Die aktive Form
Verbindliches Miteinander im Projektraum Ashley

15. September 2023 • Text von

Mit ihrer Arbeit im Projektraum Ashley widmet sich Kuratorin Steph Holl-Trieu auf Regelsystemen basierenden Praktiken. Sie erforscht die performative und immersive Qualität des Ereignisses einer Ausstellungseröffnung – die nächste steht kurz bevor. (Text: Olga Hohmann)

Alexander Iezzi ashley berlin gallerytalk
Alexander Iezzi, Little Shocker, installation view. Photo: Linus Muellerschoen.

Mitten auf der Oranienstraße liegt der Projektraum Ashley, der vor schon zehn Jahren von Kate Brown und Lauryn Youden gegründet wurde. Seit rund einem Jahr wird er von Steph Holl-Trieu kuratiert und verfolgt seitdem ein Programm unter dem Arbeitstitel „Notations and Compositions“. Auch ohne viele Hintergrundinformationen zu haben, spürt man als Besucherin, dass es einen starken Zusammenhang zwischen den vergangenen drei Positionen gibt – die Atmosphäre bei den Eröffnungen ist einladend, fast immersiv, aber dabei nie aufdringlich. Die Arbeiten sind radikal interdisziplinär und stehen dabei in einem ästhetischen Zusammenhang zueinander. Sie haben immer eine mehr oder weniger konkrete politische oder analytische Komponente, sind aber nie didaktisch.

Matilda Tjäder stellt im August 2022 das Release ihres Albums „Clones“ im sommerlich nach Mülltonnen duftenden Innenhof des Art Spaces vor, der „urbaner“ kaum anmuten könnte. In ihrer Sound-Arbeit belegt sie eine poetisch-melancholische Position zwischen Realität und Fiktion. Obwohl es Sommer ist, befindet sich die Protagonistin in einem, wie sie es beschreibt, „nicht enden wollenden Winter“.

Das zweite Event, das unter der kuratorischen Leitung von Holl-Trieu stattfindet, ist ebenfalls ein musikalisches Ereignis: Es ist das Album Release der Künstlerin Johanna Odersky, die als Musikerin unter dem Namen Iku bekannt ist. In einem Schattenspiel mit gigantischen, aus Schaufenster-Mannequins gebauten Marionetten, die als Proxies der Künstlerin selbst eingesetzt sind, performt zuerst der Wiener Künstler Laurids Oder aka ☆7571 ein Liveset, dann spielt Iku einige ihrer neuen Songs: nicht lineare Sounds, dichte Texturen, die mit Samples arbeiten, dem klanglichen Übereinanderlegen von Material.

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Iku, The Itch, performance, Ashley Berlin. Photo: Linus Muellerschoen.

Als Zuhörerin kommt es einem fast so vor, als ob in die sogenannte Realität hinein- und dann wieder herausgezoomt wird. Die Musik ist eine Traumlandschaft, in die sich immer wieder reale und fiktive Erinnerungen mischen, sie wird mal schärfer und dann wieder unschärfer. Die Puppen repräsentieren ebenso wie die Versatzstücke und Motive der Musik selbst Charakterfragmente der Künstlerin, die zu einem dichten Klangteppich werden. Der wird nie auf unangenehme Art hermetisch, sondern behält im Gegenteil seine Zugänglichkeit und Verspieltheit. Die Performance entfaltet sich über eine Stunde hinweg, als Zuhörerin hat man am Ende das Gefühl, in die Traumlandschaft eingestiegen zu sein und sie mit eigenen Assoziationen und Erinnerungen besetzt zu haben.

Alexander Iezzi wiederum baut in der Ausstellung „Little Shocker“ eine psychoanalytische Architektur, von der man nie genau weiß, ob sie utopisch oder dystopisch ist: kleine Power Houses, Ruinen des Zivilisatorischen. Ebenso wie Odersky geht auch er nach einem Score vor, einem Regelsystem, das eine Grundlage für Improvisation bildet, auf der verschiedene Charakterfragmente sichtbar werden.

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Alexander Iezzi, Little Shocker, installation view. Photo: Linus Muellerschoen.

