Mit Herzrasen im Cockpit
Frieda Toranzo Jaeger in der Galerie Barbara Weiss

24. Mai 2023 • Text von

Es tut ein bisschen weh, ist unheimlich dystopisch und dann ist da dieser angenehme, belebende, fast erregende Stich ins Herz. Frieda Toranzo Jaeger konfrontiert in ihrer zweiten Solo-Show “Heart Core” in der Galerie Barbara Weiss christliche Ikonographie mit Herzsymbolik und Autocockpit. Mit Öl, Stickerei und Strass auf Leinwand reflektiert sie die Gegenwart und ihre Zukunftsängste, was sie antreibt, besser: motorisiert. Herzschmerz ist vorprogrammiert, hüpfende Herzen auch.

Frieda Toranzo Jaeger, Open your heart because everything will change, 2023, oil on canvas Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss Berlin. Photo Jens Ziehe
Frieda Toranzo Jaeger: “Open your heart because everything will change”, 2023, oil on canvas, embroidery, hardware; 32 parts, 275 x 285 x 75 cm, dimensions variable. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Geflügelte Herzen, die ein bisschen an den goldenen Schnatz aus Harry Potters Geschichte erinnern, fliegen vor einem tiefschwarzen, sternenübersäten Nachthimmel in Richtung Weltraum. In die Leinwand gestickt, verlassen sie einen von Kratern zersetzten Planeten, vermutlich den Mond, getrieben beziehungsweise angepeitscht von zwei komplett verhüllten Figuren. Sie tragen Gewänder mit Kapuze und eine schwarze Maske, gewölbt wie ein Gesichtsschutz von Fechtenden, gläsern wie futuristische Astronaut*innen. Science-Fiction-Nonnen vielleicht? Sie treiben die Herzen nach oben mit pastell-rosa Seilen, oder sind mitten im Battle-Rope Training. Alles genau aufklären will Frieda Toranzo Jaeger mit ihren Arbeiten nicht. Wichtiger scheint die Magie zu sein, die magische Lücke zwischen himmlisch und irdisch, Heute und Morgen zwischen Emotionen und Technologie. Diese Magie entfaltet sich im Ausstellungsraum der Galerie Barbara Weiss direkt und spürbar.

Frieda Toranzo Jaeger, To be titled, 2023, oil on canvas, embroidery, Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo Jens Ziehe
Frieda Toranzo Jaeger: “To be titled”, 2023, oil on canvas, embroidery 90 x 60 cm. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Raum- und zeitlos sind Toranzo Jaegers Arbeiten, düster und doch immer mit einer Prise Optimismus, eingestreut auf die Leinwand mithilfe von Strasssteinen oder eingestickten Blumen – und natürlich Herzen. Diese Show ist voller Herz. Sie ist, wie der Name schon sagt, “Heart Core”. Besonders lässt sich der Titel auf die zentrale und größte Arbeit der Ausstellung beziehen. “Open your heart because everything will change” setzt sich aus 32 Leinwänden zusammen und bildet ein über zwei Meter hohes und breites Herz. Auf der einen Seite überwiegend rosa, auf der anderen grün, entsteht aufgrund schwarzer Konturen und Flächen auf beiden Seiten eine gemalte Maschine, ein motorenähnliches Konstrukt.

Wie von einer Korsage gehalten, hält über Kreuz gebundenes Garn die beiden Herz-Hälften entlang der Symmetrieachsen zusammen. Das Garn ist teilweise zu Zöpfen oder Schleifen geflochten. Maschendraht spannt sich über einzelne Leinwände, Plastikperlen hängen am Draht, ziehen im Mit- und Nebeneinander eine weitere Herzform nach. Trotz der mechanischen Elemente des Metallischen überwiegt das Herz, es dominiert in fetischisierender Ästhetik die Maschine. Mensch und Maschine scheinen metaphorisch zu verschmelzen, ein Liebesspiel, das optimistisch stimmt. Machet auf eure Herzen! 

Frieda Toranzo Jaeger, Heart Core, Installation view, Galerie Barbara Weiss
Installation view, Frieda Toranzo Jaeger, Heart Core, Galerie Barbara Weiss, Berlin, 2023. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Es passiert so oder so, die maschinelle und klimakatastrophale Zukunft ist schon da, es bringt nichts mehr, sich roboter- und alibimäßig dagegen zu wehren, es abzustreiten. Was etwas bringt, was immer hilft, ist offenherzig bleiben. Diese Nachricht senden Toranzo Jaegers Werke, sie sprechen eine klare Sprache, appellieren an das Gefühl und die Wertschätzung der kleinsten Pflanzen, der Vielfalt in jeder Hinsicht. Diesen Appell sendet sie, indem sie einen Mangel genau dieser Aspekte zeigt. Es gibt keine Menschen, nur Figuren, es gibt keine Erde, sondern viel Sphäre. 

Auf dem Rücksitz eines Autos zu sitzen, scheinen Betrachter*innen vor dem Triptychon “Neo-Colonialism”. Es zeigt einen grauen Autoinnenraum ohne Fahrer*in, es gibt viel Fläche, einen zentralen Bildschirm und keine Knöpfe, eigentlich genau wie in einem Tesla. Dieses Auto fliegt futuristisch im All herum und spielt in seiner Dreiteiligkeit gleichzeitig auf die historische Tradition des Altarbildes an. Himmelfahrt, aber eher im Elon-Musk-Sinne. Hier treffen Welten aufeinander.

