Florales Recyclen
Olivier Millagou bei Sultana in Paris

27. April 2023 • Text von

Lila Blumen sprießen aus geöffneten Mäulern von zu Fischen geformten Vasen. An Cézanne angelehnte Gemüsekompositionen zeigen sich auf den Gemälden, farbenfrohe florale Motive erstrecken sich in den kleinen, ungewohnt unförmigen Rahmungen an den Wänden der Galerie Sultana. Mit Ironie und ummantelt von greller, fröhlicher Farbigkeit spielt der Skulpteur und Maler Olivier Millagou auf brennende, sehr viel ernsteren Themen unserer Zeit an. 

Vasen aus denen Tulpen sprießen
Olivier Millagou, Sculpture périmée (Poisson 1,2,3 & 4), 2023, Courtesy Galerie Sultana // Sculpture périmée (Caniche), 2023, Courtesy Galerie Sultana.

Eine wohlige Freude bereitet sich aus, wenn man den Galerieraum von Sultana in der Rue Beaubourg unweit des Centre Pompidou betritt. Würde einen draußen nicht schon die April-Sonne wärmen und für gute Laune sorgen, so würde sie spätestens beim Besuchen der kürzlich eröffneten Ausstellung “Litmus” des Malers und Skulpteurs Olivier Millagou auftreten. Florale Motive, farbenfrohe Kompositionen auf neon-farbigen Rahmungen, unförmige Bildträger, die einen die oft sterile Perfektion von flachen Leinwänden in weißen Galerieräumen vergessen lassen. 

Man könnte sagen, dass sich der Besuch von “Litmus”, französisch für Sonnenblume, fast wie ein Ausflug in die Natur anfühlt. Flora und Fauna an den Wänden – auf die eingezogenen Galeriewände obenauf hat Millagou sogar eine Reihe von Tauben platziert, die den Ausstellungsraum gedanklich einmal mehr ins Freie verlagern. 

Millagou GalerieSultana
Installationsansicht “Litmus” © Grégory Copitet.

Nicht nur im Hauptraum, auch in einem kleinem Nebenkabinett, wie auch im Showroom der Galerie im Keller herrscht florale Vielfältigkeit: “Litmus”, die namensgebende Blume für die Ausstellung ist auf pinkem Untergrund zu sehen, entfernt kommen einem Van Goghs pastose Pinselstriche in dessen Sonnenblumenbilder in den Sinn. Daneben Rosen, Nelken, Lavendelblüten auf denen Schmetterlinge sitzen. 

Millagou, der in Bandol, einem Küstenstädtchen an Côte d’Azur lebt, hat seine Umgebung mitten ins Pariser Marais, in die Großstadt, in der es an vielen Stellen an Naturoasen mangelt, gebracht. Seine Gemälde strahlen Ruhe aus, eine Sehnsucht nach Sommer und Weite evoziert der Künstler mit seinen Inhalten. Neben floraler Motivik, zeigen die figurativen Malereien auch immer wieder Ausschnitte menschlicher Körper.

Millagou Sultana Chardons
Olivier Millagou, Peinture périmée (Chardons), 2023, Courtesy Galeria Sultana.

Eine Mohnblume, die sich um ein Paar auf Zehen stehenden Füßen elegant windet, erinnert an die mit Flügeln versehenen Sandalen des Götterboten Hermes. Jedoch ist es weniger die griechische Mythologie, die Millagou in seiner 2022 entstandenen Werkserie als Inspiration diente. Mehr sind es Gemäldeinhalte der Renaissance wie Botticellis aus dem Schaum des Meeres geborene Venus. 

Zwei Gemälde mit Blumen
Olivier Millagou, Peinture périmée (Pâquerettes et papillon), 2023, Courtesy Galeria Sultana // Olivier Millagou, Peinture périmée (Rose), 2023, Courtesy Galeria Sultana.

Wiedergeburt. Renaissance. In Millagous Welt bedeutet das Wiederverwenden. Aus längst Gebrauchtem Neues entstehen zu lassen. Nichts anderes liegt „Litmus“ zugrunde. Für die Malereien, die Rahmungen und die Skulpturen verwendete der Künstler ausschließlich gefundenes Material, das seine besten Jahre längst gesehen hatte. 2021 zog der Künstler in ein Renovierungsbedürftiges Haus aus den 1940er Jahren, in dem er allerhand Material wie Schaumstoff und alte Bilderrahmen vorfand. Von Handwerkern borgte er sich abgelaufene chemische Materialien wie Silikon und formte dies zu seiner Serie von wiederverwerteten Gemälden, die “Peintures Périmées”. 

Blick in den Galeriraum von Sultana
Installationsansicht “Litmus” © Grégory Copitet.

Die gefundenen Rahmen goss er mit Silikon ab, ein Prozess, der den einzelnen Werken ihre unperfekte Oberflächenstruktur verleiht. Die glatte Oberfläche bemalte er mit Acryl, wodurch die Gemälde ihre Leuchtkraft gewinnen. Eine Leuchtkraft, die die Farben und das Material, welche die Zerbrechlichkeit unserer Natur zum Vorschein bringen lassen, einmal mehr intensiviert. Das sind die Sujets, die Millagou, ein leidenschaftlicher Surfer, der in und mit der Natur lebt, umtreiben. Entgegen unserer konsumorientierten und von Kapitalismus bestimmten Welt beweist Millagou mit “Litmus”, dass sich die Schönheit unserer Natur in ästhetische Objekte verwandeln kann, ohne damit weiteren ökologischen Schaden an ihr zu nehmen. 

WANN: Die Ausstellung “Litmus” läuft bis einschließlich Samstag, den 27. Mai.
WO: Galerie Sultana, Rue Beaubourg, 75003 Paris.

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