Sichtbare Abwesenheit
Deborah-Joyce Holman bei Gregor Staiger

4. Juli 2023 • Text von

Unter dem Titel „Love Letter“ zeigt die Zürcher Galerie Gregor Staiger Malereien von Deborah-Joyce Holman. In den Arbeiten sind verlassene Räume und Gegenstände zu sehen, die die Präsenz abwesender Personen spürbar machen. Die nicht gezeigten Körper gehören Schwarzen, queeren Charakteren aus Film und Fernsehen.

2023 Holman GGS 04
Deborah-Joye Holman: Love Letter, 2023. Exhibition view, Galerie Gregor Staiger, Zürich. Courtesy the artist & Galerie Gregor Staiger, Zürich.

Deborah-Joyce Holman zeigt ein Handy in Übergröße. Auf einer Leinwand im langen Querformat von 115 auf 260 Zentimeter erscheint es als einziges Objekt in einer abstrakten Bildkonstruktion sich überlagernder Formen. Der Titel der Arbeit „KT #5“ lässt keine Verortung der Szene zu.

Den Hintergrund bildet eine braune Fläche heller und dunkler Partien. Womöglich ist es die Maserung einer Tischplatte, die hier abgebildet ist. Im Bildvordergrund ist ein gelbes Quadrat zu sehen. Seine Ecken ragen über die Kanten des Smartphones hinaus. Es wirkt wie ein gelbes Stück Papier, ein Post-it ohne Nachricht, das auf dem schwarzen Screen des Smartphones klebt.

Ein Handy ist ein persönlicher Gegenstand. Es dient der Kontaktaufnahme, dem Nachrichtenverkehr, dem Austausch mit liebsten Menschen. Das Gerät wird zumeist am Körper getragen. Seine Funktionen vollziehen sich über die Berührung seiner Oberfläche. In Holmans Arbeit wird es nicht von einer Hand gehalten, nur von einem Stück Papier berührt. Auch dieses könnte der Kommunikation dienen. Doch der Zettel ist unbeschriftet.

Holman Staiger KT#4
Deborah-Joyce Holman: KT #4, 2023. Oil and pencil on linen, walnut frame, 63 x 78,5 x 4,5 cm, HOLM/P8. Courtesy the artist & Galerie Gregor Staiger, Zürich.

Holmans Arbeiten in der Ausstellung “Love Letter” zeigen Räume und Objekte, die die Kommunikation verweigern. Die abgebildeten Motive lassen keine Rückschlüsse oder Hinweise auf individuelle Personen zu, die sie handhaben und gebrauchen. Und dennoch scheinen die gezeigten Objekte in Verbindung zu abwesenden Subjekten zu stehen.

Im verlassenen Büroraum brennt eine Schreibtischlampe. Zwei Aschenbecher bergen Zigarrenstummel. Auf dem Nachtisch brennen Kerzen. Die Räume in Holmans Bildern erwecken den Eindruck, als wäre gerade noch jemand hier gewesen.

So entsteht eine Spannung des Vorher-Nachher, die eine filmische Dimension der Gemälde entfaltet. Die gewählten engen Bildausschnitte reizen die Imagination der Rezipierenden. Das breite Querformat lässt an Kinoleinwände denken.

HOLM P 10
Deborah-Joyce Holman: KT #2, 2023. Oil and pencil on linen, walnut frame, 115 x 260 x 4,5 cm, HOLM/P10. Courtesy the artist & Galerie Gregor Staiger, Zürich.

Tatsächlich ist Film ein wichtiger Ausgangspunkt von Holmans Arbeit. In der Vorbereitung des Malprozesses sammelte die Künstlerin Videomaterial aus Filmen und Serien, die Schwarze, lesbische Protagonistinnen zeigen. Holman wählte genau die Einstellungen zur Wiedergabe in Öl aus, in denen die Darstellerinnen abwesend sind. Zurück bleiben Bilder ihrer Wohnräume, ihrer Möbel und Gegenstände.

