzobjekte. So lässt sich der erste Eindruck bei Betreten der Galerie beschreiben. Über die Ausstellungsfläche sind fünf Plastiken der Künstlerin weiträumig verteilt. Stichworte, die durch meinen Kopf schießen: Designobjekt, Fetisch, biegsam, bunt. Im vorderen Teil der Galerie stehen zwei Designersessel, darauf oder darin verschlungene Gebilde, welche weibliche Körper nachzubilden scheinen. An den Füßen der Objekte befinden sich jeweils aufreizende Stilettos. 

Mehrere Skulpturen von Sarah Lucas bei CFA.
“Hurricane Doris”, Installations-Ansicht. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Die Objekte bestehen aus mit Baumwolle gefüllten Nylonstrumpfhosen, die Farbskala reicht von Nude zu Knallfarben. Die Posen der vermeintlichen Körper sind trotzig und gleichzeitig introvertiert: Die Arme sind verschränkt, die Beine seltsam ineinander gebogen. Insgesamt scheinen die Glieder vollkommen amorph, jedoch nicht verformt in einem eigentlichen Sinne. Eher aus ihrer Form herausgetreten. Weil sie es können. Die Figuren erinnern an Puppen, Barbie Edition Gymnastik. 

Sarah Lucas: DICK ’EAD 2018, Bronze, Beton, Gusseisen und Acrylfarbe, 172 x 78,5 x 116,5 cm © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb. // Sarah Lucas: OOPS 2019, Strumpfhosen, Draht, Wolle, Schuhe, Acrylfarbe und Vinylstuhl, 86 x 76 x 97 cm © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Unter den Plastiken befinden sich jeweils farbintensive Plateaus, in Königsblau, Orange und Cyan. Die Arbeiten sind Teil der 1997 von Sarah Lucas begonnenen “Bunny”-Serie, aus Nylon-Strumpfhosen geformte weibliche Körpergebilde in lasziven Posen, stets auf Stühlen sitzend. Die Arbeiten entstanden aus einem Zufall heraus, und thematisierten nachfolgend – dem Œuvre Lucas‘ treu – Gender Trouble und Geschlechter-Differenzen auf der Basis einer vulgären und rohen Alltagsbildsprache, welche in Lucas‘ Arbeiten eine sonderbar poetische Wendung erfuhr und erfährt.

Neu an den Arbeiten in “Hurricane Doris” ist ihre intensive Farbigkeit sowie die Elaboriertheit der Sitzgelegenheit. Während die frühen “Bunnies” auf schlichten Holz- oder Metallstühlen residierten, sind letztere nun jenen eleganten Designobjekten gewichen. Auch die auffälligen Absatzschuhe sind neu. Die mondänen Sitzobjekte stehen dabei in einem markanten Gegensatz zu den low-budget Stilettos. Die neuen “Bunnies” sind damit spielerischer, gewagter. Und gleichzeitig kindlicher, verletzlicher. Aus manchen Perspektiven wirken die Formen schlicht bizarr. Aus anderen verleiten sie unmittelbar zur Umarmung, siehe “Glass Ceiling”, 2020.

Mehrere Skulpturen von Sarah Lucas bei CFA.
“Hurricane Doris”, Installations-Ansicht. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Im hinteren Teil des Raumes sind drei weitere Arbeiten versammelt. “Dick ‘Ead”, 2018, ist ein riesiger Phallus mit einer dicken roten Farbschicht – als eine Anlehnung an Gummi? – überzogen. Der Phallus gehört zu einer darunter positionierten, in Bronze gegossenen Strumpfhosen-Plastik, welche wiederum auf einem ebenfalls in Bronze gegossenen Barbierstuhl sitzt. Mehr Gegensatz geht nicht. Wie auch in den “Bunnies” zeigt sich hier ein Fokus auf der Materialität: Das Leder des Barbierstuhls ist in Beton gegossen, die ursprünglich weiche Stoff-Plastik erscheint in kalter Bronze. Aus weich mache hart, und vice versa.