Frieda Toranzo Jaeger, Neo Colonialism, 2022, oil and embroidery on canvas, rhinestones, 30 x 90 cm, Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo Jens Ziehe offen geschlossen
Frieda Toranzo Jaeger: “Neo-Colonialism”, 2022 oil and embroidery on canvas, rhinestones, 30 x 90 cm. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Im linken Flügel des Werkes sind Mineralien in die Leinwand gestickt, stechen optisch hervor. Auf der gegenüberliegenden Seite blüht eine gestickte, goldig glänzende Blume. Das Triptychon hat ganz im Sinne seiner byzantinischen Vorbilder ein Narrativ. Da kann beinahe der 1. Korinther zitiert werden: “Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.” (1 Kor 13,1ff.). Noch ist der Erde nicht alles genommen. Noch blüht es.

Zugeklappt funkelt Besucher*innen das mit Strasssteinen geklebte titelgebende Wort “Neo-Colonialism” entgegen. Die komplette Außenseite des Triptychons ist übersät von Glitzersteinen, ein blendender Panzer, der ein weiteres Fass aufmacht, wo wir gerade schon bei Wegnehmen und Blüte waren. In Mexiko-Stadt lebt Frieda Toranzo Jaeger in einer neokolonialistisch unterdrückten Umgebung, einer, die abhängig von dominanten Wirtschaftsmächten kaum zu wirklich eigener Blüte gelangt. Lateinamerika hat aufgrund seines wirtschaftlichen Standes in der Welt geringe Möglichkeiten, sich autonom zu entwickeln, gar zu florieren. Die Entwicklung lateinamerikanischer Länder passiert überwiegend als Reflex auf eine dominantere westliche Wirtschaft. Mit ihrem gemalten Auto-versum lässt Toranzo Jaeger eine kaputt gewirtschaftete Erde hinter sich, sodass es hinter dem Aspekt des Neo-Kolonialismus zu einem freien Sehnsuchtsort wird. Gleichzeitig versteht die Künstlerin das Auto als Symbol männlicher Dominanz, der sie sich jedoch nicht beugt, sondern es sich zu eigen macht. Andere mögen am Steuer sitzen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Frieda Toranzo Jaeger, Heart Core, Installation view, Galerie Barbara Weiss, Berlin
Installation view, Frieda Toranzo Jaeger, Heart Core, Galerie Barbara Weiss, Berlin, 2023. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photo: Jens Ziehe.

Auch im Triptychon “Ideologies spread” stehen sich Kapitalismus und Kirche symbolhaft gegenüber. In der Mitte eine brennende Flugzeugtragfläche, links und rechts Kirchenfenster, vor dem links eine verwelkte und rechts eine blühende Lilie steht. Das Flugzeug wird wohl abstürzen, aber in der Tragik der Szene liegt auch ihr Reiz, ihr Potenzial. Klassische Vanitas Symbolik, carpe diem, yolo.

Die Herzen vernetzen sich buchstäblich in Toranzo Jaegers Werken, sie durchsticht die Leinwand, um sie mit überwiegend roten Fäden zu durchziehen. Die Zweidimensionalität der Leinwand wird vom Faden stellenweise aufgebrochen und Toranzo Jaeger akzentuiert so nicht nur die vorstehenden Bildelemente, sondern würdigt zudem das traditionelle Stick-Handwerk ihrer Heimat. Alles ist verwoben.

Frieda Toranzo Jaeger, Heart Core, Installation views, Galerie Barbara Weiss Berlin
Frieda Toranzo Jaeger: “Ideologies spread”, 2023 oil on canvas, embroidery, 3 parts 210 x 190 cm. Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. // Frieda Toranzo Jaeger: “El poema se cayó”, 2023 oil and embroidery on canvas, 90 x 60 cm, Courtesy of the artist and Galerie Barbara Weiss, Berlin. Photos: Ramiro Chaves.

Im Werk “El poema se cayó” verbinden sich fünf Herzen, im größten sind Hände zu sehen, die ein kleines herzförmiges Buch halten, eine Referenz auf das flämische Werk “Junger Mann hält ein Buch”, das um 1480 entstand. Ein mysteriöses Werk, dessen Maler nur unter dem Namen Meister der Ansicht der Heiligen Gudula bekannt ist. Die Brüsseler Kathedrale St. Gudula, die im Verweisbild im Hintergrund zu sehen ist, ist für Toranzo Jaeger nicht von Interesse. Ihr geht es um die Herzform des Gebetsbuches, ihre schon langzurückreichende Geschichte, die bereits 3000 v. Chr. in stilisierten Feigen- oder Efeublattdarstellungen ihren Ursprung fand und wenn es nach Toranzo Jaeger ginge, auch in den kommenden Jahren alles zusammenhalten wird.

Weg von der schamhaften Schamverdeckung hin zum offenen Herzen. Das Herz im Instagram-Universum, es ist überall, wir verteilen Herzen wie nie zuvor und es kann auch nie genug sein. Ein bisschen mehr Herz-Emoji im echten Leben wäre schön und diesen Motor kurbelt Frieda Toranzo Jaeger an. Doll, aber liebevoll. “Heart Core” legt einem einen wahren Herz-Fetisch ans Herz.

WANN: Die Ausstellung “Heart Core” läuft noch bis Samstag, den 3. Juni.
WO: Galerie Barbara Weiss, Kohlfurther Straße 41/43, 10999 Berlin.

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