Zwischen Verbleib und Veränderung
Rebekka Kronsteiner und Sabrina Podemski im Mouches Volantes in Köln

1. Juli 2021 • Text von

Das Mouches Volantes am Kölner Ebertplatz wird mit der Ausstellung „[B]last“ zum Ort der Verhandlung und der Begegnung. Entwickelt in einem Prozess des ideellen und materiellen Austauschs der beiden Künstlerinnen Rebekka Kronsteiner und Sabrina Podemski mit den Kuratorinnen Paulina Seyfried und Sofia Steffens lotet die Ausstellung Zwischenräume und Handlungsspielräume aus. Im Umbruch befindliche Themen von Identität, Geschlechterrollen, Erinnerung und Tradition münden in die zentrale Frage: Was kann bleiben und was muss gesprengt werden?

Blick von außen auf die Installation von Rebekka Benzenberg, bestehend aus zwei Wachsblöcken.
Ausstellungsansicht „[B]last“, 2021, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Inmitten von Bauschutt, bestehend aus Steinen, Staub und Geröll, liegen zwei Blöcke aus Wachs wie zufällig dort abgelegt. Ihre harten geometrischen Formen erinnern an die typischen Fußplatten von Baustellenschildern, sogenannte Bakenfüße, zumeist aus recyceltem Kunststoff gefertigt und an die 30 kg schwer. Aus Sicherheitsgründen unterliegen die Platten streng geregelten Abmessungen und stehen im Gegensatz zu den Materialeigenschaften von Wachs. Mehrere Dochte formen die aus einem Gemisch von Wachs, Paraffin und Sterin bestehenden Blöcke zu überdimensionierten Kerzen, deren Flammen das kalte, harte Material durch Wärmezufuhr schmelzen lassen bis es sich auf den Grund ergießt, eins mit ihm wird. Ein Prozess wird in Gang gesetzt, der kristalline, scheinbar unveränderliche Strukturen aufbricht und gestaltbar macht, sie in eine neue Form überführt.

Blick in die Ausstellung mit Malerei von Sabrina Podemski, einer Skulptur von Rebekka Benzenberg und der gemeinsam erarbeiteten Rede.
Ausstellungsansicht „[B]last“, 2021, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Was muss gesprengt werden? Was kann bleiben? Das Mouches Volantes am Ebertplatz in Köln bietet mit „[B]last“ zwei jungen Künstlerinnen und zwei Kuratorinnen ein Forum, das zur diskursiven Begegnungsstätte wird. In einem ideellen und materiellen Austausch schrieben sich Rebekka Kronsteiner, Sabrina Podemski, Paulina Seyfried und Sofia Steffens gegenseitig monatelang Briefe und entwickelten so kollektiv den Grundgedanken der Ausstellung. Die entstandene Schau spiegelt diesen Prozess wider, indem sie selbst zum Ort der Verhandlung, zum Ort des Gesprächs wird. Hart umkämpfte Themen, die oft in eine Alles-oder-nichts-Mentalität münden, werden hier auf eine ganz andere Art und Weise aufgegriffen. Muss Wandel gleichbedeutend mit der Zerstörung des Vorangegangenen sein? Oder ist es vielmehr ein fluider Prozess der Veränderung, indem sich Neues aus Altem heraus entwickelt?

Blick von außen in die Räumlichkeiten des Mouches Volantes am Ebertplatz.
Ausstellungsansicht „[B]last“, 2021, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Die Materialdichotomie erinnert an die von Joseph Beuys, der ein ähnlich geartetes Spektrum zwischen Form- und Chaospol schuf, innerhalb dessen Kreativität und Veränderung stattfinden kann. Kronsteiner spielt in ihren Werken auf den traditionell begründeten Gegensatz typisch männlich und weiblich konnotierter Formgebung an. Baustellen sind vornehmlich männlich assoziierte Orte, die gedanklich mit körperlicher Arbeit und harten, funktionalen Formen verbunden werden. Die Künstlerin gießt diese Formen in weiches, fluides, weiblich assoziiertes Material. In ähnlicher Weise nähert sie sich auch dem traditionell weiblichen Metier des Webens von Stoffen. Dabei wird Pressgarn, oft formerhaltend für das Binden von Heuballen genutzt, aus seiner scheinbar unauflöslichen Struktur befreit, indem sich die Fasern nach unten hin auflösen.