“Angel”, 2017, zeigt den Oberkörper der Künstlerin und Freundin Lucas‘ Angela Bulloch. Die Plastik streckt die Arme seitlich von sich, die Ellenbogen leicht gebeugt, die Fäuste geballt. Die Brüste scheinen auf dem sich unter dem Werk befindlichen Plateau aufzuliegen. Offen gesagt: Kein klassischer Engel.

Skulptur von Sarah Lucas zeigt einen weiblichen Oberkörper mit ausgestreckten Armen.
Sarah Lucas, “Angel”, 2017, plaster. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Auch hier ist die Materialität irreführend: Von weitem scheint die Arbeit aus Stein, von Nahem zeigt sich eine Art Abguss, Faserreste, Gussnähte und Gipsrückstände prägen die Oberfläche. Obwohl der Ausschnitt der Arbeit sehr begrenzt ist – Brust und Arme – geht eine unglaubliche Kraft von ihr aus. Wie Siegesgeste und “I don’t care!” in einem.

Von hinten betrachtet besitzt die Arbeit eine bemerkenswerte Realität, vermutlich ein Zusammenspiel von Licht, Materialität, Farbigkeit und Gestik. Doch wohnt diese Unmittelbarkeit auch den übrigen Arbeiten der Ausstellung inne: Trotz der ungewöhnlichen, amorphen Formen ist es die Größe der Arbeiten, welche einen einfachen Bezug zu ihnen ermöglicht. Die Stühle, Schuhe und Strümpfe sind reale Objekte oder Abgüsse davon – und damit Life Size.

Mehrere Skulpturen von Sarah Lucas bei CFA.
“Hurricane Doris”, Installations-Ansicht. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

Die Werke residieren damit in einer Zwischensphäre von Imagination, Animation und Realität. Und es ist dieses Spiel mit den Gegensätzen, wie es auch in den Materialien zum Ausdruck kommt, welches die Ausstellung und Lucas‘ Arbeit insgesamt nährt. Durch ihre Themen sind die Arbeiten tief mit der Werkgeschichte Sarah Lucas‘ verbunden: Sexualität, das Verhältnis der Geschlechter, das Abjekt – das abstoßende, negativ konnotierte Objekt; Form und Materialität.  Die neue Verspieltheit steht für sich selbst; und ist doch von einer ebenso unmittelbaren Spannung durchzogen, welche das gesamte Werk Sarah Lucas‘, und ihre frühen “Bunnies” im Besonderen kennzeichnet.

Sarah Lucas: CROSS DORIS 2019, Strumpfhosen, Draht, Wolle, Holz und Vinylstuhl, 73 x 78 x 94 cm. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb. // Sarah Lucas: GLASS CEILING 2020, Strumpfhosen, Draht, Wolle, Schuhe und Acrylfarbe, 61 x 42 x 50 cm. © Sarah Lucas, courtesy Contemporary Fine Arts, Berlin. Photo: Matthias Kolb.

“I want to respond intuitively to things. To feel something. We all do it, but we hardly know we do it.” So äußerte sich Lucas 2012 im Rahmen ihrer “Situations” bei Sadie Coles HQ in London. Die Arbeiten in “Hurricane Doris” bilden einen unmittelbaren Ausdruck dieses Anliegens; und geben den Rezipient*innen eine hervorragende Möglichkeit, sich auf dieses Intuitive einzulassen. Dank der Weiträumigkeit der Ausstellung lässt sich auf die Möglichkeit eines Post-Lockdown-Besuches hoffen. Sowohl Witz wie Ernsthaftigkeit der Werke sind einen solchen zweifelsohne wert.

WANN?: Die Ausstellung “Hurricane Doris” läuft offiziell bis Samstag, den 27. Februar. Derzeit ist die Ausstellung geschlossen. Die Galerie Contemporary Fine Arts öffnet im Einvernehmen mit den gesetzlichen Bestimmungen anlässlich der Corona-Pandemie.
WO?: Contemporary Fine Arts, Grolmanstraße 32/33, 10623 Berlin

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