Scores als Teil einer künstlerischen Praxis, die Freiheit im begrenzten, zugespitzten Rahmen ermöglicht, ist Teil des kuratorischen Prinzips von Holl-Trieu. Sie orientiert sich dabei auch an Keller Easterlings Konzept „Active Form“, das als architektonisch-urbanistisches und informationstechnisches Programm oder Disposition gedacht wird. „Active Forms“ werden durch Protokolle, Codes, Routinen oder Software verkörpert. Sie bestimmen und formen die Verhältnisse verschiedener Komponenten im Verlauf der Zeit und in Bezug auf neu entstehende Umstände. Bei Ashley fühlt man sich tatsächlich buchstäblich eingeladen – jede Konstellation generiert ihr eigenes, jedes Mal leicht unterschiedliches Publikum, dennoch gibt es eine Verbindlichkeit in der Art, wie Menschen miteinander und mit den Arbeiten ins Gespräch kommen.

Vielleicht liegt das auch daran, dass das Ereignis des „Openings“ in seiner performativen Qualität behandelt wird. Zu jedem Event gibt es nun einen thematisch passenden Drink, serviert von Donna Schons: Zu Iku‘s Album Release, das an eine klangliche Traumlandschaft erinnerte, gab es einen Lavendel-Cocktail, zu Alexander Iezzis utopisch-dystopischer architektonischer Landschaft gab es den „Iezzo Mix“. Der scharfe, weil mit pinkem Pfeffer und Chili arbeitende Drink war angelehnt sowohl an den Nachnamen des Künstlers als auch konkret an seine Arbeiten: Iezzi hat Mezzo-Mix Flaschen durch nicht-angeschlossene Kabel mit Puppenhäusern verbunden. Man weiß nicht genau, ob es sich um kleine Bomben oder Kraftwerke handelt.

Iezzi verräumlicht in seinen Miniaturen die eigene Psyche, so auch in der Videoarbeit „Little Shocker“, eine Kollaboration mit der Tänzerin und Performancekünstlerin Shade Théret. Scores ohne Notation bilden die Grundlage der unheimlichen Bewegungsabläufe, die die Tänzerin allein in unterschiedlichen Räumen gefilmt vollzieht. Es wirkt wie die Materialisierung eines stummen Selbstgespräches. Das gilt auch für die Häuschen, die immer sowohl etwas Niedlich-Betuliches haben, ebenso wie etwas Unheimliches: Das Heimelige und das Heimliche sind häufig am selben Ort vereint.

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Yun Heo, Me Time, sketch. Photo: Yun Heo.

Anlässlich der Berlin Art Week eröffnet nun die neue Show bei „Ashley“, eine Einzelausstellung der aktuell in Frankfurt lebenden Künstlerin Yun Heo. Es handelt sich um eine kritische Auseinandersetzung mit dem popkulturellen Phänomen der positiven Affirmation – mit dem allgegenwärtigen Imperativ zu Genießen und ein gutes, das heißt gesundes und glückliches Leben zu führen.

In „Me Time“ re-staged die Künstlerin ihren ehemaligen Lagerraum in Hinblick auf die anthropomorphe Qualität der (Alltags-)Gegenstände. Dabei geht es gleichermaßen um die Materialisierung von (Arbeits-)Zeit im Kapitalismus als auch um die Handlungsmacht nicht-menschlicher Akteure: Die Künstlerin zeigt comichaft anmutende Skulpturen, in denen teilweise Lebensmittel verarbeitet sind, in denen wiederum (Feld-)Arbeit gespeichert ist – Kakao, Kaffee, Getreide. Gleichzeitig sind die Objekte von Mäusen zerfressen und mit Mäusekot bedeckt. Auch diese im domestischen Bereich vorkommenden Tiere haben auf ihre Weise an den Werken mitgearbeitet.

Yun Heos sogenannten „boddaris“ (Bündel) repräsentieren auch „personal baggage“, ebenfalls eine Metapher auf die beanspruchte Psyche eines Subjekts im Neoliberalismus. Sogenannte „Wish Notes“ stellen eine kritisch-humorvolle Referenz zu „self care and self improvement culture“ her – eine zynisch-schmunzelnde Betrachtung des Selbstoptimierungskultes. Ab und zu sieht man den Slogan von „Life Cereal“: „You will love life, you will taste life“. Ich bin gespannt, welchen thematischen Drink es dieses Mal geben wird.

WANN: Die Ausstellung “Me Time” von Yun Heo eröffnet am Freitag, den 15. September.
WO: Ahley, Oranienstraße 37, 10999 Berlin.

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