Postdigitales Zukunftslabor
Constantin Hartenstein im Mouches Volantes

1. Dezember 2021 • Text von

Wie Motten zum Licht zieht ein blaues Leuchten Interessierte auf dem Ebertplatz in Köln hin zur aktuellen Ausstellung im Mouches Volantes. Dort lässt sich Constantin Hartensteins Versuchsanordnung einer postdigitalen Zukunft begehen, in dessen Zentrum ein wundersames Elixier steht. Ein Gebräu aus geheimnisvollen Stoffen rund um den Menschen, dessen zukünftiger Bauplan noch im Ungewissen liegt.

Constantin Hartenstein, „A0-3959X.91 – 15“, installation view, Mouches Volantes, 2021, © Dirk Rose.

Wie in einem Forschungslabor sind Bassins auf unterschiedlich hohen Stelen platziert. In durchscheinendem Blau leuchten sie über das große Panoramafenster des Mouches Volantes bis nach draußen auf den dunklen, betonüberwölbten Ebertplatz. Im Innern der kristallinen Becken befindet sich eine gleichsam blaue, luzide Flüssigkeit. Schon von weitem lockt das leuchtende Blau der scheinbar innenseitig illuminierten Bassins. Bei näherer Betrachtung lassen sich außen auf der glatten Oberfläche zusätzlich Zeichensysteme ausmachen, die wie technische Pläne anmuten. Sie wirken wie Baupläne für Module mit ungewissem Nutzen. Das kühle geheimnisvolle Blau durchzieht als übergeordnetes Leitmotiv die Ausstellung mit dem kryptischen Titel “A0-3959X.91 – 15” von Künstler Constantin Hartenstein. Immer wieder begegnen Interessierte der seltsamen Flüssigkeit in unterschiedlichen Variationen.

Constantin Hartenstein, „A0-3959X.91 – 15“, installation view, Mouches Volantes, 2021, © Dirk Rose.

Im hinteren Bereich des Ausstellungsraumes stehen in die kristalline blaue Flüssigkeit gegossene Objekte, wirken wie in eine Zeitkapsel aus Harz eingeschlossene Insekten. Sie lassen sich auf einem klinischen Metalltisch umsichtig besehen. Darunter befinden sich kleine Phiolen mit verschiedenfarbigen Tinkturen, dazu ein Tiegel mit einem weißen Pulver. Sind das die Bestandteile des blauen Elixiers? Alles im Raum wirkt steril, glatt, wie Teil einer Versuchsanordnung. Doch an wem oder was wird hier geforscht? An den Wänden hängen zudem aus dem gleichen Blau gewonnene gestanzte Objekte, die gemischt mit Epoxidharz in der für sie vorgesehenen Form verbleiben. Wie Versatzstücke mechanischer Prozesse erinnern sie als Relikte an ihren im Dunkel liegenden industriellen Herstellungsprozess.

Constantin Hartenstein, „A0-3959X.91 – 15“, installation view, Mouches Volantes, 2021, © Dirk Rose.

Inmitten wandert ein Performer konzentriert zwischen den Objekten umher. Gleich einem Laboranten füllt er die Flüssigkeit ein und um, malt mit blauer Farbe Zeichen von innen auf die Glasscheibe des Ausstellungsraums. Übereinander gesetzte Schriftzeichen sehen dabei wie Runen aus, wie Symbole einer fremden Sprache. Sein Wirken aktiviert die Ausstellung, scheint fast wie einem düsteren Science-Fiction-Film entnommen.

Constantin Hartenstein, „A0-3959X.91 – 15“, installation view, Mouches Volantes, 2021, © Dirk Rose.

Tatsächlich ist Künstler Constantin Hartenstein eng mit dem Film verbunden. Als Meisterschüler von Candice Breitz war er 2011 als Filmproduzent des Deutschen Pavilions der Biennale von Venedig tätig. Seit 2019 ist Hartenstein künstlerischer Mitarbeiter am Filminstitut der UdK Berlin. In Videos, Performances und Plastiken beschäftigt er sich mit Identitätskonzepten, der Lebensrealität in einer digitalisierten Gesellschaft und mit darüber hinausweisenden Zukunftsfragen.

Constantin Hartenstein, „A0-3959X.91 – 15“, installation view, Mouches Volantes, 2021, © Dirk Rose.

Die Ausstellung gewährt Einlass in eine bildstarke Zukunftsvision, eine postdigitale Welt. Hartenstein untersucht dabei, wie sich der menschliche Körper in einer künstlichen technoiden Umgebung verhält. Wie verändert sich der Mensch angesichts einer sich ständig wandelnden Welt? Künstliche Intelligenz und Maschinen gewinnen zunehmend an Einfluss, werden in einem postdigitalen Zeitalter wohlmöglich unsere Lebensrealität nachhaltig bestimmen. Insbesondere der queere Mensch wird bei Hartenstein so zum Forschungsgegenstand. In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Geheimformel des blauen Elixiers lüften: Es setzt sich aus einem Gemisch aus Pheromonen, Künstler-Schweiß und aus symbolisch aufgeladenen Substanzen wie Gleit- & Testogel, Poppers oder G zusammen.

Constantin Hartenstein, „A0-3959X.91 – 15“, installation view, Mouches Volantes, 2021, © Dirk Rose.

Dieses Kondensat des Lebens kommt ganz nüchtern in chemische Bestandteile aufgegliedert daher und birgt trotzdem eine ganz besondere Magie. Ist der Mensch allein die Summe seiner Bestandteile oder worin besteht das magische Leuchten? Präsentiert wie ein alchemistisches Gut, wie eine Art Zaubertrank, sind einige der Tinkturen mit Algen versetzt, die das wundersame Leuchten hervorrufen. Ein anziehendes, trügerisches Licht, das von synthetischen Stoffen in einer hedonistischen Gesellschaft ausgeht. Doch wie wirken sich synthetische Stoffe auf den menschlichen Körper aus? Wie verändern sie langfristig unser Denken und Handeln? Trägt das Elixier die Antwort auf solch drängende Fragen im Innern?

WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 15. Januar 2022.
WO: Mouches Volantes, Ebertplatz Passage 1, 50668 Köln.

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