Installation von Sabrina Podemski aus zwei Gemälden und einem von der Decke hängenden Pendel.
Sabrina Podemski: „MNÆNOSYNIC <3> 20“, 2021, Wallpaper 180 x 140 cm, Gemälde 140 x 100 cm; „Last forever or die tryin‘“, 2021, Beton, geschmiedete Stahlkette, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Auf der anderen Seite des Raumes ist ein von der Decke hängendes Pendel unaufhörlich in Bewegung begriffen und nie dem Stillstand verhaftet. Dahinter findet sich Malerei, auf der Wand genauso wie auf dem traditionellen Bildträger der Leinwand. Die Motive überlappen sich wie geöffnete Desktopfenster, wirken collagenartig zusammengesetzt. Als Meisterschülerin von Katharina Grosse spielen Fragen der Skalierung für Sabrina Podemski eine zentrale Rolle. Worin ist die Wahl des großen Formats begründet, wenn wir uns Bilder von Ausstellungen doch zunehmend sowieso nur auf dem kleinformatigen Handybildschirm anschauen? Podemski stellt die scheinbar unabdingbaren Gegebenheiten der Malerei infrage, spielt mit Format, Raum und Zeit. Für sie ist Malerei mehr ein Oberflächenindikator, der mittels Strukturen und geschickten Illusionen Stofflichkeit vermittelt.

Aus Stahlträgern und Schlüsselanhängern bestehende Installation.
Rebekka Kronsteiner, Sabrina Podemski, Paulina Seyfried, Sofia Steffens, Installation, 2021, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Nach dem Durchschreiten der nach außen durch die großen Panoramaglasscheiben geöffneten Präsentationsfläche der Ausstellung finden sich die Besucher*innen in den hinteren Räumlichkeiten des Mouches Volantes wieder. Dort erzeugen vertikal und horizontal geführte Stützen künstlich Fragilität, machen Arbeitsspuren an den Wänden den Raum auch hier zur Baustelle. So haben die Besucher*innen das Gefühl, als drohe jeden Moment die Decke über ihren Köpfen einzustürzen. An den Stützen hängen Schlüsselanhänger, ganz persönliche Objekte der Künstlerinnen und der Kuratorinnen, die sich als eine Art Code nur von der jeweiligen Besitzerin selbst final entschlüsseln lassen. Es sind manifestierte Erinnerungen, gepaart mit Gebetsperlen, vaginaartigen Handabdrücken und Notfallpfeifen für Frauen. In den Ecken des Raumes finden sich zudem Polaroids, die wie unscharfe Erinnerungen langsam verblassen. Das Gemeinschaftswerk stellt Fragen der Identität, lässt die Besucher*innen zwischen fragilen Stützpfeilern der Gesellschaft wandeln und wirft sie letztlich auf sich selbst zurück.

Zu sehen ist ein kleinformatiges Polaroid neben Bauschutt.
Rebekka Kronsteiner: „useless memories I – II“, 2021, A6, Polaroids, Acryl, Glas, Metall Clips, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Beim Weg durch die Ausstellung begleitet die Besucher*innen stets ein über Kopfhörer abrufbares gesprochenes Manifest, bestehend aus einer Aneinanderreihung von Zitaten. „Angenommen, niemand hat eine Frage gestellt, was wäre die Antwort“ ist der Titel der Rede, der zu Beginn vielstimmig vorgetragen wird. Aus längst verklungenen Worten wird hier etwas Neues zusammengesetzt, das ebenfalls in papierner Form in der Ausstellung rekapituliert werden kann.

Zu sehen ist die zur Ausstellung zugehörige Edition.
Rebekka Kronsteiner, Sabrina Podemski, Paulina Seyfried, Sofia Steffens, Editionen 1-20, 2021, Mouches Volantes, Foto: Dirk Rose.

Was aber bleibt von der Ausstellung, wenn sie nichts zum Einsturz, sondern vielmehr eine Veränderung aus sich selbst heraus bewirken will? Ein gemeinsam entwickelter Taschenkalender, der über Arbeitsprozess und vorangegangenen Briefwechsel Auskunft gibt, kann von den Besucher*innen erworben und selbst weitergeführt werden. Von den aus dem Verkauf generierten Einnahmen soll ein Kunstkurs für den Jugendtreff der Alten Feuerwache in Köln finanziert werden. So entsteht aus Altem wieder etwas Neues.

WANN: Die Ausstellung läuft bis Samstag, den 17. Juli.
WO: Mouches Volantes, Ebertplatz Passage 1, 50668 Köln.

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