Holman unterläuft die Abbildung Schwarzer Körper zu kommerziellen Zwecken. Sie kritisiert die damit einhergehenden Repräsentationsmechanismen einer ausbeuterischen Bildverwertung. In Populärkultur und Massenmedien schreibt sich die strukturelle Diskriminierung Schwarzer Personen in der Produktion ihrer Bilder fort. In Holmans Arbeiten ist die Bewegung dieser Filmbilder aufgehoben. Damit einhergehende stereotype Narrationsmechanismen sind ausgehebelt.

Wenn die Repräsentation Schwarzer Identität mit kapitalistischem Interesse einhergeht, ist die Gegenstrategie Repräsentationsverweigerung und Unlesbarkeit. In einem Interview von 2022 im ICA Theatre London erklärt Holman: „As of the last couple of years I’ve been thinking about notions of refusal, especially in relation with visual culture and popular media. This has been the red thread of my practice, conceptually and formally”, übersetzt: “In den vergangenen Jahren habe ich über Konzepte der Verweigerung nachgedacht, insbesondere in Verbindung mit visueller Kultur und populären Medien. Das ist der rote Faden, der sich durch meine Arbeit zieht, sowohl konzeptuell als auch formal.“

Holman Staiger KT#1
Deborah-Joyce Holman: KT #1, 2023. Oil and pencil on linen, walnut frame, 113 x 153,5 x 4,5 cm, HOLM/P7. Courtesy the artist & Galerie Gregor Staiger, Zürich.

Holmans Verweigerung im Bild zeigt sich nicht nur an der Motivwahl ihrer, sondern auch im Malprozess. Ihre Bilder konstituieren sich aus in feinen Schichten aufgetragener Ölfarbe und ausgesparten Leinwandflächen.

Die Arbeit „KT#1“ zeigt ein Stillleben. Auf einer Beistellkommode sind mehrere Gegenstände versammelt. Sieben Bücher liegen aufeinander gestapelt. Auf zwei Buchrücken ist das Wort „Africa“ zu lesen. Die anderen Titel sind ausgelassen. Auch die Namen der Autor*innen sind gestrichen. Zwischen roter und blauer Farbe ist nur Leinwand zu sehen.

Auf dem bunten Buchstapel steht die Büste eines Widderkopfs, an dem herzförmige Ohrringe hängen. Die Form des linken Ohrrings ergibt sich aus der Auslassung von Farbe. Rechts davor lehnt eine Fotografie. Was darauf abgebildet ist, ist unklar. Weißbemalte Flächen lassen die Kleidung einer sitzenden Person erahnen. Hände und das Gesicht sind ausgespart. An vielen Stellen ist auch hier die unbemalte Leinwand zu sehen.

Bei genauerer Betrachtung erkennt man in diesen Leinwandflächen feine Bleistiftlinien, die auf eine Vorzeichnung hindeuten. Welche Partien letztlich von Farbe bedeckt werden und welche nicht, entschied die Künstlerin erst während des Malprozesses. Auch in der Bildproduktion nutzt Holman Gesten der Verweigerung. Die dadurch entstandene Bildsprache konstituiert einen Raum, in dem Mechanismen etablierter Bildproduktion in Frage gestellt werden.

In der Ausstellung „Love Letter“ ist Malerei zu sehen, die Abwesende sichtbar macht. Die Protagonistinnen, die sich in den abgebildeten Räumen bewegen, werden nicht gezeigt. Sie hinterlassen eine Leerstelle. Die Rezeption der Bilder löst ein Gefühl der Sehnsucht aus, vergleichbar dem Verlangen beim Verfassen eines Liebesbriefs.

WANN: Die Ausstellung “Love Letter” läuft bis Samstag, den 22. Juli.
WO: Galerie Gregor Staiger, Limmatstrasse 268, 8005 Zürich.

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